Der Rheinländer Franz Heukamp ist seit 2016 Dekan der IESE Business School. 1958 entstand die Managementschule IESE auf Initiative des heiligen Josefmaria Escrivá. Mittlerweile hat sie neben dem Stammsitz Barcelona Niederlassungen in Sao Paulo, New York, Madrid sowie seit über zehn Jahren auch in München. Aktuell werden in Masterstudiengängen und berufsbegleitenden MBA-Programmen rund 1.500 aktuelle und künftige Führungskräfte der Wirtschaft ausgebildet. Hauptziel von IESE ist, die Unternehmens- und Wirtschaftswelt mit der Idee des christlichen Humanismus zu beleben.
Professor Heukamp, nicht nur das Opus Dei begeht 2028 ein Jubiläum, sondern die IESE Business School feiert ihren 70-jährigen Geburtstag. Was gab im Spanien Ende der 50er den Ausschlag zur Gründung einer Managementschule?
Heukamp: Das bis dahin isolierte Spanien erlebte in den späten 1950er Jahren zum ersten Mal eine gewisse Öffnung hin nach Europa. Es wurden Handelsbeziehungen geknüpft, Touristen kamen in das Land, es gab staatliches Geld für Infrastrukturprojekte. Der heilige Josefmaria verfolgte diese Entwicklungen sehr aufmerksam. Er sah eine günstige Gelegenheit gekommen, der Gesellschaft auch aus christlichem Geist heraus neue Impulse zu verleihen. So wurde auf seine Initiative hin bereits 1952 die Universität von Navarra in Pamplona ins Leben gerufen. Diese Universität sollte durch ihr bewusst christliches Miteinander zwischen Dozenten und Studentenschaft eine neue Ära in der bis dahin sehr hierarchisch geprägten spanischen Hochschullandschaft einläuten. Daran knüpfte sechs Jahre später die Gründung einer dazugehörigen Fakultät für Managementausbildung, eine Business School, mit Sitz in Barcelona an. Dem Gründer des Opus Dei ging es darum, Unternehmer und Führungskräfte zu inspirieren, ihre Arbeit als Verantwortung und Dienst am Menschen zu verstehen und zu gestalten. Erst wenn sie ihr Produkt und ihre Mitarbeiter so in ihrem Dienst für die Gesellschaft sähen, könnte die Wirtschaft authentisch human sein. Hier sah der heilige Josefmaria einen Hauptansatz zur christlichen Antwort auf die soziale Frage.
Wie füllte sich dieser Gedanke mit Inhalt? Was ist der rote Faden von IESE von 1958 an bis heute?
Heukamp: Die soziale Frage fokussierte sich ja zunächst auf die massenhafte Verarmung der Arbeiter in den Städten. Die erste Antwort waren staatliche Unterstützungsprogramme. Sie haben sicher ihren guten Beitrag geleistet. Doch IESE drehte die Perspektive um. Erst wenn die Führungsverantwortlichen ein richtiges Bild von Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln, geht es auch den Arbeitern gut. Das gilt bis heute: Die Zufriedenheit und gute Leistung eines Mitarbeiters ist nicht in erster Linie das Resultat guter Bezahlung, sondern seiner Identifikation mit dem Unternehmen und der Unternehmensführung. Mit IESE wollte der heilige Josefmaria die katholische Soziallehre in die Praxis überführen. Unternehmer und Manager sollten fähig werden, in den zahlreichen Dilemmas – vor denen jedes Unternehmen regelmäßig steht –, eine christliche Richtschnur zur Basis ihrer Entscheidungen zu nehmen. Solche Entscheidungen können in der Unternehmenswelt nur selten das Ideal erreichen. Häufig sind sie eher eine Entscheidung für das geringere Übel. Und oft handelt es sich um Entscheidungen, die man als Privatperson mitunter nicht treffen möchte; für Geschäftsführer gehören sie aber zu der mit dem Amt verbundenen Pflicht.
Es gibt Stimmen, die meinen, größere Institutionen wie Staaten oder Unternehmen können nicht nach der Bergpredigt geführt werden. Widersprechen Sie dem? Wie viel christliche Unternehmensführung ist möglich?
