AM BEISPIEL der Berufung des Matthäus verdeutlicht der heilige Beda die entscheidenden Elemente jeder Berufung: „Jesus sieht den Zöllner, und weil er ihn liebte, wählte er ihn aus.“1 Die Initiative geht immer von Gott aus, der uns von Ewigkeit her kennt und auf jedem Schritt unseres Lebens begleitet. Im Fall von Matthäus kommt Jesus an dem Zollhaus vorbei, wo dieser Steuern eintrieb, lässt seinen Blick auf ihm ruhen und beruft ihn sofort. Darin liegt das Geheimnis jeder Berufung. Matthäus hätte sich viele Fragen stellen können: Warum ich? Warum jetzt? Bin ich dafür geeignet? Wohin wird mich diese Entscheidung führen? Schließlich galt Matthäus als Zöllner in der damaligen Gesellschaft als öffentlicher Sünder. Doch seine Geschichte zeigt, dass diese Fragen nicht entscheidend sind. Was wirklich zählt, sowohl bei Matthäus als auch bei jeder Berufung, ist die persönliche Begegnung mit Christus und seine Einladung, am göttlichen Heilsplan teilzuhaben.
Das Wort, das Jesus an Matthäus richtet, lautet: „Folge mir nach.“ Diese Aufforderung bedeutet nicht nur, Jesus physisch zu folgen, sondern vor allem, das eigene Leben nach ihm auszurichten. „Folgen bedeutet“, wie der heilige Beda erklärt, „nachahmen. Nicht mit den Füßen folgen, sondern mit der Tatsache des Lebens. Denn wer sagt, dass er in Christus bleibt, muss auch leben, wie er gelebt hat.“2 So kam es, dass das Leben des Matthäus seine vollkommene Erfüllung fand. Er sah sein Leben mit neuen Augen, in einem neuen Licht, das ihm wohltat und ihn zugleich anspornte, großzügig zu antworten.
Der heilige Josefmaria beschreibt den Prozess der Berufungserkennung so: „Wenn ihr mich fragt, wie man den göttlichen Ruf vernimmt, wie man ihn erkennt, so möchte ich euch sagen, dass es eine neue Sicht des Lebens ist. Es ist, als ob in uns ein Licht angezündet wird; es ist ein geheimnisvoller Impuls, der den Menschen antreibt, seine edelsten Energien einer Aufgabe zu widmen, die ihn umso mehr ergreift, je mehr er sie ausübt. Diese vitale Kraft, die wie eine Lawine alles mitreißt, ist das, was man Berufung nennt.“3
MATTHÄUS reagierte unmittelbar auf den Anruf. Im Evangelium heißt es schlicht, dass er aufstand und ihm nachfolgte (Mt 9,9). Wir erfahren keine Details darüber, ob Matthäus den Meister schon einmal predigen gehört hatte oder ob er in Kafarnaum, wo er lebte und arbeitete, bereits einmal mit ihm gesprochen hatte. Was jedoch hervorgehoben wird, ist die Schnelligkeit und Entschlossenheit, mit der er dem Ruf folgte und sein Leben verschenkte. Diese Bereitschaft, sofort zu handeln, sehen wir auch bei anderen Aposteln wie Andreas und Petrus, Philippus und Nathanael sowie Jakobus und Johannes (vgl. Joh1,40-50; Mt 4,18-22).
