DIE LESUNGEN dieses Sonntags stellen die Demut ins Zentrum unserer Erwägungen. Im Evangelium lädt Jesus dazu ein, den letzten Platz einzunehmen: Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden (Lk 14,11). Der Hochmut treibt den Menschen dazu an, sich selbst über seine Geschöpflichkeit zu erheben. Das war die Versuchung Adams und Evas: wie Gott sein zu wollen. Papst Franziskus beschreibt den Hochmütigen als jemanden, „der glaubt, mehr zu sein, als er ist; der nach Anerkennung seiner Verdienste verlangt und andere mit Geringschätzung behandelt“1.
Demgegenüber ermöglicht uns die Demut, uns selbst mit gesundem Realismus zu betrachten. Der heilige Josefmaria nennt sie die Tugend, „die uns gleichzeitig die eigene Armseligkeit wie die eigene Größe erkennen lässt“2. Während wir unsere Grenzen und Fehler anerkennen, sind wir uns auch unserer Qualitäten und der Gaben bewusst, die wir von Gott erhalten haben. Nur aus dieser Wahrheit heraus – von diesem festen Boden aus – können wir ein authentisches Leben aufbauen, frei von der Last, etwas vorgeben zu müssen, jemand sein zu müssen, der wir nicht sind. Wir dürfen uns mit den Augen Gottes betrachten und voller Zuversicht sagen: „Ich bin, wie ich bin, und dennoch hat Gott mich für etwas gewollt.“
In der ersten Lesung hören wir die Empfehlung: Kind, je größer du bist, umso mehr demütige dich, und du wirst vor dem Herrn Gnade finden! Viele sind hochgestellt und berühmt, aber den Bescheidenen offenbart er seine Geheimnisse (Sir 3,18). Was die Welt bewundert – Macht, Einfluss, Reichtum –, ist für den Herrn bedeutungslos. Papst Franziskus sagte: „Das menschliche Auge ist immer auf der Suche nach dem Großen und lässt sich blenden von dem, was auffällt. Gott hingegen blickt nicht auf den äußeren Schein, sondern sieht das Herz (vgl. 1 Sam 16,7) und freut sich über die Demut.“3
DER HEILIGE JOSEFMARIA mahnte: „Lasst euch nicht entmutigen, weder durch eure persönlichen Schwächen noch durch meine, noch durch unsere Niederlagen. Öffnet euer Herz, seid einfach! Und danach lasst uns vorangehen, mit mehr Liebe und Kraft, die Gott uns gibt, denn er ist unsere Stärke.“4 Die Hoffnungslosigkeit im geistlichen Kampf ist eine direkte Frucht des Hochmuts, der meint, wir müssten aus eigener Kraft vollkommen sein. Angesichts von Niederlagen versperrt er sich dagegen, auf Gottes Hilfe und die Unterstützung anderer zu vertrauen und hält die Heiligkeit – nach seiner eigenen Logik folgerichtig – für unerreichbar.
Demut hingegen lässt uns mit Gelassenheit kämpfen, besonders wenn wir uns schwach fühlen. Wenn es unser tiefster Wunsch ist, Gott über alles zu lieben, empfinden wir einen Neuanfang nach einem Sturz nicht als bittere Demütigung. Der heilige Josefmaria hielt fest: „Wenn der Herr sieht, dass wir uns aufrichtig als arme und nutzlose Diener erachten und ein zerknirschtes und demütiges Herz haben, wird er uns nicht verachten, sondern uns mit sich vereinigen – mit dem Reichtum und der Macht seines gütigen Herzens. Und wir werden einen guten Stolz haben: den Stolz dessen, der weiß, dass er nichts Gutes hat, außer es kommt von Gott – dass er aus sich selbst nichts ist, nichts kann, nichts hat.“5
Der heilige Josefmaria sagte gerne, er halte sich für „fähig, auf die schlimmsten Irrwege und Abwege zu geraten“6. Ein solches realistisches Bewusstsein der eigenen Schwäche lässt uns unsere Stärke im Herrn suchen. „Wir alle haben Fehler, auch wenn wir seit Jahren darum kämpfen, sie zu überwinden. Wenn wir aus dem asketischen Kampf Entmutigung ziehen, sind wir hochmütig. Wir müssen demütig sein und den Wunsch haben, treu zu sein. Es ist wahr, dass wir servi inutiles sumus. Aber mit diesen nutzlosen Dienern wird der Herr Großes in der Welt vollbringen, wenn wir unseren Teil dazu beitragen: die Anstrengung, die Hand zu heben, um die Hand zu ergreifen, die Gott uns – mit seiner Gnade – vom Himmel entgegenstreckt.“7
VIELE Male werden wir Momente erleben, die uns zwar scheinbar erniedrigen, in Wahrheit aber echte Wachstumschancen bieten: eine Zurechtweisung durch einen nahestehenden Menschen anzunehmen, jemanden um Verzeihung zu bitten, der sich – zu Recht oder zu Unrecht – durch unsere Worte oder Taten verletzt fühlte, Tränen zu vergießen, weil uns die Kraft fehlt oder wir nicht wissen, wie wir eine Schwierigkeit bewältigen sollen, einzugestehen, dass wir alters- oder krankheitsbedingt nicht mehr dasselbe leisten können oder auch nicht mehr für uns selbst sorgen können, zuzugeben, dass wir uns geirrt haben.
All das tut weh, weil es unsere Verletzlichkeit offenlegt. Doch wenn wir es mit Demut annehmen, öffnet es uns für die Gnade Gottes und die Hilfe, die uns andere Menschen anbieten. So werden Niederlagen zu Stufen des inneren Lebens. Der heilige Josefmaria gibt zu bedenken: „Was macht es aus, dass wir stolpern, wenn wir zugleich mit dem Schmerz unseres Sturzes die Kraft finden, wieder aufzustehen und mit frischem Schwung weiterzugehen? Prägen wir es uns ein: Heilig ist nicht, wer niemals fällt, sondern wer – demütig und mit heiliger Hartnäckigkeit – immer wieder aufsteht.“8
Gott hat gerade wegen ihrer Demut auf die Jungfrau Maria geschaut. Deshalb ermutigt uns der heilige Josefmaria, uns gerade in Momenten der Erniedrigung uns an sie zu wenden: „Wenn du Fortschritte im inneren Leben machen willst, sei demütig. Wende dich beständig und vertrauensvoll an den Herrn und an seine heilige Mutter, die auch deine Mutter ist. Und umarme das Kreuz mit Gelassenheit und Ruhe, auch wenn die Wunde deines letzten Fehltritts immer noch schmerzt, erneut und sage: Herr, mit deiner Hilfe werde ich kämpfen, um nicht stehen zu bleiben, ich werde deinen Einladungen treu folgen, ohne Angst vor dem steilen Aufstieg, vor der scheinbaren Monotonie der täglichen Arbeit oder vor den Dornen und Steinen auf dem Weg. Ich weiß, dass deine Barmherzigkeit mir beisteht und dass ich am Ende das ewige Glück, die Freude und die Liebe für alle Ewigkeit finden werde.“9
1 Franziskus, Audienz, 6.3.2024.
2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 94.
3 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.8.2021.
4 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 25.
5 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 29.
6 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 162.
7 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 24.
8 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 131.
9 Ebd.

