Sind wir wirklich frei?

In einem in „Las Provincias“ in Valencia (Spanien) publizierten Artikel gibt Pablo Cabellos einen Überblick über die Bedeutung der Freiheit aus religiöser Sicht.

Eine Antwort auf die Frage aus der Überschrift zu diesen Zeilen ist vielleicht gar nicht so leicht zu geben. Aus anthropologischer Sicht müsste man natürlich mit „Ja“ antworten, da die Freiheit ja die größte Gabe der Person ist. Als Christ muss ich sagen: es gibt die Freiheit. Das ist aber nicht für alle ganz so klar, weder bezüglich der Ausübung durch jeden Menschen, noch in ihrer Zielsetzung, denn wir sind uns nicht alle darüber einig, was der Mensch ist, noch über seine Herkunft und seine Bestimmung. Aus politischer Sicht könnte man antworten, dass wir in einem demokratischen Staat leben und daher frei sind. Das wird wohl feststehen. Aber was müsste man sagen, wenn wir die Freiheit in ihrem tiefsten Sinn betrachten? Kann es in einem totalitären Staat Menschen mit einer anspruchsvolleren Freiheit geben?

Bei einer Zustimmung zur letzten Frage heißt das natürlich nicht, dass eine Diktatur gut sei, es geht vielmehr darum, daran zu denken, dass Freiheit die Menschen reif macht. Aus soziologischer Sicht könnte man beispielsweise an sinnvolle Einschränkungen durch die Gesellschaft in der wir leben denken, aber auch an weniger sinnvolle, oder an sinnvolle Beschränkungen, die übertreten werden oder aber nicht existieren.

"Gegenüber jenen, die sich hinter ihrer Freiheit verbarrikadieren, um sie nicht oder in schlechter Weise zu gebrauchen, zeigt Christus seinen Sieg durch seine völlige, blutige Lebenshingabe."

Viele haben die Freiheit aus der Sicht des Glaubens zu lieben gelernt, insbesondere durch das Neue Testament. Es sei hinzugefügt, dass man sich diesbezüglich mit Hilfe des Lehramtes der Kirche und einiger außergewöhnlicher Persönlichkeiten - unter denen man Augustinus, Thomas von Aquin, Josefmaria Escrivá, Johannes Paul II und Benedikt XVI anführen könnte – zunehmend vertiefen kann.

Was hat es mit dem unruhigen Herzen des heiligen Augustinus auf sich? Geht es ihm nicht um die Suche jenes Gutes, das frei macht und das er aus seiner Liebe heraus bedauert, so spät gefunden zu haben? Mit seinen Studien über das ewige Gesetz, das Naturgesetz und das Gewissen verkörpert der heilige Thomas das eifrige Streben nach der Wahrheit, die freimacht. In seinen Werken De MaloDe VeritateSumma Theologiae und vielen anderen, stellt er seine machtvolle Intelligenz in dessen Dienst. Und beim heiligen Johannes Paul II überstrahlt diese Wahrheit alle vorübergehenden Modeerscheinungen, wenn er feststellt: „Der gekreuzigte Christus offenbart die authentische Bedeutung von Wahrheit, er lebt sie in Fülle, indem er sich ganz hingibt und seine Schüler auffordert, an seiner Freiheit teilzuhaben“.

Gegenüber jenen, die sich hinter ihrer Freiheit verbarrikadieren, um sie nicht oder in schlechter Weise zu gebrauchen, zeigt Christus seinen Sieg durch seine völlige, blutige Lebenshingabe. Man verwirklicht die Freiheit indem man sie gibt. Kardinal Ratzinger hat sich ausführlich mit der Freiheit befasst, hat aber am bemerkenswerten Weltjugendtag 2005 ihre Tiefe ganz einfach in einem Ereignis gesucht: im beim letzten Abendmahl vorweggenommenen Kreuz, das bei der Feier der heiligen Messe erneuert wird. Christus wandelt die Grausamkeit, mit der er ans Kreuz geschlagen wird in Liebe, die sich ganz verströmt. In Schöpfung und Sünde schreibt er: Die große Sünde des Menschen besteht darin, „dass der Mensch seine Geschöpflichkeit leugnen will, weil er die damit verbundenen Begrenzungen nicht akzeptieren will“. Den Jugendlichen in Köln sagte er, dass so ein Mensch nie frei sein wird, denn „Freiheit heißt nicht das Leben genießen und sich für absolut autonom zu halten, sondern sich nach der Wahrheit und dem Guten zu richten, um so zu sich selbst zu finden und wahrhaftig und gut zu werden“.

