„VOR NICHT allzu langer Zeit“, sagte der heilige Josefmaria, „stand ich staunend vor einem Marmorrelief, das die Anbetung des Kindes in der Krippe durch die Weisen aus dem Morgenland darstellte. Den Rahmen bildeten vier Engel, die jeweils mit einem Symbol ausgestattet waren: Einer trug ein Diadem, ein anderer eine von einem Kreuz gekrönte Weltkugel, der dritte ein Schwert und der vierte ein Zepter. Diese uns wohlbekannten Symbole veranschaulichen sehr eindrucksvoll das Ereignis, das wir heute feiern. Weise Männer – der Überlieferung nach waren es Könige – werfen sich vor dem Kinde nieder, nachdem sie in Jerusalem gefragt haben: Wo ist der neugeborene König der Juden? (Mt 2,2).“1
Epiphanie bedeutet Erscheinung oder Kundmachung. Heute feiern wir voll Freude die Offenbarung des Herrn vor allen Völkern, die durch die Weisen aus dem Orient repräsentiert werden. Nach den Hirten gibt sich der Herr diesen geheimnisvollen Persönlichkeiten zu erkennen. In der Epiphanie tut Gott seinen Sohn „durch den Stern den Heidenvölkern“2 kund, heißt es im Tagesgebet. Papst Franziskus unterstrich in einer Predigt zum heutigen Fest „die schöne Wirklichkeit des Kommens Gottes für alle: Jede Nation, Sprache und Bevölkerung wird von ihm aufgenommen und geliebt. Symbol dafür ist das Licht, das alles erreicht und erleuchtet.“3 Das neugeborene Kind ist der den Israeliten verheißene Messias, dessen Sendung sich jedoch auf alle Völker der Erde erstreckt. „Wir feiern Christus, das Ziel der Pilgerschaft der Völker auf der Suche nach dem Heil“4, lehrt Benedikt XVI.
Im Evangelium hören wir: Die Sterndeuter gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm (Mt 2,11). In ihrer Anbetung sehen wir Millionen von Menschen aus allen Winkeln der Erde vertreten, die sich auf den Ruf Gottes hin auf den Weg machen, um Jesus Christus zu verehren. Das ist der volle Sinn der Prophezeiung, die Jesaja an die heilige Stadt richtet, ein Bild für die Kirche: Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir (Jes 60,1). Von überall her werden Könige und Völker in das neue Jerusalem kommen, das Licht der Nationen, angezogen durch den Glanz seiner Herrlichkeit. Als Mutter und Lehrerin aller Völker nimmt die Kirche sie in ihren Schoß auf und bringt sie Christus als wertvolle Gabe dar.
SEIT DER ANBETUNG der Könige sind mehr als zwanzig Jahrhunderte vergangen, doch hat dieser endlose Zug von Menschen aus aller Welt gerade erst begonnen. Ein Aufruf hallt durch die Zeiten: Alle Enden der Erde sollen daran denken und sich zum Herrn bekehren: Vor dir sollen sich niederwerfen alle Stämme der Nationen (Ps 22,28). Die ersten Christen vollbrachten eine tiefgehende Evangelisierungsarbeit; es gelang ihnen, den Glauben in der ganzen bekannten Welt auszubreiten; sie säten mit breitem Wurf, und die Früchte ließen nicht auf sich warten. Seitdem nähern sich immer wieder neue Völker Jesus und Maria an, und dies setzt sich fort. So kamen auch wir – aus allen Ländern, Rassen und Sprachen – zum Glauben. Jesaja prophezeite eine große Bewegung: Erhebe deine Augen ringsum und sieh: Sie alle versammeln sich, kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern (Jes 60,4).
