Betet ohne Unterlass

Als gewöhnliche Christen, die Jesus inmitten der Welt folgen wollen, müssen wir durch ständiges Gebet immerfort mit Gott verbunden leben.

Der heilige Lukas ist jener Evangelist, der den Sinn des Gebetes im Rahmen der Sendung Christi besonders hervorhebt.1 Nur er überliefert drei Gleichnisse Jesu über das Gebet.

Das zweite derselben lautet wie folgt: „In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht.

Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.

Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern?“2

Zur Einführung in diese Perikope schreibt der heilige Lukas: „Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten“3. Kurz danach bringt er andere Worte Jesu über die Notwendigkeit wachsam zu sein: „Wacht und betet allezeit, damit ihr in allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt!“4

Wie man feststellen kann, hat der dritte Evangelist besonders hervorgehoben, dass Jesus dem beharrlichen Gebet besondere Bedeutung zumisst, da Er seine Jünger anweist, „Tag und Nacht“, „allezeit“ dabei auszuharren. Nach dem Tonfall, den der Herr in seine Worte hineinlegt, ergibt sich ferner ganz klar, dass ständiges Gebet von Jesus angeordnet wird: es handelt sich um ein Gebot, nicht bloß um einen Rat.

Ununterbrochenes Gebet ist vonnöten, um dem Herrn wirklich nachzufolgen. Er selbst gibt uns ein Beispiel durch sein ständiges Beten zu seinem Vater Gott.

Ununterbrochenes Gebet ist vonnöten, um dem Herrn wirklich nachzufolgen. Er selbst gibt uns ein Beispiel durch sein ständiges Beten zu seinem Vater Gott. Der heilige Lukas zeigt uns das wie folgt: „Er zog sich an einen einsamen Ort zurück“5 oder auch: „Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat“6.

Im dritten Evangelium sind viele Szenen festgehalten, in denen Jesus vor wichtigen Augenblicken seiner Sendung im Gebet gezeigt wird, wie beispielsweise bei seiner Taufe, bei seiner Verklärung, vor der Auswahl und Berufung der zwölf Apostel und vor der Vollendung durch die Passion gemäß der liebevollen Vorsehung des Vaters7.

Der heilige Josefmaria sagt über das beispielhafte Beten des Herrn:Mit welcher Liebe muss die Gestalt des betenden Christus die ersten Jünger erfüllt haben. Beständig sahen sie den Meister in dieser Haltung und schließlich baten sie Ihn: Domine, doce nos orare, Herr, lehre uns beten8.

In der Apostelgeschichte skizziert der heilige Lukas drei Mal die Art des Betens der ersten Gläubigen: „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu“9 – und kurz danach: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“10. – Und als Petrus wegen seiner mutigen Predigt über die Wahrheit verhaftet worden war: „Die Gemeinde aber betete inständig für ihn zu Gott“11.

Der heilige Paulus ist derjenige, der nach dem heiligen Lukas am häufigsten Jesu Gebot über andauerndes Beten wiedergibt und die Gläubigen oft ermahnt, es zu praktizieren. Beispielsweise im Brief an die Thessalonicher: „Betet ohne Unterlass!“12 und an die Epheser: „Hört nicht auf zu beten (...) betet jederzeit im Geist“13. Der heilige Paulus gibt uns selbst ein Beispiel, wenn er sagt: „Bei Tag und Nacht bitten wir inständig darum, euch wiederzusehen“14.

Den biblischen Lehren entsprechend mahnen auch einige Kirchenväter und alte kirchliche Schriftsteller die Christen zu einem Leben in unablässigem Gebet. Einer von ihnen schreibt beispielsweise: „Obwohl einige bestimmte Zeiten für das Gebet vorsehen, wie etwa die dritte, sechste oder neunte Stunde, betet der vollkommene Christ sein ganzes Leben lang und bemüht sich, durch das Gebet mit Gott zu leben“15.

Leben aus ständigem Gebet

Als gewöhnliche Christen, die Jesus mitten in dieser Welt nachfolgen wollen, müssen wir durch ständiges Gebet immerfort mit Gott verbunden leben. Immer wenn wir im Herzen den Wunsch verspüren, besser zu werden und dem Herrn großzügiger zu dienen, und wenn wir dann einen Wegweiser, einen Leitstern für unser christliches Dasein suchen, ruft uns der Heilige Geist die Worte des Evangeliums in Erinnerung, dass man allezeit beten müsse und nichtnachlassen dürfe (...).

Ich möchte, dass wir uns heute, in dieser Betrachtung, ein für allemal von der Notwendigkeit überzeugen, kontemplative Seelen zu werden; ob auf der Strasse oder bei der Arbeit – unser Gespräch mit Gott soll immerfort andauern und niemals im Laufe des Tages abreißen. Das ist der einzige Weg, um treu den Schritten des Meisters folgen zu können16.

die Liebe ist einfallsreich: Jeder von uns muss in den Tagesablauf einige Normen von immer einplanen, die nicht einem bestimmten konkreten Augenblick zugeordnet sind.

Ein Christ, der seinen Glauben ernst nehmen will, möchte sich bemühen, den Tag in ein ständiges intimes Gespräch mit Gott zu verwandeln, so dass das Gebet nicht zu einem vereinzelten Tun wird, das man verrichtet und dann vergessen kann (...): Am Morgen denke ich an Dich und am Abend steigt wie Weihrauch mein Gebet zu Dir. Der ganze Tag kann Zeit des Gebetes sein: vom Abend bis zum Morgen und vom Morgen bis zum Abend. Ja, die Heilige Schrift erinnert uns sogar daran, dass auch der Schlaf Gebet sein soll17.

