„Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“ (Lk 2, 12). So sagte der Engel den Hirten. Es sind wunderschöne, erlösende Worte, die in die Seele dringen und uns Gott als Kind anbeten lassen. Gott – ein Kind! Warum ist Gott als Kind zu uns gekommen und nicht als Erwachsener? So hätte sein großes Vorhabens, die ganze Welt zu erlösen, doch viel eher vermuten lassen. Außerdem erwarteten die Juden den Messias als starken Heerführer, als kämpferischen Messias, der Israel seine Ehre mit weltlicher Macht wiedergeben sollte, die ihm die Nachbarvölker und zuletzt die Römer genommen hatten. Jesus machte es aber nicht so. Er kam nicht als Krieger auf die Erde, sondern als Kind – unfassbar für die Juden jener Zeit.
Gott ist als Kind zu uns gekommen, weil er den Lebensweg des Menschen in all seinen Stadien zurücklegen wollte, damit wir uns auf allen Erdenwegen in ihm wiederfinden können. Anders ausgedrückt sollte alles Menschliche – die Sünde ausgenommen – von seiner Gottheit berührt werden. Er wollte als Kind erscheinen, so dass er selber Familie erlebte und uns zeigte, was Familie eigentlich ist und wie Familie richtig gestaltet werden kann. Wäre Jesus als Erwachsener auf die Erde gekommen, wäre die Familie sozusagen eine gottfreie Zone geblieben. Wir wüssten nicht, wie sich der Schöpfer menschliche Familien gedacht hat. Schließlich ist die Familie ja der Ort, an dem die Weichen für das Leben eines jeden Menschen gestellt werden. So aber wurde Jesus in eine Familie geboren, wuchs in einer Familie auf und machte die Höhen und Tiefen durch, von denen keine Familie verschont bleibt.
Weitergabe des Lebens in Liebe
Wir nennen die Familie Jesu die Heilige Familie. Diese Familie dürfen und sollen wir nachahmen. Mehr noch: In der Heiligen Familie können wir die Offenbarung Gottes über die Familie erkennen. Diese wichtige Erkenntnis besagt, dass die Heilige Familie den Maßstab für jede andere Familie abgibt. Familie ist, was die Heilige Familie von Nazaret war. Je ähnlicher ihr eine Familie wird, desto getreuer entspricht sie Gottes Wunsch für alle Familien.
Die Heilige Familie besteht aus einem Mann, einer Frau und einem Kind. Damit sind zwei wesentliche Elemente der Familie angesprochen. Zunächst ist Familie ein Zusammenschluss von einer Frau und einem Mann. Lassen wir uns nicht von gewissen Theorien irritieren, die uns einbläuen wollen, was eine Familie ausmacht habe sich im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung auch auf gleichgeschlechtliche Zusammenschlüsse ausgeweitet. Nein, das kann nicht stimmen, weil Familie von ihrer innersten Struktur her die geschlechtliche Verschiedenheit von Mann und Frau voraussetzt. Das sagt uns schon die Ordnung der Natur, die vor dem Menschen existiert und deshalb keine Erfindung des Menschen ist. Wir haben sie nicht erfunden, sondern vorgefunden. So ist auch nicht verhandelbar, was eine Familie ist. Was eine Familie in der Ordnung der Natur ist, drückt die Genesis, das erste Buch der Bibel, mit den Worten aus: „Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch“ (Gen 1, 27 –28). Und „darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2, 24). Ales andere kann keine Familie begründen. Daher beleidigt die Kirche auch niemanden, wenn sie entsprechend der naturgegebenen Ordnung daran festhält, dass von Familie nicht die Rede sein kann, wenn die Zweigeschlechtlichkeit fehlt.
