«80 ist das neue 60»

Im Alter erfüllt leben – die Tagung «80 ist das neue 60» gab hierzu Impulse.

Auf den Spuren von Mozart in Wien.

Unsere Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, hingegen hat sich das Pensionierungsalter nur wenig nach oben verschoben oder ist sogar – wie für die Schweizer Männer – gleich geblieben. Das bedeutet, dass nach der Pension in der Regel noch eine lange dritte Lebensphase geschenkt wird – eine Phase, in der die Menschen zudem bedeutend gesünder und geistig reger sind als früher. Bald werden sich die 80-Jährigen einer Form erfreuen, die vergleichbar ist mit jener der 60-Jährigen um die Jahrtausendwende; so jedenfalls bezeugen es einschlägige Studien.

Damit stellt sich die Frage umso dringlicher, wie wir aus dem «Dritten Alter» gleichsam einen «zweiten Frühling» machen können. Mit dieser Herausforderung konfrontierten sich kürzlich zwanzig Senioren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – allesamt Mitglieder des Opus Dei – im Rahmen einer Tagung in der Villa Steiner (Wien) unter dem Titel 80 ist das neue 60. Sie setzten sich mit zusammengetragenen Erfahrungen auseinander und tankten Zuversicht sowie die Lust, eigene Talente zu entdecken und zu entfalten.

Fragen, die aufs Wesentliche zielen.

Der «Zehnkampf der Hundertjährigen»

Die Tagung befasste sich zum Start mit der Frage, wie man sich in höherem Alter in guter körperlicher Form hält. Der erste Referent, Rainer Klawki – Biologe, Medizinjournalist und Autor eines Buches zum Thema –, unterstrich die Wichtigkeit der täglichen Bewegung; sie könne mehr günstige Wirkungen erzielen als Tabletten, Vitamine oder Ernährungskonzepte. Er bezog sich u.a. auf den Chirurgen Peter Attia, der sich in seinem Bestseller «Outlive» einen «Zehnkampf der Hundertjährigen» ausgedacht hat: Wer regelmäßig zehn von dreizehn alltagstauglichen Übungen macht, verbessert seine Gesundheit und damit sein Wohlbefinden ganz beträchtlich. Die körperliche Betätigung kann sehr gut mit dem Sozialleben verbunden werden und sollte es auch; als Beispiel diente eine Wandergruppe unter dem Motto «Walk and Talk».

Sehr praktisch und konkret wurde es dann mit dem Sportlehrer und früheren Profibasketballer Jurica Blažević. Der Mann, obwohl erst in den frühen Dreißigern, wusste, zu wem er sprach: Er musste eine Krebserkrankung mit einer Chemotherapie behandeln lassen, die seinen Körper nachhaltig geschwächt hat. Entsprechend trugen die gezeigten Übungen der Befindlichkeit der Senioren Rechnung.

Angeregte Gruppenbesprechung über die Gestaltung des Pensionsalters.

Gelungene Übergänge ins Leben nach der Erwerbstätigkeit

Rudolf Repgen, Executive Coach, half den Teilnehmern, ihre Talente zu entdecken und zur Geltung zu bringen. Nach einer einleitenden Diskussion im Plenum besprach man in kleinen Gruppen die Erfahrungsberichte von zwei Ruheständlern. Einer von ihnen berichtete, wie er Flüchtlinge bei ihrer Integration und beruflichen Ausbildung unterstützt, nicht zuletzt im Verkehr mit den Behörden, wo sie auf sich allein gestellt vollkommen überfordert wären. So unterschiedlich die Herausforderungen jedes Seniors sind, gemeinsam war die Einsicht, dass es Initiative und Planung braucht: Ein befriedigendes Pensionsalter ergibt sich nicht von selbst.

Von den Teilnehmern kamen verschiedene Rückmeldungen: «Ich soll meine ‘Talente’ eruieren und dann ggf. ausbauen bzw. stärker für andere einbringen»; «Man sollte ein Motto haben für den 3. Lebensabschnitt»; «Gute Tipps zur Struktur im 3. Alter und Selbstwahrnehmung sowie Wahrnehmung anderer Altersgenossen»; «Wichtigkeit des körperlichen Trainings»; «Bestätigung meiner Talente, bessere Erkenntnis meiner Fehler».

Von ganz anderer Natur war der Vormittag mit dem Musiker Paul Gulda. Der international bekannte Pianist schärfte, anhand von am Klavichord und am Klavier vorgetragenen Beispielen aus der Musikgeschichte, die Fähigkeit zum Hören und zum Offen-Sein für das Gehörte. Die größte Herausforderung kam zum Schluss: ein Stück von Arnold Schönberg, das mit seinen Dissonanzen und seinem undurchschaubaren Rhythmus zunächst auf die meisten ganz unzugänglich wirkte – bis der Referent deutlich machte, dass es sich um einen gleichsam in Brüche gegangenen Wiener Walzer handelte, entstanden im Jahr vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs.

Der Musiker Paul Gulda schult das Hören, hier am Klavichord

Kulturelle Inspirationen

Das Tagungsprogramm wurde abwechslungsreich ergänzt durch Exkursionen in die Stadt Wien. Eindrücklich war der Besuch der zweisprachigen Stella International School, die kürzlich ein ganz neues Gebäude in der Donau City bezogen hat. Die Schule wird von einigen Mitgliedern des Opus Dei zusammen mit vielen anderen Frauen und Männern getragen, besonders auch von Eltern.

Ein weiteres Highlight war der Besuch der Orte, an denen Wolfgang Amadeus Mozart nach seiner Übersiedelung nach Wien gewohnt hatte. An jeder Wohnstätte ließ Hermann Gil, ein erfahrener Musiklehrer, jeweils das Mozartwerk erklingen, das dort entstanden war. Zum Schluss sang er in der Deutschordenskirche St. Elisabeth höchstselbst das «Bist du bei mir» von Johann Sebastian Bach.

Die Perspektive der Ewigkeit

Alle Tagungsaktivitäten wurden gleichsam eingerahmt von geistlichen Betrachtungen durch erfahrene Priester. Sie verliehen den Überlegungen und Beratungen gleichsam die dritte Dimension: die Perspektive des Glaubens und der Ewigkeit. Wenn die Menschen sich in den Händen Gottes und auf dem Weg zum unvergänglichen Haus des Vaters wissen, werden sie den letzten Lebensabschnitt am meisten erfüllend gestalten; sie immer mehr Anlässe zur Dankbarkeit entdecken; und sie können auch gelassen die mit dem Alter verbundenen Einschränkungen annehmen und loslassen, wo es das Leben von ihnen fordert. Und so kann man zugleich zur Inspiration und zu Wegweisern für viele andere werden, gerade auch für jüngere und junge Menschen.