Betrachtungstext: 6. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Die Entdeckung des wahren Messias – Das Kreuz sagt uns, wer Jesus Christus ist – Der Weg der Zerknirschung

WÄHREND wir auf dem christlichen Weg Schritt für Schritt vorankommen, gibt es Momente, in denen wir uns mit zwei Fragen konfrontiert sehen, die Jesus im Evangelium stellt. Zuerst die Frage: Für wen halten mich die Menschen?, und dann die Frage, die unser Leben von Grund auf verändert: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? (Mk 8,28-29). Wer bin ich für euch? Die Apostel zögerten zunächst und warteten darauf, dass der Herr selbst für sie antwortete. Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Sie schienen also keine klare Position zu haben. Petrus hingegen antwortet kühn und energisch: Du bist der Christus. Diese Worte drückten den Höhepunkt des Glaubens Israels aus und umfassten damit auch die Zukunft und die Erwartungen der Menschheit für alle Zeiten.

Dennoch hatte Petrus noch nicht den tiefen Gehalt der messianischen Sendung Jesu, den neuen Sinn dieses Wortes »Messias« verstanden. Das zeigt er wenig später, als er zu verstehen gibt, dass der Messias, den er in seinen Träumen ersehnt, sich sehr vom tatsächlichen Plan Gottes unterscheidet. Angesichts der Ankündigung der Passion entrüstet er sich und protestiert, womit er die heftige Reaktion Jesu hervorruft (vgl. Mk 8,32–33). Petrus will einen Messias, der als »göttlicher Mensch« die Erwartungen des Volkes erfüllt, indem er allen seine Macht auferlegt: Es ist auch unser Wunsch, dass der Herr seine Macht durchsetzt und die Welt sofort verwandelt (...). Das ist die entscheidende Alternative, die auch wir immer wieder neu lernen müssen: Unter Zurückweisung Jesu den eigenen Erwartungen den Vorzug zu geben oder aber Jesus in der Wahrheit seiner Sendung anzunehmen und die allzu menschlichen Erwartungen zurückzustellen1.

Wie die ersten Jünger sind auch wir aufgerufen, das wahre Gesicht Jesu Christi persönlich zu entdecken. Das wahre Wesen seines Reiches zu verstehen ist eine Aufgabe, die Geduld und innere Reife erfordert. Vielleicht können wir bei dieser Aufgabe einen Blick auf das Leben der Heiligen werfen: Sie haben es verstanden, auf ihre menschlichen Erwartungen zu verzichten, um das Göttliche anzunehmen.


AUF DEM WEG, der uns zum Himmel führt, koexistiert der freudige Glaube an den Erlöser mit der Dunkelheit des Kreuzes; die Hoffnung auf eine Freude jenseits allen menschlichen Maßes mit den unvermeidlichen Schwierigkeiten des Weges, die auch durch unsere Ablenkungen entstehen können. Der eine Teil ist nicht ohne den anderen. Wie leben wir den Glauben? Steht die Liebe des gekreuzigten und auferstandenen Christus auch weiterhin im Mittelpunkt unseres täglichen Lebens als Quelle des Heils, oder begnügen wir uns mit einigen religiösen Formalitäten, um unser Gewissen zu beruhigen? (...) Sind wir dem kostbaren Schatz, der Schönheit der Neuheit Christi, treu, oder ziehen wir etwas vor, das uns im Augenblick anzieht, uns dann aber innere Leere hinterlässt?2

Damit der Glaube seiner Apostel reife, versammelte sie unser Herr und begann, sie darüber zu belehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen (Mk 8,31). Der heilige Josefmaria erinnerte an die schwierigen Momente, die er selbst erlebt hatte, und wies darauf hin, dass die christliche Lehre über den Schmerz kein billiger Trost ist. Zuallererst fordert sie die Annahme des Leidens, das tatsächlich vom menschlichen Leben nicht zu trennen ist. Aber dort, wo das Kreuz ist, da ist auch Christus, die Liebe; da ich mich bemüht habe, danach zu leben, sage ich euch jetzt nicht ohne Freude, dass der Schmerz auch in meinem Leben nicht gefehlt hat, und dass ich mehr als einmal nahe daran war zu weinen. (...).