Letzteres wurde auch von einigen Kirchenvätern betont, wie etwa vom heiligen Hieronymus: „Der Apostel mahnt uns ständig zu beten und für die Heiligen ist auch selbst der Schlaf Gebet.“18

Beständiges Gebet ist sicherlich eine Gabe Gottes, die Er niemandem verwehrt, der seiner Gnade großzügig entspricht. Einige christliche Frömmigkeitsübungen zeigen diesen ununterbrochenen Dialog mit dem Herrn, der die Seele erfüllt, auf besondere Weise.

Solche Fömmigkeitsübungen sind zugleich Folge der Liebe und ein Mittel, um in ihr zu wachsen. Und das bewirkt, dass der Christ, wenn er zu einem Leben ständigen Gebetes gelangen will, in Bezug auf den inneren Kampf keine passive Haltung annehmen kann: Er muss nach praktischen menschlichen Erinnerungshilfen suchen und diese umsetzen, um so in jedem Augenblick den göttlichen Dialog und die Gegenwart Gottes zu beleben.

Diese Wecker für das Innenleben sind etwas ganz Persönliches, denn die Liebe ist einfallsreich: je nach den Umständen werden sie für jeden unterschiedlich sein, aber wir alle müssen danach trachten, einen Weg zu finden, um ständig zu beten. Jeder von uns muss in den Tagesablauf einige Normen von immer einplanen, die nicht einem bestimmten konkreten Augenblick zugeordnet sind.

Das Wesentliche am Umgang des Christen mit dem Herrn ist, „dass die Beziehung zu Gott auf dem Grund unserer Seele anwesend ist. Damit das geschieht, muss diese Beziehung immer neu wachgerufen werden und müssen die Dinge des Alltags immer wieder auf sie zurückbezogen werden“19. Das erreichen wir beispielsweise, wenn wir uns vornehmen, gewohnheitsmäßig die Gegenwart Gottes zu suchen oder wenn wir vor Arbeitsbeginn betrachten, dass wir Kinder Gottes sind, oder wenn wir dem Herrn für eine empfangene Wohltat danken, wobei wir auch demjenigen oder derjenigen, die sie uns erwiesen hat, danken können.

Diese Normen von immer sind untereinander tief verbunden, denn sie sind im Grunde nichts anderes als „diese unser ganzes Bewusstsein durchprägende Orientierung, die das stille Anwesendsein Gottes auf dem Grund unseres Denkens, Sinnens und Seins“20 darstellt. Auf diese Weise hilft uns die Gegenwart Gottes die von Ihm kommenden guten Dinge wahrzunehmen und Ihm dafür unseren Dank zu erweisen.

Wer sich vornimmt, dem Herrn im Laufe des Tages für alles Gute, das er empfängt, zu danken, – auch für das Leben selbst, für den Glauben und die christliche Berufung -, wird weitere Gelegenheiten entdecken, um Ihn während des Tages zu preisen. Und das ist das „immerwährende Gebet“21.

Der heilige Paulus hat uns mit seinem Beispiel gezeigt, wie man ein Leben ständiger Danksagung führt; „Ich danke meinem Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes die euch in Christus Jesus geschenkt wurde“22.

In diesem Sinn fordert uns auch der heilige Josefmaria dazu auf, das ganze christliche Leben in eine ständige Danksagung zu verwandeln:Wie ist es möglich zu begreifen, dass Gott uns liebt, ohne gleichfalls aus Liebe den Verstand zu verlieren? (...). So verwandelt sich unser Leben in ein immerwährendes Gebet, in ständige Heiterkeit und bleibenden Frieden, in einen Akt der Danksagung während des ganzen Tages23.

Die heiligste Jungfrau verweilte ständig im Gebet, denn sie hatte den höchsten Grad der Kontemplation erreicht. Wie mag Jesus sie angesehen haben und wie mag sie den Blick ihres Sohnes erwidert haben! Es darf uns nicht befremden, dass eine so unbeschreibliche Wirklichkeit verschwiegen und kaum angedeutet wird: es handelte sich um Dinge, die Maria in ihrem Herzen bewahrte24.

M. Belda


1 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2600.

2 Lk 18,2-7.

3 Lk 18,1.

4 Lk 21,36.

5 Lk 5,16.

6 Lk 11,1.

7 Vgl. Lk 3,21; 9,28; 6,12; 22,41-44.

8 Christus begegnen, Nr. 119.

9 Apg 1,14.

10 Apg 2,42.

11 Apg 12,5.

12 1 Thess 5,17.

13 Eph 6,18.

14 1 Thess 3,10; vgl. 2 Thess 1,11; Röm 1,10; 1 Kor 1,4; Phil 1,4; 1 Thess 1,3; Phlm 4.

15 Clemens von Alexandrien, Stromata 7, 7, 40, 3.

16 Freunde Gottes, Nr. 238.

17 Christus begegnen, Nr. 119.

18 Hl. Hieronymus, Epistola 22,37.

19 J. Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 163.

20 Ebd. S. 163.

21 Vgl. Ebd. S. 163f.

22 1 Kor 1,4; vgl. Eph 1,16.

23 Christus begegnen, Nr. 144.

24 Vgl. Lk 2,51.