AUS allen Völkern hast du sie erwählt, die dein Angesicht suchen, o Herr (Ps 24,6). So betet die Kirche im Psalm am heutigen Hochfest Allerheiligen. Und so wollen wir diesen Feiertag verbringen: das Angesicht Gottes suchend. Papst Franziskus erklärte dazu: „Die Heiligen und Seligen sind die bedeutendsten Zeugen der christlichen Hoffnung. Denn sie haben diese Hoffnung zwischen den Höhen und Tiefen ihres Lebens im vollen Umfang gelebt, indem sie die Seligpreisungen verwirklichten, die Jesus verkündet hat und die heute in der Liturgie widerhallen. Die Seligpreisungen des Evangeliums sind der Weg der Heiligkeit.“1
Wenn wir Jesu Worte zu den Seligpreisungen genauer betrachten, wirkt das damit verbundene Panorama zunächst wenig ermutigend. Was Jesus uns nahelegt, scheint genau das zu sein, was wir instinktiv ablehnen: Leiden, Verfolgung, Kampf, Tränen ... Erst wenn wir dahinter blicken, entdecken wir, dass Jesus nicht die Tränen möchte, sondern bestimmte Tugenden anpreist, die uns, wie der heilige Josefmaria sagte, „wirklich glücklich machen, heilig, beati!“2 Diese Tugenden, die Jesus uns durch sein eigenes Leben vorgelebt hat, wünschte sich der heilige Josefmaria für alle seine Kinder und für sich selbst. Papst Benedikt betonte in diesem Sinne: „Die Heiligkeit, die Fülle des christlichen Lebens, besteht nicht darin, außerordentliche Taten zu vollbringen, sondern darin, mit Christus vereint zu sein, seine Geheimnisse zu leben, uns seine Einstellungen, seine Gedanken, sein Verhalten zu eigen zu machen. Das Maß der Heiligkeit zeigt sich darin, wie sehr Christus in uns Gestalt annimmt und wie sehr wir mit der Kraft des Heiligen Geistes unser ganzes Leben nach seinem Leben formen.“3
Papst Franziskus sagte einmal am heutigen Fest: „Heute laden uns alle Heiligen ein, den Weg der Seligpreisungen einzuschlagen. Es geht nicht darum, außergewöhnliche Dinge zu tun, sondern diesem Weg täglich zu folgen, der uns in den Himmel führt, der uns zu unserer Familie führt, der uns nach Hause führt. Heute werfen wir einen Blick auf unsere Zukunft und feiern das, wofür wir geboren wurden: Wir wurden geboren, um nie wieder zu sterben, wir wurden geboren, um das Glück Gottes zu genießen! Der Herr ermutigt uns und sagt denen, die immer den Weg der Seligpreisungen beschreiten: Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel (Mt 5,12).“4
WER DARF hinauf ziehen zum Berg des Herrn, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Hände hat und ein reines Herz (Ps 24,3-4). Wir wissen, dass diese Unschuld nicht darin besteht, keine Sünden oder Fehler zu begehen oder frei von Irrtümern zu sein. Diese Reinheit kennzeichnet vielmehr die Herzen derjenigen, die sich von Gott lieben lassen und die ihre Hoffnung nicht auf andere Götzen richten: Sicherheit, Kontrolle, Unabhängigkeit, Vergnügungen, Besitztümer usw. Joseph Ratzinger definierte die Heiligkeit einmal als „eine tiefe Verbindung mit Gott: sie bedeutet, ein Freund Gottes zu werden, den Anderen wirken zu lassen, den Einzigen, der wirklich erreichen kann, dass diese Welt gut und glücklich ist.“5,
Wir vertrauen darauf, dass Gott, wenn er etwas von uns verlangt, uns in Wahrheit sein Leben und seine Liebe anbietet. Wenn wir diese Handlungsweise Gottes begreifen, der sich oft gerade dort verbirgt, wo wir ihn nicht zu finden glauben, verstehen wir, dass er niemals unser Unglück will, auch nicht hier auf Erden. Der Gründer des Opus Dei pflegte zu sagen: „Ich bin immer mehr davon überzeugt: Das Glück des Himmels gehört denjenigen, die bereits hier auf Erden wahrhaft glücklich zu sein wissen.“6
Was für eine Freude ist es, an all die Heiligen im Himmel zu denken! Sie waren Menschen wie wir, mit den gleichen Herausforderungen und Schwierigkeiten, Hoffnungen und Schwächen. Wenn wir Gott in unserem Leben so, wie sie es taten, wirken lassen und treu sind, werden wir am Ende unseres Lebens diese tröstlichen Worte des Herrn hören: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! (Mt 25,34). Manchmal denken wir, nur wenige würden zu diesem Reich gehören. Doch die Vision des heiligen Johannes, die wir in einer der heutigen Lesungen hören, lehrt uns das Gegenteil: Er sah eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen (Offb 7,9). Die Kirche feiert heute diese unzählige Schar von Menschen, die auf Erden Gottes Liebe treu geblieben sind und nun im Himmel ein unermessliches Glück genießen.
DIESES FEST ist für uns, die wir auf Erden pilgern, deshalb besonders schön, weil sich in der Menge, die den Herrn ohne Unterlass preist, viele unserer Brüder und Schwestern, viele unserer Freunde und Verwandten befinden – ganz normale Menschen, die bereit sind, für uns einzutreten. Einige von ihnen haben wir vielleicht sogar persönlich gekannt. Auf unserem Weg zur Heiligkeit sind wir nicht allein: Wir sind über die Gemeinschaft der Heiligen durch einen Strom Leben spendender Liebe mit allen Christen verbunden – mit denen, die bereits im Himmel triumphieren, mit denen, die sich noch im Fegefeuer läutern, und mit denen, die noch auf Erden pilgern.
Während des spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren schrieb der heilige Josefmaria oft an seine geistlichen Kinder. In einem seiner Briefe versicherte er ihnen: „Nur ihr fehlt mir, doch wenn ihr wüsstet, wie viel Gesellschaft ich jedem von euch leiste, bei Tag und bei Nacht! Das ist meine Sendung: Dass ihr einmal glücklich seid bei ihm und schon jetzt auf Erden, da ihr zu seiner Ehre lebt.“7 Die Gemeinschaft der Heiligen bedeutet, füreinander zu beten, damit Gnade kommt und denjenigen heilt und stärkt, der es am meisten braucht. Der heilige Josefmaria hielt dazu einmal fest: „Mein Sohn, wie gut hast du die Gemeinschaft der Heiligen verstanden, als du mir schriebst: ,Gestern spürte ich, dass Sie für mich beteten.‘“8
Bitten wir heute Maria, die Königin aller Heiligen, um ihre Hilfe, damit wir die Seligpreisungen als Weg der Heiligkeit immer mehr für uns entdecken und dadurch zum großen Mosaik der Heiligkeit beitragen, das Gott sich für diese Welt wünscht.
1 Franziskus, Angelus-Gebet, 1.11.2020.
2 Hl. Josefmaria, Briefe 31, Nr. 52.
3 Benedikt XVI., Audienz, 13.4.2011.
4 Franziskus, Angelus-Gebet, 1.11.2018.
5 Kard. Joseph Ratzinger, Gott wirken lassen, in: L’Osservatore Romano, 6.10.2002.
6 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 1005.
7 Hl. Josefmaria, Brief von Avila an seine Söhne in Burgos, 11.8.1938.
8 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 546.