Würzburg (Deutsche Tagespost, 12.07.2008) - Im Grunde genommen ist es einfach: Was Christen auszeichnen sollte, hat ihr Namensgeber in den „Seligpreisungen“ verkündet. Demnach sind diejenigen selig zu nennen, die etwa Frieden stiften, Gerechtigkeit suchen und Barmherzigkeit üben. Eine Kleinigkeit ist das sicher nicht, eine Selbstverständlichkeit schon gar nicht. Menschen, die diese Wege konsequent zu gehen suchten, gelten nach kirchlicher Auffassung deshalb auch als Selige und Heilige. Wer diese Auszeichnung posthum erhält, wird gründlich unter die Lupe genommen - Leben und Handeln sind fortan öffentlich.
Josemaría Escrivá, Gründer des Opus Dei, ist ein Heiliger. Papst Johannes Paul II. hat den spanischen Priester 2002 heilig gesprochen hat. Wer ist dieser Mann, der von 1902 bis 1975 lebte und vor 80 Jahren eine Institution gründete, die heute weltweit tätig ist, deren Wirken allgemein anerkannt ist und geschätzt wird; ein „Werk Gottes“, das manche Zeitgenossen jedoch vehement ablehnen, dem immer wieder rein irdische Interessen unterstellt werden und das 2006 in einer abenteuerlichen cineastischen Interpretation Hollywoods gar zum Bösen schlechthin mutierte?
Das Werk breitete sich ungewöhnlich rasch aus
Eine detaillierte Antwort gibt Andrés Vazquéz de Prada. Der spanische Diplomat, Historiker und Publizist hat seinem Landsmann eine umfassende Biographie gewidmet. Im Kölner Adamas-Verlag ist das mehr als 2000 Seiten umfassende Werk des 2005 verstorbenen Autors jetzt komplett auf Deutsch erschienen: Seit wenigen Tagen liegt der dritte, abschließende Band vor, „Der Gründer des Opus Dei Josemaría Escrivá. Die römischen Jahre.“
Auf mehr als 700 Seiten behandelt das Buch die Zeit, die Escrivá in Rom verbrachte. Minutiös berichtet de Prada von den Jahren 1946 bis 1949, die der Gründer des Opus Dei mal in Italien, mal in Spanien lebte; und er schildert die Zeit ab 1949, dem Jahr des endgültigen Umzugs. Bis zu seinem Tod 1975 wohnte der Gründer fortan in Rom. Hatte er die Jahre unmittelbar nach dem spanischen Bürgerkrieg dazu genutzt, das Opus Dei, von vielen einfach nur das „Werk“ genannt, auf der iberischen Halbinsel zu verbreiten, sorgte er sich nun um die weltweite Ausdehnung.
Hunderte junger Frauen und Männer hatten sich Escrivá angeschlossen, begeistert von dessen Grundüberzeugung, dass jede und jeder Christus im Alltag suchen und finden kann; dass der christliche Glaube Familie, Beruf und Freizeit prägen solle; dass ein Leben aus dem Glauben, ein Leben mit Christus zum Glück führe. Escrivá schickt sie in alle fünf Kontinente. Das Werk breitet sich weiter ungewöhnlich rasch aus, begleitet von drückenden finanziellen Sorgen, von Missgunst und Neid, doch kirchenrechtlich anerkannt.
Vazquez de Prada skizziert Josemaría Escrivá als einen Mann den dreierlei auszeichnete: ein nicht zu erschütternder Glaube, von Gott berufen zu sein, das Werk Gottes auf Erden zu verwirklichen; die Hoffnung, ja Gewissheit, das diese Mission deshalb nicht scheitern könne; und die tiefe Überzeugung, das sein persönliches Glück in der konkreten, alltäglichen Nachfolge Christi bestehe. Gebet und Eucharistie sind im Leben des Heiligen denn auch feste Konstanten. Auffällig sein Diktum, dass nur eine in Freiheit angenommene und stets beherzt aufs Neue angenommene Berufung die eigene Persönlichkeit reifen lässt und zum Glück führt. Obwohl Josemaría Escrivá von den Mitgliedern des Opus Dei, Frauen wie Männern, sehr viel forderte, etwa die Zurückstellung beruflicher wie privater Interessen, war ihm jeglicher Zwang fremd.
