Betrachtungstext: 23. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Vorrang des Gebets – Das brüderliche Gebet – Jesus in der Kommunion empfangen

LUKAS berichtet, dass Jesus die ganze Nacht im Gebet verbrachte, bevor er seine Apostel erwählte. Wir sehen, dass der Herr mehrmals am Vorabend von wichtigen Ereignissen diesen persönlichen Dialog mit seinem Vater sucht. Ein hervorstechendes Beispiel ist das Gebet Jahre später im Ölgarten: Angesichts der bevorstehenden Passion bittet Jesus seinen Vater um die Kraft, stets seinen Willen zu tun.

Natürlich ist es in der Regel schwierig, ganze Nächte im Gebet zu verbringen. Dennoch lernen wir daraus, dass selbst Christus das Bedürfnis verspürte, tief mit seinem himmlischen Vater in Einklang zu stehen, vor allem in wichtigen Situationen, in welchen Licht, Trost und Ermutigung dringend nötig waren. Wie der heilige Josefmaria sagte, können wir dank des Gebets unseren ganzen Tag in „ein einziges vertrauensvolles Gespräch“ verwandeln: „Ich habe es sehr oft gesagt und geschrieben, aber ich wiederhole es gerne: Der Herr hat uns durch sein eigenes Beispiel gezeigt, wie unsere Beziehung zu ihm aussehen sollte: ein ständiges Gebet, von morgens bis abends und von abends bis morgens. Wenn alles gut läuft, sagen wir: Danke, mein Gott! Wenn wir auf Schwierigkeiten stoßen, bitten wir: Herr, verlass mich nicht!“1

Ein Vater ist auch noch an den kleinsten Kleinigkeiten im Leben seines Kindes interessiert. Und selbst wenn ihm die Dinge schon hundertmal unterbreitet wurden, ist er in der Lage, immer wieder neu Anteilnahme und Begeisterung zu zeigen. Diese Haltung können wir auch von unserem himmlischen Vater erwarten. Wenn wir ihm auch noch die kleinsten Kleinigkeiten unseres Alltags anvertrauen, macht er sie sich zu eigen und sie erlangen den unendlichen Wert des Opfers seines Sohnes. Im Katechismus der Kirche lesen wir: „Alle unsere Bitten sind ein für allemal in seinen Schrei am Kreuz hineingenommen und vom Vater in seiner Auferstehung erhört worden. Deshalb hört Jesus nicht auf, beim Vater für uns einzutreten.“2


AUCH WENN uns der genaue Inhalt der Gebetsnacht Jesu nicht bekannt ist, ist leicht vorstellbar, dass er in dieser Zeit an die Apostel dachte, die er am nächsten Tag erwählen würde. Er hat sie wohl mit ihren Tugenden und Schwächen betrachtet und darum gebetet, dass sie bei der Verbreitung der Heilsbotschaft sehr fruchtbar und erfüllt sein mögen. Benedikt XVI. hat sich in dieses Geschehen vertieft: „Die Berufung der Jünger ist ein Gebetsereignis; sie werden gleichsam im Gebet gezeugt, im Umgang mit dem Vater. So erhält die Berufung der Zwölf weit über alles bloß Funktionale hinaus einen zutiefst theologischen Sinn: Ihre Berufung kommt aus dem Dialog des Sohnes mit dem Vater heraus und ist dort verankert. Von daher muss man auch das Wort Jesu verstehen: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende (Mt 9,38). Die Erntearbeiter Gottes kann man nicht einfach aussuchen, wie sich ein Arbeitgeber seine Leute sucht; sie müssen immer von Gott erbeten und von ihm selbst für diesen Dienst gewählt werden.“3

Der Mensch ist von Natur aus nicht dazu bestimmt, allein zu sein, sondern braucht Beziehungen zu anderen. Es ist daher nur logisch, dass uns auch im Gebet Namen und Gesichter in den Sinn kommen, vor allem von Menschen, die uns nahe stehen, die Teil unseres täglichen Lebens sind und die wir glücklich machen wollen. Indem wir diese Beziehungen in unser Gebet hereinholen, öffnen wir sie für das göttliche Handeln und bitten unseren Vater Gott, deutlicher in ihnen Wohnung zu nehmen. Auf diesem Weg erfahren wir eine Freude, wie Papst Franziskus es ausdrückt, die nicht „dem Zufall oder Glück überlassen“, sondern „Frucht der tiefen Harmonie zwischen den Personen ist, die uns die Schönheit des Zusammenseins, der gegenseitigen Unterstützung auf dem Weg des Lebens verkosten lässt“4.

Es ist zwar normal, dass wir zu manchen Menschen leichter Zugang finden als zu anderen, sei es aufgrund eines ähnlichen Charakters oder gleicher Interessen und Vorlieben. Doch das Wissen, dass wir Kinder desselben Vaters sind, „wird uns dazu anspornen“, wie der Prälat des Werkes schrieb, „die Beziehungen zu unseren Brüdern und Schwestern zu vertiefen, uns nicht nur von den Gemeinsamkeiten mitreißen zu lassen, sondern alle menschlichen Barrieren zu überwinden und in jedem Menschen Christus selbst zu sehen.“5


WENN WIR die Kommunion empfangen, sind wir in der besten „Position“, um für jegliches Anliegen bei Gott im Namen seines Sohnes Fürbitte einzulegen. Wir können persönlich erleben, was der heilige Lukas berichtet: Die ganze Menge versuchte, ihn zu berühren, denn von ihm ging eine Kraft aus, die alle heilte (Lk 6,19). Dies kann ein Moment sein, in dem wir uns wie Jesus an die Menschen erinnern, denen wir helfen wollen; es kann auch ein Moment sein, in dem wir unser Herz in Dankbarkeit erheben, dafür, dass er auf uns zählen wollte, und sogar dafür, dass wir beten können: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast (Joh 11,41). Wir können in diesem Moment aber ebenso unsere Unwürdigkeit oder die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, wie der Hauptmann, der Jesus bat, seinen Diener zu heilen: Sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund! (Mt 8,8).

Wenn wir von einer wichtigen Persönlichkeit empfangen werden, überlegen wir im Vorfeld normalerweise genau, was wir sagen wollen, um zu verhindern, dass es uns im entscheidenden Moment vor Aufregung nicht einfällt. Wir könnten etwas Ähnliches tun, wenn wir uns auf den Empfang des Herrn in der Eucharistie vorbereiten, etwa indem wir den ganzen Tag über Anliegen sammeln. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie du dich auf den Empfang der Kommunion vorbereiten würdest, wenn du sie nur einmal im Leben empfangen könntest?“6, fragte der heilige Josefmaria. Und an anderer Stelle fügte er hinzu: „Wir sollten ihn empfangen wie die Großen der Welt: mit Schmuck, Lichtern, neuen Kleidern. Und wenn ihr fragt, welche Reinheit, welchen Schmuck und welche Lichter ihr haben sollt, werde ich euch antworten: Reinheit in euren Sinnen, einem nach dem anderen; Schmuck in euren Kräften, einer nach der anderen; Licht in eurer ganzen Seele.“7

Maria hat Jesus als erste empfangen. Bitten wir sie, uns die Gnade zu schenken, die Liebe ihres Sohnes mit der gleichen Reinheit, Demut und Hingabe in uns aufzunehmen, wie sie es getan hat.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 247.

2 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2741.

3 Benedikt XVI., Jesus von Nazaret, I, S. 207.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 27.12.2015.

5 Msgr. Fernando Ocáriz, Beisammensein, 25.6.2022.

6 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 14.4.1960.

7 Ebd.

Foto: Himsan (Pixabay)