JESUS ist mit seinen Jüngern im Tempel. Als einige die Schönheit des Ortes bewundern, überrascht er sie mit einer erschütternden Ankündigung: Der Tempel wird zerstört werden. Und das ist noch nicht alles. Er prophezeit auch das Auftreten falscher Propheten, Verfolgungen, Gefängnis und Tod um seinetwillen. Und angesichts all dessen gibt er ihnen diesen Rat: Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch also zu Herzen, dass ihr euch nicht sorgt, wie ihr euch verteidigen sollt (Lk 21,12-14).
Diese Worte mögen befremden: Wie soll man sich nicht verteidigen gegen ungerechte Verfolgung? Was Jesus erreichen will, ist wohl dies: dass wir weniger auf unsere Fähigkeiten achten als auf das, was er in uns wirken kann – gerade in schwierigen Zeiten: Denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können (Lk 21,15). Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, das sollen wir vor Augen haben, aber er wird uns zu Hilfe kommen. Diese Zusage stärkt unseren Glauben und unsere Hoffnung: Wir sind nie allein.
Der heilige Josefmaria Escrivá hat dies einmal stark verspürt. Als er durch die betriebsamen Straßen Londons ging, vorbei an den imposanten, hochragenden Büro- und Bankgebäuden, fühlte er sich klein und unfähig. Da hörte er in seinem Innern: „Josefmaria, du vermagst nichts – ich aber kann alles! Du bist die Ohnmacht – ich bin die Allmacht.“1 Diese Wahrheit begleitete ihn zeitlebens. Schon zuvor hatte er geschrieben: „Du spürst einen gewaltigen Glauben ... ‒ Der dir diesen Glauben gibt, wird dir auch die Mittel geben.“2
DAS WISSEN, dass Gott immer an unserer Seite ist, lässt uns gelassen und zuversichtlich sein in unserem Leben. Es bedeutet aber nicht, dass unser Handeln gleichgültig wäre, dass unsere Entscheidungen nicht zählten. Um seine Herrschaft in unseren Herzen auszudehnen, rechnet Christus mit unserem Tun, mit dem Wenigen, das wir beisteuern können. Das Evangelium ist voll von Menschen, die mit kleinen Gesten Großes bewirkten: Sie füllten Krüge mit Wasser, öffneten ein Dach für den Gelähmten, brachten Brote und Fische, reichten einem Fremden zu trinken. Unscheinbare Taten – und doch Ursprung von Wundern: der beste Wein, die Heilung, die Speisung der Menge, die Begegnung mit Gott selbst.
Der heilige Josefmaria erinnert uns daran, dass Gott kein ferner Herrscher ist, sondern ein Vater, der seine Kinder zärtlich liebt: „Der Gott unseres Glaubens ist nicht ein entrücktes Wesen, das auf das Schicksal, auf die Not und das Elend der Menschen unbeteiligt herabschaute. Er ist ein Vater, der seine Kinder innig liebt, ein Schöpfergott, der vor Zuneigung zu seinen Geschöpfen überfließt.“3 Er wird uns niemals eine Aufgabe zumuten, die über unsere Kräfte geht. Er lädt uns vielmehr ein, mit dem Alltäglichen mitzuwirken – mit Dingen, die uns klein erscheinen, in seinen Händen aber eine neue Dimension gewinnen. Papst Benedikt XVI. sagte einmal: „Jesus verlangt uns nicht ab, was wir nicht haben, sondern lässt uns sehen, dass sich das Wunder – wenn jeder das Wenige anbietet, das er besitzt – immer neu ereignen kann: Gott vermag unsere kleine Geste der Liebe zu vermehren und uns an seiner Gabe Anteil haben zu lassen.“4
ANGESICHTS der Prüfungen, die der Herr ankündigt – der Verfolgungen, Kriege, Ablehnung – kann uns manchmal scheinen, so sagte Papst Franziskus, dass unser Glaube arm ist „und unser Weg mühsam, durch widrige Kräfte blockiert“.5 Doch unsere Hoffnung, so fährt er fort, ist „die Erwartung einer Sache, die bereits erfüllt ist“6: der Triumph Jesu über den Tod und das Böse.
Seit den Anfängen der Kirche haben die Christen unzählige Schwierigkeiten ertragen. Wie sie dürfen auch wir gewiss sein, dass Gott „alle, die in Christus entschlafen sind, in das Land der Verheißung, des Lichtes und des Friedens“7. führt, wie wir im Messkanon beten. Er ist gegenwärtig – in der Welt, in der Kirche, in jedem einzelnen Leben. Und er wiederholt uns sein Versprechen: Seid standhaft, und ihr werdet euer Leben gewinnen (Lk 21,19).
Wenn wir die Widrigkeiten des Alltags mit der Überzeugung annehmen, dass wir in Gottes Händen geborgen sind, wird unser Herz ruhig und unser Blick klar. Der heilige Josefmaria schrieb: „Du hast den Herrn darum gebeten, Er möge dich ein wenig um seinetwillen leiden lassen ... Und sieh da: Da nun das Leiden kommt – auf eine sehr menschliche, sehr gewöhnliche Art –, fällt es dir doch schwer, hinter all dem Christus zu sehen. Halte deine Hände geduldig hin für diese Nägel ... Und dein Schmerz wird sich in Freude verwandeln.“8 Bitten wir die heilige Jungfrau Maria, uns zu lehren, in den Schwierigkeiten des Lebens die treue Gegenwart ihres Sohnes zu erkennen. Sie wird uns helfen, standhaft zu bleiben – im Vertrauen, dass der Herr, der alles vermag, in uns wirkt.
1 Vgl. Andrés Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Band III, S. 311.
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 577.
3 Hl. Josefmaria, Discursos sobre la Universidad, Nr. 8.
4 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 29.7.2012.
5 Franziskus, Angelus-Gebet, 9.8.2020.
6 Franziskus, Audienz, 1.2.2017.
7 Eucharistisches Hochgebet I.
8 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 234.

