WÄHREND wir auf unserem Weg voranschreiten, werden wir Zeugen eines vertrauten Gesprächs Jesu mit den Aposteln. Zunächst möchte er von ihnen wissen: Für wen halten mich die Menschen?, um ihnen dann die viel tiefere, lebensverändernde Frage zu stellen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? (Mk 8,28-29) – oder in anderen Worten: Wer bin ich für dich? Die Apostel zögerten zunächst und warteten ab, ob der Herr selbst für sie antwortete. Sie schienen keine klare Position zu haben. Doch dann ergriff Petrus mutig das Wort: Du bist der Christus. Wobei Christus das griechische Wort ist für Messias. Petrus traf ins Schwarze: Seine kurze Antwort enthält nicht weniger als den Gipfel des Glaubens Israels, die Hoffnung der Menschheit und die Zukunft der Welt.
Wie Papst Benedikt XVI. jedoch erklärte, hatte Petrus die wahre Bedeutung von Jesu Sendung noch nicht erfasst. Seine Vorstellung vom Messias unterschied sich gründlich vom göttlichen Plan. Als Jesus seine Apostel kurz danach auf sein Leiden und seinen Tod vorbereitete, protestierte Petrus – und wurde prompt zurechtgewiesen. „Petrus wünscht sich einen Messias, der als ,göttlicher Mensch‘ die Erwartungen des Volkes erfüllt und seine Macht über alle ausübt. Auch wir hätten oft gerne, dass Gott sofort eingreift und die Welt nach unseren Vorstellungen verändert (...). Doch genau hier liegt die entscheidende Alternative, vor der wir immer wieder stehen: Halten wir an unseren eigenen Vorstellungen fest und lehnen Jesu wahren Weg ab? Oder sind wir bereit, ihn so anzunehmen, wie er wirklich ist, auch wenn das bedeutet, unsere menschlichen Erwartungen loszulassen?“1
Wie die ersten Jünger sind auch wir berufen, das wahre Gesicht Jesu Christi zu entdecken. Das Wesen seines Reiches zu verstehen, verlangt allerdings Geduld, Reife und Offenheit. Ein Blick auf das Leben der Heiligen zeigt uns, was es bedeutet: Sie haben sich von ihren eigenen Vorstellungen gelöst, um Gottes Plan anzunehmen.
AUF DEM WEG zum Himmel gehen der freudige Glaube an den Erlöser und die Dunkelheit des Kreuzes Hand in Hand, die Hoffnung auf eine Freude über alle Maßen und die Herausforderungen des Weges – die auch durch unsere eigene Zerstreutheit entstehen können. Papst Franziskus stellte einmal die Frage: „Wie leben wir den Glauben? Steht die Liebe des gekreuzigten und auferstandenen Christus als Quelle des Heils auch weiterhin im Mittelpunkt unseres täglichen Lebens? Oder begnügen wir uns mit einigen religiösen Ritualen, um unser Gewissen zu beruhigen? (...) Sind wir dem kostbaren Schatz – der herrlichen Neuheit Christi – treu, oder ziehen wir ihm vor, was uns im Augenblick reizt, später aber nur innere Leere hinterlässt?“2
Um die Jünger im wahren Glauben zu verankern, offenbarte ihnen Jesus, was bevorstand: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen (Mk 8,31). Die christliche Lehre vom Schmerz, so schrieb der heilige Josefmaria aus eigener Erfahrung, „ist kein billiger Trost. Sie verlangt, das Leiden anzunehmen, denn es ist vom menschlichen Leben nicht zu trennen. Doch wo Kreuz ist, da ist auch Christus – die Liebe. Wenn ihr Schmerz und Zweifel spürt, dann blickt auf Christus. Das ist das Heilmittel.“3
Wir können uns kein vollständiges Bild von Jesus machen, wenn wir das Kreuz ausblenden. Sein verborgenes Leben schenkt uns Freude, seine Verkündigung und seine Wunder nähren unsere Hoffnung, seine Auferstehung bestärkt uns im Glauben – und auf den gekreuzigten Sohn Gottes zu blicken, hilft uns verstehen, dass Gott uns auch in Schmerz, Einsamkeit und Leid nahe ist.
UM AUF Jesu Frage: „Wer bin ich für dich?“, eine wahre Antwort zu finden, reicht es nicht aus, Bücher zu lesen – wir müssen mit ihm durch Höhen und Tiefen gehen. Schauen wir auf Petrus: Er hat richtig geantwortet – und wurde gleich darauf vom Herrn zurechtgewiesen. Denn er wollte nicht begreifen, dass das Kreuz Teil von Jesu unendlicher Liebe ist. Und das war noch nicht alles, denn später, selbst nachdem er die vielen Wunder Jesu gesehen hatte, verleugnete und verriet er auch noch den Herrn. „Doch genau in diesem Moment“, so sagte Papst Franziskus, „hat er die äußerst schwierige Wissenschaft der Tränen, des Weinens gelernt – die mehr als Wissenschaft Weisheit ist.“4 Es ist der Weg der Reue, der uns dem Herrn nahe bringt.
Als Petrus nach der Auferstehung am Ufer des Sees Gennesaret vor Jesus erneut ein Bekenntnis ablegte, erinnerte er sich an jene Nacht des Gründonnerstags: an die drei Male, die er Jesus verleugnet hatte. „Und dieses Mal weinte er nicht so bitterlich wie am Gründonnerstag, aber er weinte.“5 Dieses Mal verwandelte sich sein Schmerz in Vertrauen, in einen reiferen Glauben.
Der größte der Apostel zeigt uns, dass unsere Schwächen uns nicht von Jesus trennen können. Die Frage des Herrn an die Apostel – Für wen haltet ihr mich? – kann nur auf dem Weg der Gnade und des Falls verstanden werden. Wir erkennen den Herrn gerade dann, wenn wir entdecken, dass er uns trotz unserer Fehler liebt. Die Tränen der Reue machen den Blick klar – und zeigen uns, dass Gott gut ist. Maria, die Königin der Sünder und die Pforte des Himmels, möge uns nach jedem Fall helfen, zur Reue zu finden – und zu einem immer tieferen Glauben.
1 Vgl. Benedikt XVI., Audienz, 17.5.2006.
2 Franziskus, Audienz, 1.9.2021.
3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 168.
4 Franziskus, Tagesmeditation, 20.2.2014.
5 Ebd.