In der Heiligen Familie sehen wir das zweite wesentliche Element der Familie verwirklicht: Dass Kinder da sind oder dass Mann und Frau zumindest offen für Kinder sind. Wenn der Zusammenschluss eines Mannes und einer Frau Nachkommenschaft bewusst und beabsichtigt ausschließt, begründet er keine Familie. Denn die Ehe ist für einen Mann und eine Frau diejenige lebenslange Gemeinschaft, die – um es mit Worten des neuen Kirchenrechts zu sagen – „durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und auf die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist“ (vgl. Nr. 1055, 1). Wenn eine Frau und ein Mann an der Schöpfermacht Gottes mitwirken, sind Kinder ihr sichtbarer Anteil an der Schöpfung. Als Vater und Mutter sind sie Mitschöpfer. Darum soll auch ihr Anteil an der Schöpfermacht Gottes bei der Weitergabe des Lebens dem Anteil Gottes selbst ähnlich sein. Gott schafft Leben aus Liebe, er schafft Leben, weil er andere Wesen an dem Glück teilhaben lassen will, das ihn selbst beglückt. Darum sollen auch Frau und Mann aus Liebe Leben entstehen lassen – aus Liebe zueinander und aus Liebe zu dem Wesen, das aus ihrem Liebesakt entstehen kann. Die Weitergabe des Lebens soll in Liebe und aus Liebe geschehen. Wie schön zu wissen, dass man aus der Liebe der Eltern hervorgegangen ist! Manchmal denke ich sogar, dass Gott Mann und Frau die starke Anziehung der Geschlechter zueinander gegeben hat, damit das Leben in Liebe weitergegeben werden kann. Nur die in Liebe und aus Liebe vollzogene Weitergabe des Lebens entspricht ganz der göttlichen Art, Leben zu schenken. Das auch ist der Grund, warum die Kirche als Sachwalterin der Wahrheit der Natur sämtliche Praktiken der Weitergabe des Lebens außerhalb des Liebesaktes von Mann und Frau ausnahmslos als unangemessen und stets als naturwidrig einschätzt, selbst wenn das Motiv ein starker subjektiver Kinderwunsch ist.
Ein Kind braucht Vater und Mutter
Das Jesuskind hat in der Heiligen Familie die Liebe und die Zuneigung der Mutter und des Vaters erfahren. Maria hat das Kind gestreichelt, ihm zugelächelt, es hochgehoben und geküsst. Ähnlich sicher auch Josef. So lernen wir von der Heilige Familie den richtigen Umgang mit dem Kind. Ein Kind braucht die Eltern, es braucht mehr als nur eine Ansprechperson, es braucht die Zärtlichkeit der Mutter, damit es sozusagen durch die Haut erfährt, was lieben heißt. Und ebenso muss ein Kind den Vater sehen, ihn erfahren, ihn berühren. Das haben wir Menschen nicht erfunden, es ist eine eindeutige Vorgabe der Natur, es gehört zur Schöpfungsordnung selber, mit deren Einhaltung das Glück des Menschen einhergeht. Ein Kind braucht seine Eltern, um sich sicher und geliebt zu fühlen – beides unabdingbare Bedingungen für ein reifes Leben im Gleichgewicht der Gefühle und des psychischen Wohlergehens. Weil dies eine Vorgabe der Schöpfungsordnung ist, kann man von einem Anrecht des Kindes sprechen, von Eltern, die in einem endgültigen Liebesbund miteinander verbunden sind, Geborgenheit, Liebe und Zuwendung zu erfahren.
Das Kind braucht die Mutter und den Vater, denn es gibt manche Dimensionen der menschlichen Persönlichkeit, die ihm jeweils nur die Mutter, bzw. nur der Vater zu geben vermag. Es sind sozusagen Schwingungen, verstandesmäßig nicht recht fassbare Elemente, geistige Prägungen, die kaum bemerkt, doch wirksam in die Seele des Kindes eindringen und es zu einem soliden, psychisch normalen Erwachsenen formen. Es braucht die typisch männlichen wie auch die typisch weiblichen Komponenten des Gemüts, des Einfühlungsvermögens, der Liebe, des Verständnisses. Dem Kinde dies nicht zu geben, es zu vernachlässigen, ihm zu wenig Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen, würde sich verheerend auswirken. Es genügt nicht, wenn sich vorwiegend oder sogar auf Dauer nur ein Partner um das Kind kümmert. Es ist eine schmerzliche Erfahrungstatsache, dass es dem Kinde nicht bekommt, wenn es mehrere vermeintliche Väter oder Mütter erleben muss. Hier können psychische Störungen beginnen, unter denen das Kind dann möglicherweise ein Leben lang leiden muss. Auch deshalb ist es sinnvoll, dass die Ehe der Eltern unauflöslich ist.
Wir können Gott nur danken, dass er nicht als Erwachsener, sondern als Kind auf die Erden gekommen ist, und dass er uns die Heilige Familie zum Vorbild für eine gesunde und zukunftsfähige Gesellschaft gegeben hat. Bitten wir die Heilige Familie, uns alle zu beschützen, so dass sich unsere Gesellschaft wieder auf die Werte besinnt, die Jesus Maria und Joseph verkörpert haben.