Betrachtungstext: 20. Woche im Jahreskreis – Samstag

Stimmig agieren – Nur Gott interessiert uns – Den Autopiloten ausschalten

DIE SCHRIFTGELEHRTEN und Pharisäer geben dem Herrn immer wieder Anlass, die Menge über den wahren Weg der Erlösung zu belehren. Einmal bezeichnet Jesus sie als Lehrer, die auf dem Stuhl des Mose sitzen und sich für dessen Nachfolger halten. Doch anders als der große Patriarch redensie nur, tun es aber nicht (Mt 23,3). Ihr Leben stimmt nicht mit ihren Worten überein. Zwar ist der Inhalt ihrer Lehre oft korrekt, doch ihre Werke verraten sie: Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren, um die Lasten zu bewegen (Mt 23,4). Christus hingegen lebt, was er lehrt. Papst Benedikt fasste es so zusammen: „Er verwirklicht als erster das Gebot der Liebe, das er alle lehrt.“1

Der wahre Lehrer zeichnet sich dadurch aus, dass seine Werke das bekräftigen, was er verkündet. So wird sein Leben für diejenigen attraktiv, die mit ihm zu tun haben. So wird sein Leben für andere anziehend. Ein Christ, der seinen Glauben authentisch lebt, wird selbst zum glaubwürdigen Zeichen: Sein Dasein bleibt nicht unbemerkt, sondern weckt in anderen das Verlangen, sich Christus zu nähern. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wären doch dein Verhalten und deine Worte so, dass jeder, der dich sieht oder mit dir spricht, unwillkürlich dächte: Der da beschäftigt sich mit dem Leben Jesu.“2

Allerdings bemüht sich der Christ nicht in erster Linie um ein Leben aus einem Guss, um gutes Beispiel zu geben. Das wäre Eitelkeit – jene Haltung, die der Herr ausdrücklich kritisiert, wenn manche Pharisäer fasten und beten, nur um von den Menschen gesehen zu werden (Mt 23,5). Papst Franziskus weist in seiner Katechese über die Unterscheidung auf die rechte Absicht hin: „Wenn du etwa an dein Studium denkst: Geht es dir dabei nur darum, dich selbst voranzubringen, um deinen Vorteil, oder auch darum, der Gesellschaft zu dienen? Daran erkennt man die Absicht eines jeden von uns.“3


DER MEISTER fährt fort, die Unaufrichtigkeit mancher Schriftgelehrter und Pharisäer zu entlarven: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern und die Ehrensitze in den Synagogen und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt und die Leute sie Rabbi nennen (Mt 23,5-7). Letztlich suchen sie mehr die Anerkennung der Menschen als die Ehre Gottes.

Hochmut zerstört das Gute, das wir wollen. Demgegenüber ist Demut – so der heilige Josefmaria – im christlichen Leben „wie das Salz, das alle Speisen würzt.“ Selbst die tugendhafteste Handlung verliert ihren Wert, wenn sie nur aus Eitelkeit oder Selbstgefälligkeit geschieht, anstatt aus Liebe zu Gott und zum Wohl der Seelen. „Wenn wir uns nur um uns selbst drehen und uns Gedanken darüber machen, ob wir gelobt oder kritisiert werden, fügen wir uns selbst großen Schaden zu. Nur Gott sollte uns interessieren.“4

Darum ist die Demut die Grundlage des geistlichen Lebens. Der heilige Augustinus schrieb: „Wenn ihr mich fragt, was das Wichtigste an der Religion und an der Lehre Jesu Christi ist, so antworte ich: Erstens die Demut, zweitens die Demut und drittens die Demut.“5 Im Gebet bitten wir daher den Herrn, er möge unser einziger Mittelpunkt sein und uns lehren, alles auf seine Verherrlichung auszurichten. Demut schenkt eine heilsame Selbstvergessenheit, die das Leben einfacher und freudiger macht. Sie öffnet uns die Augen für die Großzügigkeit Gottes und für die Schönheit seiner Schöpfung, die von seiner Liebe zeugt.


DIE HEILIGE Katharina von Siena berichtet, dass Gott zu ihr sagte: „Du verlangst danach, mich höchste Wahrheit zu erkennen und zu lieben. Willst du zur vollen Erkenntnis gelangen und mich, Ewiges Leben, verkosten, dann ist dies der Weg: Verharre stets im Tal der Demut und tritt nie aus der Selbsterkenntnis heraus. So wirst du mich in dir erkennen (…) In der Selbsterkenntnis wirst du demütig werden, weil du einsiehst, dass du durch dich selbst nichts bist; in mir wirst du dein Sein erkennen, in mir, der ich euch geliebt habe, eh ihr wart.“6

Wer sich selbst kennt, weiß, dass er den Schatz der Gnade in zerbrechlichen Gefäßen trägt. Deshalb versucht er, das, was für seine Seele schädlich ist, fernzuhalten, und sucht zugleich den Rat eines geistlichen Begleiters, weil niemand in eigener Sache ein guter Richter ist. Er erkennt auch, was ihn überfordert oder ermüdet – sei es aufgrund seiner Persönlichkeit oder seiner Wesensart –, und nimmt solche Momente mit Gelassenheit und Sportgeist an – im Vertrauen darauf, dass es Wege gibt, um sich auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen. Diese Haltung zeugt von einer gewissen Selbsterkenntnis, die auf Demut gründet: Wir geben zu, keine Übermenschen mit unbegrenzten Kräften zu sein.

Papst Franziskus sagte: „Selbsterkenntnis ist nicht schwierig, aber anstrengend: Man muss das eigene Innere geduldig erforschen. Sie verlangt die Fähigkeit, innezuhalten, den ,inneren Autopiloten auszuschalten‘, um sich seiner Handlungen, Gefühle und Gedanken bewusst zu werden, die uns oft unbewusst beeinflussen. Sie verlangt auch, zwischen Gefühlen und geistigen Fähigkeiten zu unterscheiden. ,Ich fühle‘ ist nicht dasselbe wie ,ich bin überzeugt‘; ,ich fühle mich danach‘ ist nicht dasselbe wie ,ich will‘. So erkennen wir, dass unser Blick auf uns selbst und auf die Wirklichkeit oft verzerrt ist. Sich dessen bewusst zu werden, ist eine Gnade!“7

Wie eine Mutter ihr Kind oft besser kennt als es sich selbst, so bitten wir die Jungfrau Maria, uns zu helfen, uns selbst im Licht Gottes zu erkennen, damit wir Christus in Demut und Einfachheit folgen können.


1 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 30.10.2011.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 2.

3 Hl. Josefmaria, Brief 1, Nr. 21.

4 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, Nr. 105.

5 Hl. Augustinus, Brief 118, 22.

6 Hl. Katharina von Siena, Der Dialog, Teil I, 4.

7 Franziskus, Audienz, 5.10.2022.