Was bewegte diese einfachen Fischer und den Zöllner Matthäus dazu, Christus ohne Zögern zu folgen? Es ist schwer, darauf eine klare Antwort zu geben, da wir wenig über ihre Persönlichkeit, ihre Gedanken oder Hoffnungen wissen. Doch die Evangelien zeigen, dass Jesus ihre Herzen zutiefst berührt hat. Sie spürten die Liebe, die er in die Welt brachte, unmittelbar und lebendig. Diese Erfahrung erfüllte sie mit einer tiefen, unbändigen Freude. Papst Franziskus erklärt, dass „jede wahre Berufung mit einer Begegnung mit Jesus beginnt und uns Freude und neue Hoffnung schenkt; und sie führt uns – auch durch Prüfungen und Schwierigkeiten – zu einer immer tieferen Begegnung mit ihm.“4
Matthäus ließ zu, dass Jesus sein Herz gewann. Er erkannte, dass die Zeit mit Jesus ein Glück bedeutete, das die Welt nicht geben kann. Vielleicht war ihm auch bald klar, dass es Schwierigkeiten geben würde, da nicht jeder den Meister mit offenen Armen empfing. Vielleicht wurde er sich auch seiner eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten bewusst, im Kontrast zu der großen Sendung, in die Jesus ihn berufen hatte. Doch Matthäus hielt an seiner Hoffnung fest und gab dem Pessimismus keinen Raum; er vertraute darauf, dass seine Liebe zu Jesus Bestand haben würde und er sie auch immer wieder reinigen und erneuern könnte. Papst Franziskus ermutigt in diesem Sinne: „Verliebt in Jesus. Gewiss, es gibt Prüfungen im Leben, es gibt Augenblicke, in denen man vorangehen muss trotz Kälte und Gegenwind, trotz großer Bitterkeit. Aber die Christen kennen den Weg, der zu jenem heiligen Feuer führt, das sie ein für alle Mal entflammt hat. (...) Pflegen wir gesunde Träume: Gott möchte, dass wir mit ihm träumen, während wir zugleich unterwegs sind und unsere Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen.“5
NACH SEINER Begegnung mit Jesus am Zoll beschloss Matthäus, in seinem Haus ein Festmahl zu geben. Er wollte die Wende seines Lebens feiern und seine Freunde einladen, damit sie Jesus kennenlernten. Viele von ihnen waren Zöllner und Sünder, wie Matthäus selbst. Das gemeinsame Mahl hatte im Judentum religiösen Charakter und begründete eine Einheit vom Heiligen her. Tischgemeinschaft verband existenziell. Daher erregte es höchsten Anstoß, das Jesus sich mit einer derart verächtlichen Gesellschaft zum Mahl setzte.6 Als die Pharisäer das sahen, begannen sie zu seinen Jüngern zu sagen: Warum isst euer Lehrer mit Zöllnern und Sündern? Jesus hörte das und nutzte die Gelegenheit, um ihnen den Grund für sein Kommen in die Welt deutlich zu machen: Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder (Mt 9,12-13).
Die Botschaft ist klar: Wer sich selbst für gerecht hält, verschließt sich vor der Barmherzigkeit Gottes. Derjenige hingegen, der sich als Sünder erkennt, öffnet sich Christus und lässt sich von ihm heilen. Alle sind Sünder. Worin sollte der Unterschied zwischen diesen und jenen bestehen? Jesus erwartet kein makelloses, fehlerfreies Leben, sondern ein zerknirschtes und demütiges Herz: Das ist das beste Opfer, das wir ihm darbringen können (vgl. Ps 51,19). In diesem Sinne erinnert uns der Prälat des Werkes an folgende Tatsache: „Wir sind armes Tongeschirr: zerbrechlich und fehlerhaft. Doch Gott hat uns geschaffen, um uns mit seinem Glück zu erfüllen, für immer. Schon jetzt schenkt er uns hier auf Erden seine Freude, damit wir sie weitergeben können.“7
Bitten wir unsere himmlische Mutter, uns zu helfen, die heilende Kraft der Barmherzigkeit Gottes in unserem Leben zu erfahren. Besonders in der Beichte und in der Eucharistie empfangen wir die Gnade, die uns dazu drängt, Zeugen der Liebe zu sein, die Gott zu uns hat.
1 Hl. Beda der Ehrwürdige, Predigt 21.
2 Ebd.
3 Hl. Josefmaria, Brief 3, Nr. 9.
4 Franziskus, Audienz, 30.8.2017.
5 Ebd.
6 Vgl. Romano Guardini, Der Herr, Teil 1, Kap. 10.
6 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 210-211.