Heukamp: Die Bergpredigt ist kein Management-Leitfaden, das ist richtig. Aber es geht ihr um das rechte Verhalten des Einzelnen in seiner Beziehung zu Gott und den Mitmenschen. Das inspiriert natürlich auch die berufliche Welt. Auf der anderen Seite gilt: Je größer die Organisation ist, desto geringer wird der Handlungsspielraum des Einzelnen. Unser Ziel ist es nun nicht, christliche Unternehmen zu kreieren, sondern christlich gesinnte Unternehmer zu formen. Es braucht im Unternehmen immer einen Entscheidungsträger. So ist in dieser Organisationsform auch mehr Bergpredigt möglich als anderswo. Ein Unternehmer, der in Dilemma-Entscheidungen die Bergpredigt als Grundlage nimmt, ist sicher ein Gewinn für die Gesellschaft allgemein und natürlich für seine Mitarbeiter.
Wie sehr passt die erwähnte Betonung der einzelnen Person zu der zunehmenden Demokratisierung auch in der Unternehmenswelt?
Heukamp: Es stimmt, heute werden Entscheidungen in Unternehmen viel stärker teambasiert getroffen. Die Mitarbeiter einzubeziehen ist hierbei ein wesentliches Element. Wir begrüßen das. De facto bleibt es aber dabei: Strategien, Risiken und schwierige Entscheidungen müssen letztlich oft von einer einzigen Person verantwortet werden. Diese Person soll dann auf ihre Teams und Mitarbeiter ausstrahlen – und zwar gerade mit ihrer Auffassung von Arbeit als Dienst, mit Sorgfalt bei der Durchführung aller Maßnahmen und mit ihrem Blick auf die Betroffenen als Maßstab ihrer Entscheidungen. Daher ist unser Bildungsansatz der christliche Humanismus, der ja bewusst das Individuum in seiner sozialen Rolle in den Blick nimmt. Er ist zudem offen für andere ethische Lehren und hat das Wachstum der ganzen Person in seiner geistig-moralischen Dimension im Sinn.
Braucht es zur Umsetzung des christlichen Humanismus den christlichen Glauben?
Heukamp: Nein, eine Spiritualität der Arbeit ist auch ohne Glaubenspraxis möglich. Religion ist bei IESE implizit, nicht explizit. Auf jedem IESE-Campus stehen den Studenten eine Kapelle mit Messfeier sowie Priester und Laien für Gespräche als Angebot zur Verfügung. Um den christlichen Humanismus voll zu verwirklichen, ist aber der gelebte Glaube sicher ein entscheidendes Kriterium. So wird es immer Menschen bei IESE geben, die die Botschaft des heiligen Josefmaria – eine Botschaft des Evangeliums Christi – kennen und leben. Aber die direkt auf die Arbeit bezogenen und von uns vermittelten Inhalte sind für alle Menschen zugänglich.
Was kann ein IESE-Student heute vom heiligen Josefmaria, einem spanischen Priester des 20. Jahrhunderts, lernen?
Heukamp: Ein wesentliches Element von Josefmarias Botschaft ist die „Heiligung der Arbeit“. Diese Formulierung kann heute schwer verständlich wirken. Sie meint letztlich drei Komponenten, die bei IESE im Zentrum stehen: die professionelle Exzellenz, die Integrität der Person und eine Dimension des Dienstes. Wer sich für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter wirklich einsetzt, der lebt die christliche Idee von Arbeit und Führung. Und wenn dies alles letztlich mit Liebe zu Gott – und deshalb mit Liebe zu den Menschen – getan wird, können wir von Heiligung sprechen. Diese Idee bildet den Ursprung von IESE und wird immer der Kern unseres Leitbilds bleiben. Für nicht wenige unserer Studenten sind diese Gedanken eine revolutionäre Entdeckung. Dass ihre Arbeit im Unternehmen ein Weg zu Gott sein kann, ist für viele Manager komplettes Neuland. Und bei Studenten ohne Glauben an Gott löst diese Grundidee immer wieder Aufbrüche des Herzens aus. Unser Anspruch ist es, dass jeder Absolvent diese vom christlichen Humanismus gespeiste Einstellung in sein Unternehmen trägt und damit zum Wohl der ganzen Gesellschaft beiträgt. Heute stehen wir außerdem vor neuen Herausforderungen: Ich nenne hier vor allem den technologischen Fortschritt rund um die Künstliche Intelligenz. Da gewinnt diese Geisteshaltung immer größere Bedeutung. Wir haben also noch viel zu tun und sind dankbar, mit dem heiligen Josefmaria eine starke Inspiration und einen hilfreichen Beistand zu haben.