Und dennoch stieß er auf Widerspruch, erfuhr Ablehnung, persönliche Verunglimpfung, ja Verfolgung. Was in Spanien begonnen hatte, setzte sich Anfang der 1950er Jahre in Italien fort. Dazu der Autor: „Bittere Erfahrungen der Ablehnung und des Widerspruchs im Laufe der Jahre ließen den Gründer nicht ohne eine Prise Humor wiederholen, dass der Heilige als unbequem empfunden wird: ‚Ich denke oft, dass Gott, unser Herr, mit uns auch seinen Spaß hat: Er legt Wünsche der Heiligkeit in unser Herz ... und siehe da, die Heiligen waren immer oder fast immer Störenfriede ... unbequem, dickköpfig.'“
Entschlossen, weil von seiner Sendung überzeugt, war Escrivá in allem was den Fortgang des Opus Dei anging. Sich selbst betrachtete er als Sünder, nicht als einen Heiligen, so Vazquez de Prada. Er schreibt: „Um den Geist des Opus Dei beispielhaft leben zu können, bat er Gott, ihn nicht aus der gewöhnlichen Vorsehung, die ihm hinreichend außergewöhnlich erschien, herauszunehmen und das Ringen seiner Kinder um Heiligkeit sowie sein eigenes unbeachtet bleiben zu lassen. Für sie sollte nicht gelten, dass es zwei Heilige braucht, um einen auszuhalten.“
Die Ankündigung des II. Vatikanischen Konzils durch Johannes XXIII. begrüßte Josemaria Escrivá. Sein erster Nachfolger in der Leitung des Opus Dei, Alvaro del Portillo, nahm aktiv am Konzil teil. Die Versammlung sollte wesentliche Aspekte der Verkündigung Escrivás über den Wert und die Aufgabe von Laien in Welt und Kirche in ihre Dokumente aufnehmen. Nicht alle Hoffnungen, die mit dem Aufbruch der Kirche in eine neue Zeit verbunden waren, sollten sich hingegen erfüllen. So manche Entwicklung, insbesondere eine wachsende Glaubensferne in Gesellschaft wie Kirche, schmerzte den heiligen Josemaría.
Hartnäckige Klischees können entkräftet werden
Unermüdlich rief er dazu auf, das christliche Leben im Alltag fruchtbar werden zu lassen; er ermunterte Christen, weltweit initiativ zu werden und sorgte sich um die innere, auch kirchenrechtliche Festigung des Opus Dei. Das Konzil hatte eine adäquate juristische Approbation des Werkes als Personalprälatur erst eröffnet. Escrivá selbst sollte diese endgültige rechtliche Klarstellung aber nicht mehr erleben. Erst unter Alvaro del Portillo wurde das Opus Dei nach innerkirchlicher Prüfung und breiter Zustimmung im Bischofskollegium 1982 Personalprälatur.
Auch in seinen letzten Lebensjahren kannte Escrivá nur eine Sorge: den Glauben an Jesus Christus verkünden. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, reiste er bis kurz vor seinem Tod durch Europa und Amerika, sprach und predigte vor Tausenden. Auch diese Jahre zeichnet Vazquez de Prada nach. Obwohl er mit vielen Details aus dem Leben Escrivás aufwarten kann, wirkt seine Biographie dabei nie langatmig. Im Gegenteil: Gerade diese Präzision dürfte dazu beitragen, die sich bis heute hartnäckig haltenden Klischees über Josemaría Escrivá und das Opus Dei zu entkräften.