Betrachtungstext: 30. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Gott wirkt im Kleinen – Missverhältnis zwischen Sendung und Werkzeug – Ein Wort, das durchsäuert

Ein kleines Senfkorn liegt auf einem Finger

JESUS ist gekommen, um uns das Innerste Gottes und seinen Heilsplan zu offenbaren. Doch wie sollte er uns die Größe der Liebe, die er uns schenken will, mit menschlichen Worten erklären? In den Jahren seines öffentlichen Wirkens suchte der Herr nach bildhaften Vergleichen, um uns das Mysterium Gottes und sein Handeln in unserer Seele und in der Geschichte näher zu bringen: Wem ist das Reich Gottes ähnlich, womit soll ich es vergleichen? (Lk 13,18), fragte er sich und fand eine Lösung in kraftvollen Bildern, die den Menschen damals aus dem Alltagsleben bestens vertraut waren. Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn, das ein Mann nahm und in seinen Garten säte; es wuchs und wurde zu einem Baum und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen. Auch ist es wie der Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Sea Mehl verbarg, bis das Ganze durchsäuert war (Lk 13,19.21).

Das Senfkorn und der Sauerteig stehen für zweierlei: Kleinstformat und Diskretion. So handelt der allmächtige Gott: auf eine Weise, die zumeist unbemerkt bleibt, aber stets wirksam ist. Um sein Wirken zu erkennen, müssen wir auf das achten, was nicht offensichtlich ist. Das ist nicht leicht, denn unsere Tage sind voller Betriebsamkeit, die einen Gutteil unserer Aufmerksamkeit verlangt, sodass wir das Handeln des Herrn vielleicht nicht wahrnehmen. Doch „Gott ist am Werk“, sagt Papst Franziskus, „wie ein kleines, gutes Samenkorn, das still und langsam keimt. Und ganz allmählich wird daraus ein üppiger Baum, der allen Leben und Erfrischung schenkt.“ Eine solche Wirksamkeit spricht der Papst auch unseren Werken zu, wenn er sagt: „Auch der Same unserer guten Werke mag nicht nach viel aussehen; aber alles, was gut ist, ist von Gott und trägt daher demütig und langsam Frucht. Das Gute – denken wir daran – wächst immer auf bescheidene Weise, auf verborgene Weise, oft unsichtbar.“1 Keine Mühe, die wir aus Liebe zu Gott auf uns nehmen, und mag sie noch so bescheiden sein und von niemandem beachtet werden, geht verloren.


MIT DEM BILD des Senfkorns schildert Jesus seinen Jüngern auch, wie seine Kirche in der Welt wachsen würde. Ein Kirchenvater erläuterte dies so: „Der Herr wollte mit dem Beispiel des Senfkorns eine Größe angeben. Denn er meint, dass es so auch mit der Verkündigung des Evangeliums gehen wird. Auch die Jünger waren ja schwache und unbedeutende Menschen; weil aber eine große Kraft in ihnen wohnte, breitete sich das Evangelium über den ganzen Erdkreis aus.“2 Die Evangelisierung und die Ausbreitung des Reiches Christi beginnen im Kleinen. Und damit ist jeder einzelne Christ gemeint. Wir können uns einen jeden von uns als Senfkorn vorstellen, das in den Boden unserer alltäglichen Umgebung – am Arbeitsplatz oder in der Familien – gesät wird. Durch kleine Akte der Liebe und des Glaubens wird dieses Senfkorn wachsen und zu einem Zufluchtsort für viele Menschen werden, die in seinem Schatten Trost und Hoffnung finden.

