3. Heute herrscht jedoch eine wachsende Verwirrung, die viele dazu verleitet, den Missionsauftrag des Herrn (vgl. Mt 28,19) ungehört und unwirksam zu lassen. Oft meint man, dass jeder Versuch, andere in religiösen Fragen zu überzeugen, die Freiheit einschränke. Es wäre nur erlaubt, die eigenen Ansichten darzulegen und die Menschen einzuladen, nach ihrem Gewissen zu handeln, ohne ihre Bekehrung zu Christus und zum katholischen Glauben zu fördern: Man sagt, es genüge, den Menschen zu helfen, bessere Menschen oder der eigenen Religion treuer zu sein; es genüge, Gemeinschaften zu bauen, die fähig sind, für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und Solidarität zu arbeiten. Darüber hinaus behaupten einige, dass man Christus denen, die ihn nicht kennen, nicht verkünden und deren Zugehörigkeit zur Kirche nicht fördern sollte, weil es möglich sei, auch ohne ausdrückliche Kenntnis Christi und ohne formale Eingliederung in die Kirche gerettet zu werden.
8. Die Evangelisierung beinhaltet auch den ehrlichen Dialog, der die Argumente und Empfindungen des anderen zu verstehen sucht. Denn zum Herz des Menschen gelangt man nicht ohne unentgeltlichen Einsatz, Liebe und Dialog. Das verkündete Wort soll also nicht nur ausgesprochen, sondern im Herzen seiner Empfänger auch angemessen bezeugt werden. Das erfordert, auf die Hoffnungen und Leiden sowie auf die konkreten Situationen derer zu achten, an die man sich wendet. Darüber hinaus öffnen die Menschen guten Willens gerade im Dialog ihr Herz bereitwilliger und teilen ehrlich ihre geistlichen und religiösen Erfahrungen mit. Ein solcher Austausch, der für echte Freundschaft kennzeichnend ist, bietet eine wertvolle Gelegenheit für das Zeugnis und für die christliche Verkündigung.
Wie in jeden Bereich menschlicher Tätigkeit, kann sich auch in den Dialog über religiöse Fragen die Sünde einschleichen. Es kann gelegentlich vorkommen, dass dieser Dialog nicht von seinem eigentlichen Ziel bestimmt ist, sondern dem Betrug, egoistischen Interessen oder der Anmaßung unterliegt und so den Respekt vor der Würde und der religiösen Freiheit der Gesprächspartner schuldig bleibt. Daher verbietet die Kirche „streng, dass jemand zur Annahme des Glaubens gezwungen oder durch ungehörige Mittel beeinflusst oder angelockt werde, wie sie umgekehrt auch mit Nachdruck für das Recht eintritt, dass niemand durch üble Druckmittel vom Glauben abgehalten werde“.
Der ursprüngliche Beweggrund der Evangelisierung ist die Liebe Christi, der das ewige Heil der Menschen will. Die wahren Verkünder des Evangeliums möchten lediglich das umsonst weiterschenken, was sie selbst umsonst empfangen haben. „Schon in den Anfängen der Kirche haben sich die Jünger Christi abgemüht, die Menschen zum Bekenntnis zu Christus dem Herrn zu bekehren, nicht durch Zwang und durch Kunstgriffe, die des Evangeliums nicht würdig sind, sondern vor allem in der Kraft des Wortes Gottes“. Die Sendung der Apostel – und ihre Fortführung in der Sendung der alten Kirche – bleibt für alle Zeiten das grundlegende Modell der Evangelisierung: Diese Sendung ist oft vom Martyrium gekennzeichnet, wie auch die Geschichte des eben vergangenen Jahrhunderts zeigt. Gerade das Martyrium verleiht den Zeugen Glaubwürdigkeit, weil sie nicht Macht oder Gewinn suchen, sondern das eigene Leben für Christus hingeben. Sie zeigen der Welt jene gewaltlose Kraft, die voll Liebe zu den Menschen ist und jenen geschenkt wird, die Christus bis zur Ganzhingabe ihres Lebens nachfolgen. So haben die Christen seit den Anfängen des Christentums bis in unsere Tage um des Evangeliums willen Verfolgungen erlitten, wie Jesus selbst es vorhergesagt hatte: „Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ ( Joh 15,20).