Wenn ich vom Schmerz spreche, so rede ich nicht von einer Theorie. Ich gebe nicht eine fremde Erfahrung weiter, wenn ich euch jetzt einschärfen möchte, dass ihr, wenn ihr die Härte des Leidens und die Erschütterung der Seele spürt, auf Christus schauen sollt. Das ist das Heilmittel, denn das Bild des Golgotha verkündet allen Menschen, dass Sorgen und Kummer geheiligt werden müssen, wenn wir eins mit dem Kreuz leben wollen3.

Wir können kein vollständiges Profil von Jesus zeichnen, ohne auf das Kreuz zu schauen. Wir freuen uns, die täglichen Freuden seines verborgenen Lebens zu entdecken; seine Verkündigung und seine Wunder nähren unsere Hoffnung; die Auferstehung bestätigt uns in einem großen Glauben. Aber den gekreuzigten Sohn Gottes zu sehen, ist ein wesentlicher Teil des Lebens in Jesus Christus. Erst dann werden wir verstehen, dass Gott uns auch in Schmerz, Einsamkeit und Leid begleitet.


DIE ANTWORT auf die Frage, die wir alle in unserem Herzen spüren ‒ wer ist Jesus für uns ‒, ist nicht nur eine aus Büchern gelernte Lehre, sondern setzt voraus, dass wir gute und schlechte Zeiten mit dem Herrn durchlebt haben. Petrus wird sogar sofort vom Herrn korrigiert, weil er nicht ganz versteht, dass das Kreuz Teil seiner unendlichen Liebe sein kann. Auch später sah [der Apostel] die Wunder, die Jesus vollbrachte, er sah seine Macht (...), aber Petrus hat an einem gewissen Punkt Jesus verleugnet, er hat Jesus verraten. Genau in jenem Augenblick hat er jene äußerst schwierige Wissenschaft der Tränen, des Weinens gelernt – mehr als eine Wissenschaft ist es eine Weisheit4. Dies ist der Weg der Zerknirschung, der uns dem Herrn so nahe bringt.

Nicht lange nach der Auferstehung, in einem neuen Glaubensbekenntnis am Ufer des Sees Gennesaret, spürte er Scham, er erinnerte sich an jenen Abend des Gründonnerstags: an die drei Male, die er Jesus verleugnet hatte. Am Ufer des Sees Tiberias weinte Petrus nicht bitterlich, wie am Gründonnerstag, aber er weinte5. Dieses Mal verwandelte sich sein Kummer in Zuversicht, in einen reiferen Glauben. Der größte der Apostel zeigt uns, dass selbst unsere Unzulänglichkeiten uns nicht von Jesus fernhalten können. Die Frage des Herrn an Petrus ‒ wer bin ich für dich? ‒ kann nur auf dem Weg verstanden werden, der ein Weg der Gnade und des Falls ist, aber immer in der Nähe von Jesus.

Wir erkennen den Herrn auch dann, wenn wir an menschliche Grenzen stoßen, wenn wir entdecken, dass der Herr sich in unseren Fehlern und Schwächen nicht von uns abwendet. Die Reue, der Schmerz, der uns dazu bringt, die Augen zu öffnen, lässt uns klar sehen, dass Gott gut ist. Wir rufen Maria als Königin der Sünder an, weil wir uns immer mehr bewusst werden wollen, dass wir Gottes Vergebung brauchen. Sie ist auch immer bei uns, auf unserem Weg.


1 Benedikt XVI., Generalaudienz, 17. Mai 2006.

2 Papst Franziskus, Generalaudienz, 1. September 2021.

3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 168.

4 Papst Franziskus, Tagesmeditation, 20. Februar 2014.

5 Ebd.