Dies kann uns mit Hoffnung und Optimismus erfüllen, selbst wenn wir manchmal das Gefühl haben, dass es schwierig ist, das Reich Gottes in der Welt zu verbreiten. Wir könnten in solchen Momenten denken, wie der heilige Josefmaria schrieb, „dass wir, die wir fest entschlossen sind, auf die göttliche Einladung zu antworten, nur wenige sind und uns außerdem als gar nicht besonders taugliche Werkzeuge sehen“3. Dennoch wissen wir, dass nur ein wenig Hefe genügt, um die gesamte Masse zum Gären zu bringen. Und wir haben die Gewissheit, „dass Christus uns alle erlöst hat und einige wenige von uns in seinen Dienst nehmen möchte, damit wir, obwohl wir persönlich unbedeutend sind, sein Heil bekannt machen“4. Die Geschichte der Kirche begann mit einigen wenigen Menschen, die zwar begrenzte Fähigkeiten, aber die Gnade hatten, den auferstandenen Jesus gesehen und den Heiligen Geist empfangen zu haben. Andere mögen bessere Voraussetzungen oder Ressourcen zur Verfügung gehabt haben, wie es die Briefe des heiligen Paulus an die ersten christlichen Gemeinden zeigen. Jedenfalls hat die Kraft des lebendig gewordenen Glaubens die einen und die anderen die Enden der damals bekannten Welt und Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft erreichen lassen. Auf diese Weise können auch wir die Menschen um uns herum erreichen.


DIE HEFE wirkt wie eine verborgene und geheimnisvolle Kraft. So beschreibt der heilige Josefmaria die Herstellung von selbstgebackenem Brot: „Vielleicht habt ihr es selbst einmal erlebt, wie vielerorts Brot zubereitet wird: Es ist ein richtiges Zeremoniell, und am Ende kommt etwas Wunderbares, Schmackhaftes, köstlich Anzusehendes heraus. Sie nehmen gutes Mehl, nach Möglichkeit von der besten Sorte. In einer langen Prozedur, die Geduld erfordert, bereiten sie den Teig im Backtrog zu und mischen die Hefe darunter. Dann lassen sie ihn ruhen; das ist nötig, damit die Hefe wirkt und den Teig aufgehen lässt. Unterdessen brennt schon das Feuer im Backofen. Wenn das Holz abbrennt, wird neues nachgelegt. Und dann wird dieses Backgut in der Hitze des Feuers zum weichen, lockeren Brot von hoher Qualität. Ein solches Ergebnis ist nur möglich durch den Einfluss einer kleinen Menge Hefe, die sich aufgelöst hat, die verschwand, während sie unter den anderen Zutaten unbemerkt ihre Wirkung entfaltete.“5

In der Stille unseres Gebets, aber auch inmitten unseres Arbeitstags, können wir Gottes Wort wie eine Messerspitze Hefe in uns eindringen lassen. Nach und nach kann sie in unserem Herzen und in unseren Handlungen wirken und unser Leben in gutes und schmackhaftes Brot verwandeln. Wir alle haben schon erlebt, dass beim Lesen der Heiligen Schrift ein Vers, ein Bild oder ein Satz in unserer Seele nachhallte und uns berührte. In solchen Fällen können wir dieses Wort bewahren und in unser tägliches Leben eindringen lassen, so dass es dieses durchsäuert und vergöttlicht. Papst Franziskus schrieb: „Die Bibel lehrt uns, dass Gottes Stimme in der Ruhe, in der Achtsamkeit, in der Stille zu hören ist. (…) Es ist nicht einfach nur ein Text, den man lesen kann. Das Wort Gottes ist eine lebendige Gegenwart, es ist ein Werk des Heiligen Geistes, der tröstet, unterweist, Licht, Kraft, Erquickung und Lebensfreude schenkt. Die Bibel lesen, einen Abschnitt, einen oder zwei Abschnitte aus der Bibel lesen, sind gleichsam kleine Telegramme Gottes, die sofort ins Herz gelangen.“6 Im Gleichnis vom Sauerteig ist auch von einer Frau die Rede. Diese Frau könnte Maria sein, die unermüdlich daran arbeitet, den Sauerteig Christi in die Herzen ihrer Kinder einzubringen, um die Gnade in unserem Leben wachsen und reifen zu lassen. Sie sorgt dafür, dass der Glaube in uns aufgeht und unser Leben verwandelt.


1 Franziskus, Angelus-Gebet, 13.6.2021.

2 Hl. Johannes Chrysostomus, Homilien über das Evangelium des Matthäus, Nr. 46.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 9.

4 Ebd.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 257.

6 Franziskus, Audienz, 21.12.2022.