12. Die Sendung der Kirche ist universal und nicht auf bestimmte Regionen der Erde begrenzt. Die Evangelisierung geschieht freilich auf verschiedene Weisen je nach den unterschiedlichen Situationen, in denen sie sich entfaltet. Im eigentlichen Sinn gibt es die „missio ad gentes“ zu denen, die Christus nicht kennen. In einem weiteren Sinn spricht man von „Evangelisierung“, um die gewöhnliche Seelsorge zu bezeichnen, und von „Neuevangelisierung“, um die Sorge für jene zu beschrieben, die den christlichen Glauben nicht mehr praktizieren. Darüber hinaus gibt es die Evangelisierung in Ländern, wo nicht katholische Christen leben, vor allem in Ländern mit alter christlicher Tradition und Kultur. Hier ist sowohl echter Respekt für ihre Tradition und ihre geistlichen Reichtümer als auch aufrichtiger Wille zur Zusammenarbeit gefordert. Die Katholiken sollen „mit den von ihnen getrennten Brüdern, gemäß den Richtlinien des Dekretes über den Ökumenismus, brüderlich zusammenarbeiten im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens an Gott und an Jesus Christus vor den Heiden, soweit dieses vorhanden ist, ebenso im Zusammenwirken in sozialen und technischen sowie kulturellen und religiösen Dingen, wobei man jeden Anschein von Indifferentismus und Verwischung sowie ungesunder Rivalität vermeiden muss“.
Im ökumenischen Einsatz lassen sich verschiedene Dimensionen unterscheiden: Zunächst bedarf es des Zuhörens , das eine grundlegende Bedingung für jeden Dialog ist. Dann folgt die theologische Diskussion , in der man versucht, die Bekenntnisse, Traditionen und Überzeugungen der anderen zu verstehen, und zu einer im Streit manchmal verdeckten Übereinstimmung gelangen kann. Untrennbar von alldem darf eine weitere wesentliche Dimension des ökumenischen Bemühens nicht fehlen: die Bezeugung und Verkündigung der Elemente, die nicht partikuläre Überlieferungen oder theologische Feinheiten darstellen, sondern zur Tradition des Glaubens selbst gehören.
Der Ökumenismus besitzt aber nicht nur eine institutionelle Dimension, die darauf abzielt, „die zwischen den Christen bestehende teilweise Gemeinschaft bis zur vollen Gemeinschaft in der Wahrheit und in der Liebe wachsen zu lassen“. Er ist Aufgabe jedes einzelnen Gläubigen, vor allem durch das Gebet, die Buße, das Studium und die Zusammenarbeit. Immer und überall hat jeder katholische Gläubige das Recht und die Pflicht, den eigenen Glauben zu bezeugen und in seiner Fülle zu verkünden. Mit den nicht katholischen Christen muss der Katholik in einen Dialog treten, in dem Liebe und Wahrheit respektiert werden. Dieser Dialog ist nicht nur ein Austausch von Gedanken, sondern von Gaben, damit ihnen die Fülle der Heilsmittel angeboten werden kann. So gelangt man zu einer immer tieferen Bekehrung zu Christus.
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Entscheidung eines nicht katholischen Christen, der von der katholischen Wahrheit überzeugt ist und aus Gewissensgründen darum bittet, in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche einzutreten, als Werk des Heiligen Geistes und als Ausdruck der Gewissens- und Religionsfreiheit zu respektieren ist. In diesem Fall handelt es sich nicht um Proselytismus in dem negativen Sinn, den dieser Begriff erhalten hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Dekret über den Ökumenismus ausdrücklich festgehalten: „Es ist klar, dass die Vorbereitung und die Wiederaufnahme solcher Einzelner, die die volle katholische Gemeinschaft wünschen, ihrer Natur nach etwas von dem ökumenischen Werk Verschiedenes ist; es besteht jedoch kein Gegensatz zwischen ihnen, da beides aus dem wunderbaren Ratschluss Gottes hervorgeht“. Daher nimmt dieses Werk nichts weg von dem Recht und von der Verantwortung, die Fülle des katholischen Glaubens anderen Christen zu verkünden, die ihn in Freiheit annehmen wollen.
Diese Auffassung erfordert natürlich, jeden unrechtmäßigen Druck zu vermeiden. „Man muss sich... bei der Verbreitung des religiösen Glaubens und bei der Einführung von Gebräuchen allzeit jeder Art der Betätigung enthalten, die den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte oder ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft“. Das Zeugnis für die Wahrheit will nichts mit Gewalt auferlegen, weder mit Zwangsmaßnahmen noch mit Kunstgriffen, die dem Evangelium widersprechen. Die Übung der Liebe ist umsonst. Die Liebe und das Zeugnis für die Wahrheit zielen darauf ab, vor allem mit der Kraft des Wortes Gottes zu überzeugen (vgl. 1 Kor 2,3-5; 1 Thess 2,3-5). Die christliche Mission stützt sich auf die Kraft des Heiligen Geistes und der verkündeten Wahrheit selbst.