Glaube und Leben sind eins
Spiritualität des Josefmaria Escrivá: Keine Neuerungen, aber neue Akzente
von Reinhard Backes
In den Medien ist Kirche Thema. Oft geht es um tatsächliche oder vermeintliche Skandale und deren Folgen. Erneuerung wird gefordert. Und sie ist auch vonnöten. Der Mensch bedarf der Umkehr. Christus selbst verlangt und ermöglicht sie. Er schenkt den Neubeginn. Wer glaubt, tritt in Beziehung zum Mensch gewordenen Sohn Gottes und sucht seinem Beispiel zu folgen. Im Alltag, in Beruf und Familie, in der Freizeit. Im Einsatz für andere.
Einer, der das vorgelebt hat, ist Josefmaria Escrivá, Gründer des Opus Dei, Priester, 1902 geboren, 2002 heilig gesprochen. Er nennt es „Heiligung des gewöhnlichen Alltags und der beruflichen Arbeit“. Ein Gedanke, den das II. Vatikanische Konzil bekräftigt hat. In „Lumen gentium“, dem grundlegenden Text über die Kirche, heißt es: „ Sie (die Laien) leben in der Welt, das heißt in all den einzelnen irdischen Aufgaben und Werken und den normalen Verhältnissen des Familien- und Gesellschaftlebens, aus denen ihre Existenz gleichsam zusammengewoben ist. Dort sind sie von Gott gerufen, ihre eigentümliche Aufgabe, vom Geist des Evangeliums geleitet, auszuüben und so wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her beizutragen.“
Obwohl Escrivá Altbekanntes neu ins Bewusstsein gerufen hat, und insofern für das Konzil wegweisend war, ist er in Deutschland allenfalls durch die Aphorismen-Sammlung „Der Weg“ bekannt sowie als Gründer des Opus Dei, das seit 1982 Personalprälatur ist. Ein Teil seines literarischen Werks liegt zwar auf Deutsch vor, eine kritische Gesamtausgabe fehlt allerdings. Die Quellenlage ist demnach unbefriedigend. Hier schließt „Die Welt und der Christ – Meilensteine der Spiritualität des heiligen Josefmaria Escrivá“ eine Lücke. Das Buch von Johannes Vilar, der Escrivá persönlich kannte, ist vor kurzem im Wiener Fassbaender-Verlag erschienen.
Der Autor legt die Verkündigung des heiligen Josefmaria anhand von Schlagworten, von Kernbegriffen dar, die er in einen nach Themen geordneten Kontext stellt. Er will das für den Gründer des Opus Dei Spezifische herausstellen: Jede Frau und jeder Mann kann und soll heilig werden. Sie können und sollen nach dem Beispiel des Mensch gewordenen Sohnes Gottes handeln, leben, arbeiten. Das geistliche Leben fügt sich in den Alltag, Glaube und Leben sind eins. Die Ehe ist Berufung. Die Freiheit kein Hindernis, sondern Voraussetzung für ein echtes christliches Leben. Der Gläubige lebt in Christus. Escrivá nennt das „geistliche Kindschaft“, die aus Gebet und Sakrament erwächst.
In seiner Darlegung orientiert sich Vilar an Persönlichkeit und Wirken Escrivás, seiner der Welt zugewandten Spiritualität, die das Fundament der Berufung aller Getauften zur Heiligkeit in der „Gotteskindschaft“ verortet und in der Konsequenz ein „Leben aus einem Guss“ fordert. So überwindet der Gläubige eine Versuchung, vor der Johannes Paul II. 1988 in „Christifideles Laici“ nachdrücklich warnte, „die zu Unrecht bestehende Kluft zwischen Glauben und Leben, zwischen der grundsätzlichen Annahme des Evangeliums und dem konkreten Tun in verschiedenen säkularen und weltlichen Bereichen zu rechtfertigen.“
Das Buch enthält zudem zwei Beiträge, die bereits veröffentlicht wurden, und nun erstmals in deutscher Sprache vorliegen: ein Aufsatz über das Apostolat aller Getauften von Alvaro del Portillo, dem ersten Nachfolger Escrivás, und eine Abhandlung über die Freiheit des italienischen Philosophen Cornelio Fabro. Vilar schließt das Buch mit einer leidenschaftlich bis polemisch gefassten Analyse der Postmoderne, die dem Glauben gleichgültig bis abweisend begegnet oder ihn bewusst zurückweist. Ein umfangreicher Apparat von mehr als tausend Fußnoten bietet dem Interessierten einen reichen Fundus, das Thema zu vertiefen.