„Es ist notwendig, immer wieder zu betonen“, bemerkte der heilige Josefmaria, „dass sich Jesus nicht an einige Privilegierte wandte, sondern gekommen ist, um uns die allumfassende Liebe Gottes zu offenbaren. Alle Menschen sind von Gott geliebt, von allen erwartet er Liebe, von allen – ungeachtet ihrer persönlichen Voraussetzungen, sozialen Stellung, Beruf oder Amt. Das gewöhnliche, alltägliche Leben ist nicht von geringem Wert: Alle Wege der Erde können Gelegenheit für eine Begegnung mit Christus sein, der uns zur Einswerdung mit ihm ruft, damit wir – dort, wo wir sind – seine göttliche Sendung erfüllen. Gott ruft uns durch die Zwischenfälle des täglichen Lebens, in Freude und Leid unserer Mitmenschen, in den alltäglichen Belastungen unserer Kollegen und in den vielen Kleinigkeiten des Familienlebens. Er ruft uns auch durch die großen Probleme, Konflikte und Aufgaben, die jede geschichtliche Epoche prägen und das Hoffen und Mühen eines Großteils der Menschheit auf sich ziehen.“5
Wir haben dieselbe Sendung wie die ersten Christen: den Trost der Erlösung und das Heil allen Menschen zu bringen. Der heilige Josefmaria erinnerte uns daran: „Meine Kinder, wir sind für die Masse da, für die Menge. Es gibt keine Seele, die wir nicht lieben und der wir nicht helfen wollen, indem wir allen alles werden: omnibus omnia factus sum (1 Kor 9,22). Keiner Sorge, keiner Not der Menschen dürfen wir den Rücken kehren.“6
IN DER PRÄFATION der heutigen Messe werden wir beten: „Heute enthüllst du das Geheimnis unseres Heiles, heute offenbarst du das Licht der Völker, deinen Sohn Jesus Christus.“7 Seither haben sich Generationen von Christen an der Verbreitung der Nachricht beteiligt. Dennoch wies uns der heilige Johannes Paul II. darauf hin, dass „uns ein Blick auf die Menschheit insgesamt am Ende des zweiten Jahrtausends zeigt, dass diese Sendung noch in den Anfängen steckt“8. Wir leben in der Hoffnung, dass dieses Kind das wahre Licht der Welt ist, ein Licht, das in seiner Einfachheit strahlt, und wollen auf gewisse Weise dem Stern der Weisen ähneln und anderen den Weg zu Gott zu weisen.
„Wo ist der König?“, fragte sich der heilige Josefmaria am Fest der Erscheinung des Herrn im Jahr 1956. „Ist es nicht so, dass Jesus nirgendwo herrschen will außer in den Herzen, in deinem Herzen? Deswegen machte er sich zum Kind. Denn wer würde ein so kleines Geschöpf nicht lieben? Wo ist der König? Wo ist Christus, den der Heilige Geist in unserer Seele herausbilden möchte? Im Stolz, der uns von Gott trennt, kann er nicht sein, in der Lieblosigkeit, die uns isoliert, kann er nicht sein. Da kann Christus nicht sein, denn da ist der Mensch allein. Zu Füßen des Kindes, vor einem König ohne äußere Zeichen seiner Würde, könnt ihr ihm am Tag der Epiphanie sagen: Herr, befreie mein Leben von allem Stolz, durchbrich meine Eigenliebe, diesen Drang, mich um jeden Preis durchsetzen und den anderen meinen Willen aufzwingen zu wollen. Gib, dass die Einswerdung mit dir die Grundlage meiner Persönlichkeit werde.“9
An diesem großen Tag schauen wir nach Betlehem, um von diesen Männern aus dem Morgenland zu lernen, die sich vor dem Kind niederwarfen. Indem wir die Weisen als Vorbild nehmen, versichern wir Jesus, dass wir mit seiner Hilfe seinem Erlösungswillen keine Hindernisse entgegensetzen werden. Wir bitten Maria, uns beizubringen, Licht für unsere Verwandten und Freunde zu sein. Ebenso bitten wir sie um Demut, damit Christus in unseren Herzen lebt, und wir, eins mit ihm, viele Menschen zu seiner erlösenden Liebe führen können.
1 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 31.
2 Messe vom Hochfest der Erscheinung des Herrn, Tagesgebet.
3 Franziskus, Homilie, 6.1.2019.
4 Benedikt XVI., Homilie, 6.1.2007.
5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 110.
6 Hl. Josefmaria, Brief 6.5.1945, Nr. 42.
7 Messe vom Hochfest der Erscheinung des Herrn, Präfation.
8 Hl. Johannes Paul II., Enz. Redemptoris missio, Nr. 1.
9 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 31.