DIE MEISTEN Menschen können eine gut gemachte Arbeit erkennen, vor allem wenn sie in ihr eigenes Fach fällt. Ein Koch, ein Architekt oder ein Schriftsteller kann die Vorzüge eines Gerichts, eines Gebäudes oder eines Romans gut erfassen. Jesus nutzt diese Erfahrung, um das Reich Gottes zu erklären, und zwar am Beispiel des Perlenhändlers. Ein Perlenhändler kann sofort erkennen, ob ein Schmuckstück echt ist oder nicht. Wenn er auf eine besonders wertvolle Perle stößt, entsteht in ihm der Wunsch – das ist leicht vorstellbar –, alles zu tun, um sie zu besitzen. Obwohl sie äußerlich anderen Perlen ähneln mag, weiß der Händler, dass dieses Schmuckstück einzigartig ist.
Der Prälat des Werkes schrieb: „Gott erwählt und ruft alle.“1 Neben unserer Berufung zum Leben und unserer Berufung durch die Taufe schenkt der Herr jedem Menschen eine einzigartige und besondere Berufung, eine Perle, die jeder für sich entdecken kann. Das menschliche Herz bleibt – wie das des Händlers – auf der Suche nach dem, was es voll und ganz erfüllen kann. Und nur die treue Antwort auf den Ruf Gottes kann diese Sehnsucht stillen. Alle anderen vermeintlichen Juwelen – Erfolg, Bequemlichkeit, Vergnügen, Geld – bringen nur ein relatives, oberflächliches Glück, das mehr mit dem persönlichen Wohlbefinden als mit einem erfüllten Leben gemeinsam mit Christus zu tun hat.
„Geschaffen hast du uns im Hinblick auf dich, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir,“2 schrieb der heilige Augustinus im ersten Kapitel seiner „Bekenntnisse“. Als der Händler diese große Perle entdeckte, war absehbar, dass er nicht zur Ruhe kommen würde, ehe er sie erworben hatte. Es mag kühn erscheinen, dass er sein gesamtes Vermögen einsetzte, er wusste aber, dass er nicht enttäuscht werden würde. Er wollte sich nicht mit dem Reiz kleiner Diamanten zufrieden geben, denn er hatte die Perle gefunden, die seinem Leben einen höheren Sinn gab.
JEDE BERUFUNG erwacht aus einer einfachen, aber folgenreichen Entdeckung: aus der Überzeugung, dass die Wahrheit unseres Lebens nicht nur darin besteht, für uns selbst zu leben, sondern für die anderen. Wir erkennen, dass wir in unserem Leben viel Liebe erhalten haben und genau dazu gerufen sind: Liebe zu schenken. Zudem erkennen wir, dass wir viele Gaben von Gott erhalten haben, die wir mit anderen teilen können. Für viele Menschen liegt der Weg, Liebe zu schenken, dabei in der Ehe, die weit mehr ist als eine Art gesellschaftliche Sitte: Sie ist ein göttliches Geschenk. Papst Benedikt zeigt ihre Größe auf: „Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe.“3
Gott ruft die Ehepartner auf, sich gegenseitig zu helfen, füreinander zu sorgen, füreinander zu leben: Darin liegt das Geheimnis ihrer persönlichen Verwirklichung. Leben heißt in der ganzen Tiefe des Wortes: Leben schenken. So hat Jesus gelebt: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10). So lebten auch Josef und Maria, in der einfachsten, zartesten und glücklichsten Liebe, die es je auf Erden gab, indem sie füreinander sorgten und sich vor allem um das fleischgewordene Wort kümmerten.
Es versteht sich von selbst, dass dieser Weg nicht ohne Herausforderungen ist: Missverständnisse, mangelnde Kommunikation, materielle Schwierigkeiten, Probleme mit den Kindern usw. Der heilige Josefmaria warnte vor einem Kurzschluss: „Wer aber meint, all diese Schwierigkeiten seien schon das Ende von Liebe und Freude, hat eine ärmliche Vorstellung von der Ehe und der menschlichen Liebe.“4 An dem Tag, an dem ein Mann und eine Frau heiraten, antworten sie mit einem „Ja“ auf die Frage nach ihrer Liebe zueinander. Doch die wahre Antwort entfaltet sich im Leben: Die Antwort muss Fleisch und Blut werden, sie muss im „für immer“ des gegenseitigen Ja-Wortes gar werden. Und indem es immer wieder neu bekräftigt wird, wird das Ja für das ganze Leben immer tiefer und authentischer.
DER HEILIGE JOSEF fand die Perle in Maria und in Jesus. Seit Gott ihn dazu aufforderte, ihr Hüter zu sein, widmete er alle seine Gedanken und seine ganze Kraft dieser Aufgabe. Er brachte seine Intelligenz und seine Initiative ein, verstand es aber auch, sich vertrauensvoll dem Willen Gottes zu überlassen. Denn die Art und Weise, in der sich Gottes Pläne erfüllten, stimmte mit seinen menschlichen Vorstellungen nicht immer überein. Ähnlich wie im Leben des heiligen Patriarchen, gibt es auch in unserem Leben manchmal Ereignisse, so schrieb Papst Franziskus, „deren Bedeutung wir nicht verstehen. Unsere erste Reaktion ist oft die der Enttäuschung und des Widerstandes. Josef lässt seine Überlegungen beiseite, um dem Raum zu geben, was geschieht. Wie rätselhaft es ihm auch erscheinen mag, er nimmt es an (…). Das geistliche Leben, das Josef uns vorlebt, ist nicht ein Weg, der erklärt, sondern ein Weg, der annimmt. Nur von dieser Annahme her, von dieser Versöhnung her können wir auch eine größere Geschichte, einen tieferen Sinn erahnen.“5
Das Unerwartete anzunehmen, es von ganzem Herzen anzunehmen, erforderte vom heiligen Josef, seine Treue wiederholt zu erneuern: Gott unter den veränderten Umständen erneut zu vertrauen, auf die erreichten menschlichen Sicherheiten immer wieder zu verzichten, sich wiederum in den Dienst des Herrn zu stellen, nachdem sich die Lage verändert hatte. Auf diese Weise hat er sein „Ja“ zum ursprünglichen Ruf Gottes verwirklicht: nicht als eine Frucht der Trägheit, sondern immer wieder neu angesichts dessen, was der Herr von ihm verlangte. Seine Treue war keine bloß mechanische Wiederholung von Akten, sondern war kreativ und offen für die neuen Herausforderungen, die sich ihm stellten. Der heilige Josef kann uns helfen, auf die Perle zu vertrauen, die Gott uns anbietet. Sie führt uns dazu, Christus und Maria in den Mittelpunkt unseres Herzens zu stellen, wie auch er es tat.
1 Msgr. Fernando Ocáriz, Pastoralbrief, 28.10.2020, Nr. 2.
2 Hl. Augustinus, Bekenntnisse, I, 1.
3 Benedikt XVI., Deus caritas est, Nr. 11.
4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 24.
5 Franziskus, Patris corde, Nr. 4.