Das Wissen über die Verkündigung des heiligen Josefmaria wird sich beim Leser aber schon durch die Lektüre des Buches von Johannes Vilar erhöhen. Er betont, dass Escrivá stets gesagt habe, dem Opus Dei gehe es nicht um Neuerungen in der Kirche. Dennoch habe der heilige Josefmaria gewisse Akzente gesetzt. Dazu der Autor wörtlich: „Wenn Escrivá nun auch die Berufung zur Fülle des christlichen Lebens nicht erfunden hat, so hat er doch eine neue, säkulare, berufsgebundene Spiritualität für die Menschen entwickelt, die beruflich und gesellschaftlich ihren Mann und ihre Frau stehen müssen“ (S. 232). Die von Escrivá postulierte Heiligung inmitten der Welt lässt sich nach den Worten Vilars wie Escrivás selbst am ehesten mit der Lebensauffassung der ersten Christen vergleichen. Das hat einen gewissen Charme, da die Postmoderne in ihrer Gottferne an die Zeitumstände der jungen Christenheit erinnert. Möglicherweise erklärt es gar die hohe Akzeptanz, die Escrivás Ansatz nicht erst seit dem Konzil erfährt.
Was Johannes Vilar an Escrivá überzeugt: „Unbestritten neu ist die Rolle, die bei ihm die Arbeit einnimmt. Die Arbeit ist die Achse, die alle anderen Tugenden zusammenhält, sie ist Mittel der Verbindung mit den anderen Menschen in der Gesellschaft, Erfüllung des Schöpfungsauftrags und Nachahmung des Arbeitslebens Jesu Christi. Abgesehen von den traditionellen Mitteln zur Heiligkeit, die in der Kirche ununterbrochen gelebt wurden, gehört auch die Arbeit dazu. Er lehrte einen christlichen Materialismus. Der Katechismus der Katholischen Kirche erkennt an und verkündet für alle Christen, dass die berufliche Tätigkeit ein Weg zur Heiligkeit ist, ein Mittel, um die irdische Wirklichkeit mit dem Geiste Christi zu durchdringen und dass mit Christus vereint zu arbeiten, erlösend sein kann.“ (S. 233)
Fazit: In „Die Welt und der Christ“ kommt Escrivá in erster Linie selbst zu Wort. Das Buch verbindet wesentliche Aussagen des jungen Heiligen und schafft so einen Kontext, der auch dem theologisch nicht gebildeten Leser dessen Verkündigung näher bringt. Vilar fasst die unterschiedlichen Aspekte griffig und verständlich zusammen und gibt ihnen eine Struktur. Aktuelles aus Theologie und Kirche wird aufgegriffen, etwa die Bewertung des Krieges oder der Umgang mit Missbrauch.
Das Buch bietet eine Fülle an Material. Der Stil ist nüchtern und sachlich, aber nicht frei von Wiederholungen. Manches hätte kürzer gefasst werden können. Dennoch wird mit „Die Welt und der Christ“ bestens bedient, wer sich mit Escrivás Botschaft gründlich auseinandersetzen möchte. Leser, die mehr an Leben und Gestalt des Opus Dei-Gründers interessiert sind, greifen besser zu einer der auch auf Deutsch vorliegenden Biographien. Die Auseinandersetzung mit dieser Gestalt der jüngeren Kirchengeschichte lohnt aber allemal: Josefmaria Escrivá hat Veränderungen mit angestoßen, die das Konzil verbindlich formuliert hat, den Alltag vieler aber noch nicht bestimmen.
Johannes Vilar:
Die Welt und der Christ – Meilensteine der Spiritualität des heiligen Josefmaria Escrivá
Fassbaender-Verlag, Wien 2010, 384 S., € 24,20.