Vom Gründer des Opus Dei stammen folgende Worte: „Ganz besonders darf er (der Christ), das Gut der persönlichen Freiheit nicht aus dem Auge verlieren. Nur wenn er die individuelle Freiheit der anderen, die immer zugleich auch persönliche Verantwortung bedeutet, mit menschlicher und christlicher Redlichkeit zu verteidigen weiß, wird er ebenso auch die eigene verteidigen können“.

An anderer Stelle betont er, dass er seine Liebe zur Freiheit nicht nur predigt, sondern hinausschreit, angesichts jener Kleinmütigen, die in ihr eine Gefahr für den Glauben sehen. Nur eine falsch verstandene Freiheit könnte so wirken, eine sogenannte Freiheit ohne jegliche Zielsetzung, ohne objektive Normen und ohne Verantwortlichkeit.

"man könnte vom unerträglichen Leichtsinn gewisser oberflächlicher oder gar frivoler Freiheitsvorstellungen sprechen; oder von solchen, die versklaven, die – wie Thomas von Aquin sagt – den Menschen für fremde Interessen einspannen, seine Persönlichkeit erniedrigen"

Aber er erinnert immer daran, dass sich Jesus nicht aufdrängen will. Deshalb übernimmt er es, das Entsetzliche inhaltsleerer Worte aufzuzeigen: „Freiheit“, in deren Namen man in Ketten legt, „Fortschritt“, der uns zur Barbarei zurückführt und „Wissenschaft“, mit der man die eigene Ignoranz kaschiert.... verdorbene Ware in neuer Verpackung (vgl. Die Spur des Sämanns, 933). Sind wir frei, wenn wir uns an der Wahrheit und am Guten orientieren oder sind wir es nur ein Bisschen? Das II Vatikanische Konzil hat wieder darauf verwiesen, dass wir verpflichtet sind, die Wahrheit zu suchen und uns nach ihr zu richten. Wir könnten uns fragen, welches Gut wir suchen, denn nach irgendetwas streben wir doch. Ist es etwas, was die Persönlichkeit stärkt, etwas das sie überschreitet?

Nach bekannten Aussagen könnte man von der unerträglichen Leichtsinnigkeit gewisser oberflächlicher oder gar frivoler Freiheitsvorstellungen sprechen; oder von solchen, die versklaven, die – wie Thomas von Aquin sagt – den Menschen für fremde Interessen einspannen, seine Persönlichkeit erniedrigen, seine Natur verletzen und – christlich ausgedrückt – Gott beleidigen sowie den Nächsten und sich selbst verletzen. Man kann auch von Versklavung durch die Sünde sprechen, von Irrtum, Frivolität oder missglücktem Leben. Aber auch bei solchen Gegebenheiten hört das Geschöpf nicht auf frei zu sein, weil das nicht möglich ist, aber es lebt eine krankhafte, gescheiterte Freiheit, mit der man nicht weit kommt. Laut Thomas von Aquin ist man umso mehr Sklave, je mehr man das Eigentliche (des Menschen) einschränkt: die Vernunft, den Willen und das rechte Herz.

Es braucht also große Anstrengungen in der Erziehung, um die Wahrheit, das Gute, die Schönheit, die Einheit zu vermitteln, die uns inmitten der gewöhnlichen Tätigkeiten zur Ausübung der menschlichen Tugenden führen: zu Wahrhaftigkeit, Loyalität, Fleiß, Frohsinn, Mut, Ausdauer, Stärke, Solidarität, Gerechtigkeit, Nüchternheit, Großzügigkeit, Klugheit, Demut, Anstand, Ehrbarkeit, Schamhaftigkeit, etc. – und, wenn man Christ ist, zu den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. So wird es gelingen nach den Worten des heiligen Petrus zu leben: „Handelt als Freie, aber nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für das Böse nehmen“ (1 Petr 2,16).

Pablo Cabellos in „Las Provincias“, Valencia (Spanien)

Ismael Martínez Sánchez