Betrachtungstext: 32. Sonntag im Jahreskreis (C)

Gott der Lebenden. - Ein transzendenter Horizont. - Lieben, was wir geliebt haben.

"ER IST DOCH kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn leben sie alle" (Lk 20,38). Mit diesen Worten antwortet Jesus den Juden, die ihn nach dem Geheimnis der Auferstehung fragen. Dies ist eine der grundlegenden Wahrheiten unseres Glaubens, die wir jeden Sonntag verkünden, wenn wir das Glaubensbekenntnis beten: "Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt".

Die Hoffnung auf das künftige Leben ist eine tröstliche Realität, denn sie erinnert uns daran, dass wir "von Gott zu einem seligen Ziel jenseits des irdischen Elends”1 geschaffen wurden. Wer wirklich mit dem Herrn verbunden ist, bleibt weder im leiblichen Tod noch an die Sünde gebunden: Der auferstandene Christus "hat diesen Sieg, da er den Menschen durch seinen Tod vom Tod befreite, in seiner Auferstehung zum Leben errungen"2. Letzterer hat nicht mehr das letzte Wort, denn auch er gehört Gott. Der Herr, der Schöpfer von allem, ruft uns zu einem Leben der Vertrautheit und ewigen Fruchtbarkeit mit ihm auf.

Nach unserer irdischen Reise eröffnet sich eine Zukunft voller Freude. Diese Überzeugung beruht jedoch nicht nur auf menschlichem Wunsch. Ihr Fundament ist "die Treue Gottes selbst, der nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden ist und denen, die ihm vertrauen, das Leben selbst mitteilt, das er vollständig besitzt".3

IN EINER Gesellschaft, in der sich Ereignisse sehr schnell ereignen, messen wir oft dem Unmittelbaren mehr Bedeutung bei. Dieses hektische Tempo prägt unser tägliches Leben und kann uns den transzendenten Horizont unserer Existenz vergessen lassen. Deshalb ermutigt uns die Kirche in der Endphase des Kirchenjahres, über unsere ewige Bestimmung nachzudenken: Wir sind dazu berufen, uns ewig mit Gott in der Herrlichkeit des Himmels zu freuen.

"Ich, in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen, mich sattsehen an deiner Gestalt, wenn ich erwache" (Ps 17). Diese Worte weisen uns auf das Ziel unserer Reise auf der Erde hin. Sie sagen uns, dass wir im ewigen Leben die Erfüllung finden werden, nach der wir uns immer gesehnt haben. Auch wenn der Lauf der Zeit Illusionen, Projekte und Beziehungen zunichte gemacht hat oder wir uns gut fühlen und zufrieden damit sind, wie der Herr unser Leben gesegnet hat, erinnert uns die christliche Hoffnung daran, dass das Beste noch vor uns liegt. Für viele ist "der Weg des Menschen vom Leben zum Tod"; der Christ hingegen lebt mit der Gewissheit, dass "unsere Pilgerreise vom Tod zum Leben führt: zum Leben in Fülle!"4, eine authentischere und fruchtbarere Existenz als die gegenwärtige.

Dieser Glaube an das ewige Leben hat konkrete Auswirkungen auf unser gegenwärtiges Leben. Einerseits erleuchtet er unsere Wünsche und Bemühungen, Gutes zu tun und unsere Berufung treu zu leben, und gibt uns Hoffnung. Andererseits hilft er uns, den Wert der Dinge dieser Welt zu relativieren. Du bist beunruhigt, schrieb der heilige Josefmaria. Was immer auch in deinem inneren Leben oder in der Umwelt vor sich geht, behalte stets im Blick, daß die Bedeutung von Ereignissen und Personen sehr relativ ist. ‒ Bleibe ruhig. Laß Zeit darüber vergehen; später dann, wenn du die Dinge und die Menschen mit Abstand und Unbefangenheit betrachtest, wirst du alles an seinem Platz und in seiner wirklichen Größenordnung sehen".5

DIE SADDUZÄER legten dem Herrn einen hypothetischen Fall vor: Eine Frau hat nacheinander sieben Brüder geheiratet, die einer nach dem anderen gestorben sind. "Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt. Da sagte Jesus zu ihnen: Die Kinder dieser Welt heiraten und lassen sich heiraten. Die aber, die gewürdigt werden, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, heiraten nicht, noch lassen sie sich heiraten. Denn sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und als Kinder der Auferstehung zu Kindern Gottes geworden sind" (Lk 20,33-36).

Die Worte des Herrn mögen überraschen: Wie kann man jemanden nicht lieben, der auf Erden zu einem wesentlichen Bestandteil des eigenen Lebens geworden ist? Die Tatsache, dass die Menschen im Himmel nicht heiraten, bedeutet nicht, dass wir die Beziehungen, die uns auf der Erde glücklich gemacht haben, vergessen werden. Im Himmel werden wir all das betrachten und genießen, was wir in unserem Leben geliebt haben, insbesondere unsere Lieben. "Vergeßt es niemals: Nach dem Tod wird euch die Ewige Liebe aufnehmen. Und in ihr, in der Liebe Gottes, werdet ihr außerdem alle lautere Liebe wiederfinden, die ihr auf Erden empfunden habt".6 Und diese himmlische Freude wird in der Auferstehung der Toten ihren vollen Höhepunkt finden.

"Das Leben, das Gott für uns vorbereitet, ist keine einfache Verschönerung dieses aktuellen Lebens: es übersteigt unsere Vorstellungskraft, weil Gott uns fortwährend mit seiner Liebe und mit seinem Erbarmen in Erstaunen versetzt".7 Wir wissen nicht genau, woraus der Himmel bestehen wird. Was wir aber mit Sicherheit wissen, ist, dass wir dort Gott von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Und neben ihm werden wir seine Mutter finden und auch diejenigen, die wir auf der Erde geliebt haben.


1 Gaudium et spes, Nr. 18.

2 Ebd.

3 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 11-XI-2001.

4 Papst Franziskus, Angelus, 10-XI-2013.

5 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 702.

6 Hl. Josemaría, Freunde Gottes, Nr. 221.

7 Papst Franziskus, Angelus, 10-XI-2013.

Foto: Todd Kent (unsplash)