Betrachtungstext: 2. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Uns unbeschwert wie Kinder bewegen – Jesus ist die Fülle der Gottesverehrung und der Moral – Die Tugend der Großzügigkeit

DIE TAGE, die die Apostel mit Jesus verbrachten, waren oft von großer Anstrengung geprägt. Zwischen den Menschenmengen, die den Meister suchten, den langen Fußmärschen und den Herausforderungen des Alltags erlebten die Jünger Momente von Müdigkeit und Hunger. Eine solche Szene schildert das heutige Evangelium: Während sie durch ein Weizenfeld gehen, pflücken die Apostel einige Ähren, um ihren Hunger zu stillen. Doch nicht der Besitzer des Feldes beschwert sich, sondern die Pharisäer. Empört rufen sie: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt (Mk 2,24).

Die Pharisäer erkennen nicht, dass diese Menschen in Begleitung des menschgewordenen Gottes unterwegs sind – gerade so wie wir, wenn wir in unserem Alltag die Gegenwart Jesu spüren – eines Gottes, der uns nicht einschränkt, sondern befreit. Der Prälat des Opus Dei schrieb treffend: „Ebenso können wir mitten in unseren alltäglichen Aufgaben die Gegenwart Jesu Christi spüren, der uns nicht die Freiheit nimmt, sondern uns hilft, uns in dieser Welt, die uns gehört, frei zu bewegen.“

Die Gegenwart Gottes, so schrieb der Prälat des Werkes, „lässt uns mit dem Vertrauen von Gotteskindern beten, mit der Leichtigkeit von Gotteskindern durch das Leben gehen, mit der Freiheit von Gotteskindern argumentieren und entscheiden und die schönen Dinge schätzen, wie es ein Gotteskind tut“1. Das Bewusstsein, Kinder Gottes und somit Brüder und Schwestern Jesu Christi zu sein, ermöglicht es uns, in der Geborgenheit seiner Liebe zu arbeiten und zu ruhen.


VOR ALLEM WENN MAN die stolze Haltung der Pharisäer bedenkt, ist die Antwort Jesu überraschend, gerade wenn man sie mit den Ohren der Juden seiner Zeit hört: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat (Mk 2,27-28). Der zweite Satz unterstreicht die Göttlichkeit Jesu. Wenn der Sabbat der göttliche Tag schlechthin war, lässt der Herr, indem er sich über die Regeln und Vorschriften zu diesem Tag stellt, keine Zweifel darüber, dass er der neue Sinn des Gottesdienstes und des sittlichen Lebens ist. Diese Wahrheit ist von größter Bedeutung für uns. Deshalb bitten wir Jesus darum, dass unser inneres Leben und die Einhaltung der Gebote niemals leer sein mögen, sondern immer ein Ausdruck der Fülle sind, die wir in seiner Nachfolge erfahren.

Papst Franziskus skizziert die Freiheit des Lebens in der Nachfolge Jesu einmal so: „Alle, die an Jesus Christus glauben, sind aufgerufen, im Heiligen Geist zu leben, der vom Gesetz befreit und es gleichzeitig zur Vollendung bringt, gemäß dem Liebesgebot.“2 Indem wir Jesus Christus lieben und den Heiligen Geist bitten, uns jederzeit zu helfen, Gottes Willen für uns zu erkennen, sind wir frei und überwinden die Kasuistik, ob wir dieses oder jenes tun dürfen – zum Beispiel von den Ähren essen. Denn wir wissen uns nicht unter dem verurteilenden und hinterfragenden Blick der Pharisäer sondern unter dem freundlichen und anspornenden Gesicht eines guten Vaters.

Da wir uns von Gott geliebt wissen, wollen wir ihm unsere Liebe immer wieder mit kleinen Taten der Zuneigung zeigen. Auf diese Weise werden unsere Tage zu wunderbaren Gelegenheiten, Jesus ein Lächeln zu entlocken. Manchmal werden wir müde oder nicht in der Lage sein, all unsere Vorsätze zu verwirklichen, wir können sogar fallen oder von Gottes Liebe abfallen. Solange wir aber nicht vergessen, dass das Wichtigste in unserem Leben die Liebe ist, die Gott uns uneigennützig schenkt, bleiben wir frei, seiner Liebe zu entsprechen. Papst Franziskus ermutigt uns in diesem Sinn: „Der Herr möge uns helfen, auf dem Weg der Gebote zu gehen, indem wir auf die Liebe Christi blicken, auf die Begegnung mit Christus, wissend, dass die Begegnung mit ihm wichtiger ist als alle Gebote.3


DER SABBAT wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat (Mk 2,27-28). Mit diesen Worten offenbart uns Jesus eine bedeutende Wahrheit. Seine Nachfolge soll nicht unsere Seelen beschweren oder uns in unnötige Sorgen treiben, sondern uns befreien und glücklich machen. Alles, was er für uns vorbereitet hat – selbst die kleinen Details unseres Alltags –, dient diesem Ziel. Jesus lädt uns ein, mit einem weiten Horizont und dem Herzen von Königskindern zu leben, denn das sind wir. Um diese Haltung zu kultivieren, können wir ihn um eine Tugend bitten, die der heilige Josefmaria als unersetzlich ansah, um ein unbeschwertes Leben nahe bei Gott zu führen: die Großherzigkeit.

„Großherzigkeit“, schrieb der heilige Josefmaria, „bedeutet ein großes Herz, eine weite Seele, in der viele Platz haben. Sie ist die Kraft, die uns bereit macht, aus uns herauszutreten und uns für das Wohl aller einzusetzen. Wer großherzig ist, kennt weder die Enge von Kleinkariertheit noch egoistische Berechnungen. Stattdessen stellt er vorbehaltlos seine Kraft in den Dienst einer Sache, die sich lohnt. Nur zu geben, genügt ihm nicht – er gibt sich selbst.“4 Der wahrhaft Großherzige verschwendet seine Kraft nicht an Überlegungen darüber, wie viel er geben soll oder wie weit es sich lohnt, zu gehen. Er schenkt sich ganz und ist nur interessiert, das Ziel zu erreichen, das Christus selbst ist.

Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter (Lk 1,46). Marias Leben war von überströmender Großherzigkeit geprägt, weil sie die Freude über Gottes Heil in Fülle erfahren hatte. Ihre Bereitschaft, sich ganz hinzugeben, ist ein Vorbild für uns alle. Bitten wir Maria, die Pforte des Himmels und den Morgenstern, uns zu helfen, unser Leben mit derselben Großherzigkeit zu führen, damit wir immer mehr als geliebte Kinder Gottes leben.


1 Prälat Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 20.10.2020, Nr. 3.

2 Franziskus, Audienz, 11.8.2021.

3 Ebd.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 80.