Betrachtungstext: 4. Osterwoche – Sonntag (A)

Der Gute Hirte kennt einen jeden – Vertrauen auf die Führung des Herrn – Wir sind Teil der Familie Christi

DIESER VIERTE SONNTAG der Osterzeit wird traditionell als der Sonntag des Guten Hirten bezeichnet. Das Evangelium der heutigen Messe versetzt uns in die Halle Salomos des Tempels in Jerusalem, wo Jesus am Tempelweihfest, den Leuten, die ihn umringten, erklärte: Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen (Joh 10,27-30).

Die ganze Kirche freut sich, weil der auferstandene Christus ihr Hirte ist und jeden einzelnen von uns kennt. Er hat uns gemacht, wir sind sein Eigentum, sein Volk und die Herde seiner Weide (Ps 99,3). Papst Benedikt erläutert, dass der Herr genau weiß, wer wir sind, jedoch dieses gegenseitige Kennen nicht rein verstandesmäßig ist, sondern „ein Kennen vom Herzen her, das demjenigen zu eigen ist, der liebt und der geliebt wird, der treu ist und der weiß, dass er seinerseits dem anderen vertrauen kann“1. Der auferstandene Herr versteht uns – das sind Worte des heiligen Johannes Paul II. – „mit einem ,innersten‘ Kennen, mit demselben Kennen, mit dem der Sohn den Vater kennt und umarmt und im Vater die unendliche Wahrheit und Liebe umarmt“2.

Die Schafe der Herde erkennen die Stimme ihres Hirten, antworten auf seinen Ruf und folgen ihm. Wenn sie die Stimme und die Pfiffe ihres Hirten hören, fühlen sich die Schafe erleichtert, denn sie wissen, dass sie in Sicherheit sind. Papst Franziskus lädt uns ein, auch auf diese Stimme zu achten: „Das Geheimnis der Stimme ist faszinierend: denken wir daran, dass wir vom Mutterleib an lernen, die Stimme unserer Mutter und unseres Vaters wiederzuerkennen; am Klang der Stimme nehmen wir die Liebe oder die Verachtung, die Zuneigung oder die Kälte wahr. Die Stimme Jesu ist einmalig! Wenn wir lernen, sie zu erkennen, führt er uns auf den Weg des Lebens.“3


MIT DER Sicherheit des Glaubens brachen die ersten Apostel auf in die damals bekannte Welt. Sie wussten, dass sie Zeugen einer einzigartigen Liebe waren, sie fühlten sich sicher in Gottes Händen. Wenn sich ihnen Wege verschlossen, eröffneten sie sich mutig neue. Das taten Paulus und Barnabas in Antiochia in Pisidien, als sie auf die Engstirnigkeit und den Neid einiger Juden stießen: Euch musste das Wort Gottes zuerst verkündet werden. Da ihr es aber zurückstoßt und euch selbst des ewigen Lebens für unwürdig erachtet, siehe, so wenden wir uns jetzt an die Heiden. Denn so hat uns der Herr aufgetragen (Apg 13, 46-47).

Es kann uns nichts Schlimmes passieren, wenn wir auf Christus vertrauen und uns von ihm als dem guten Hirten mit seiner mächtigen Hand führen lassen. So werden seine Schafe keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten. Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen (Offb 7,16-17).

Das bedeutet nicht, dass der Christ keine Schwierigkeiten kennt. Jesus selbst warnt seine Apostel: Man wird euch um meinetwillen an die Gerichte ausliefern, in den Synagogen misshandeln und vor Statthalter und Könige stellen (Mk 13,9). Ein Kind Gottes begegnet den unvermeidlichen Widerwärtigkeiten jedes Weges in dem Wissen, dass Jesus, wie Papst Franziskus sagt, „unsere Vorzüge und unsere Schwächen kennt und dass er immer bereit ist, sich um uns zu kümmern, die Wunden unserer Fehltritte mit der Fülle seiner Barmherzigkeit zu heilen“4. Deswegen ist er ja der Gute Hirte: „Jesus sorgt für seine Schafe, er sammelt sie, er verbindet die Verletzten, er pflegt die Kranken.“5


MIT DEM BILD des Guten Hirten offenbart Jesus seine Einheit mit dem Vater: Ich und der Vater sind eins(…). Der Vater ist in mir und ich bin im Vater (Joh 10,30.38). Die jüdische Obrigkeit hatte ihn gefragt: Wie lange hältst du uns noch hin? Wenn du der Christus bist, sag es uns offen! (Joh 10,24). Die Antwort des Meisters ist so kühn und überraschend, dass sie sie schockiert: Du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott (Joh 10,33). Viele der Zuhörer, die Jesu Antwort vernommen haben, reagieren mit Glauben, doch einige, vor allem die Führer des Volkes, lehnen sie derart hasserfüllt ab, dass sie sogar Steine aufheben, um ihn zu steinigen.

Die Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn ist ein zentraler Aspekt des Geheimnisses Gottes. Der Vater hat ihn geheiligt und in die Welt gesandt (Joh 10,36), und hat ihn beauftragt, für die Schafe zu sorgen. Wir sind Teil der Familie Christi, weil er selbst uns erwählt hat (vgl. Eph 1,4). „Und so werden wir“, wie der heilige Josefmaria schrieb, „vom Ruf des Guten Hirten angezogen und in der Gewissheit, allein bei ihm das wahre Glück, das irdische wie das ewige, zu finden, in seine Hürde eingehen.“6 Der Herr geht allen entgegen, denn, wie der heilige Josefmaria sagte, „es liegt ihm etwas – sogar sehr viel – an allen seinen Schafen. Und er verschließt auch nicht die Tür vor jenen, die sich verletzt haben oder von Räude befallen sind, wenn sie zurückkehren und sich heilen lassen wollen.“7

Deshalb rührt uns die Klage Jesu über die Verstocktheit mancher Herzen: Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht (Joh 10,25). Der Glaube erfordert einen aufmerksamen und freien Willen, ein Herz, das bereit ist, auf die Stimme des Hirten zu hören.« Der heilige Thomas von Aquin ruft zur Selbstreflexion auf: „Dank des Sonnenlichts kann ich sehen; wenn ich jedoch meine Augen schließe, kann ich nicht sehen: Das liegt nicht an der Sonne, sondern an mir, denn wenn ich meine Augen schließe, kann mich das Sonnenlicht nicht erreichen. »8. Maria wird uns helfen, unser Herz weit für die Liebe Gottes zu öffnen und freudig auf die Stimme des Guten Hirten zu hören, der uns beim Namen ruft.


1 Benedikt XVI., Predigt, 29.4.2007.

2 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 27.4.1980.

3 Franziskus, Regina Caeli-Gebet, 21.4.2013.

4 Franziskus, Regina Caeli-Gebet, 25.4.2021

5 Ibidem.

6 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 22.

7 Hl. Josefmaria, Als Er unterwegs mit uns redete, S. 283.

8 Hl. Thomas von Aquin, Sup. Ev. Ioann. in loc.