Einen Vorläufer des II. Vatikanischen Konzils geehrt

Mit einem Pontifikalamt und einem Festakt in Köln feiert die deutsche Region des Opus Dei den 100. Geburtstag ihres Gründers

“So voll habe ich den Kölner Dom nur noch bei der 750 Jahrfeier gesehen”, flüstert ein junger Mann einem anderen zu. Wie hunderte weitere Gläubige hatten auch diese beiden keinen Sitzplatz mehr in der überfüllten Kathedrale ergattern können, in welcher der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, in Konzelebration mit Leo Kardinal Scheffczyck und weiteren geistlichen Würdenträgern am vergangenen Samstag ein Pontifikalamt zu Ehren des seligen Josemaría Escrivá feierte. Insgesamt dürften es wohl mehr als 3.000 Frauen und Männer gewesen sein, die an dem Festgottesdienst, dem anschließenden Festakt im Maternushaus sowie einem im nahegelegen Börsensaal parallel veranstalteten Familienfest der Freunde und Förderer teilnahmen, mit dem die deutsche Region der Prälatur Opus Dei nicht nur den 100. Geburtstag ihrer Gründers, sondern auch noch den 50. Jahrestag des Beginns der Arbeit des “Werk Gottes” in Deutschland feierte.

Fünfzig Jahre, die der Apostolische Nuntius, Giovanni Lajolo, in einer Grußbotschaft an den Regionalvikar des Opus Dei, Prälat Christoph Bockamp so Revue passieren ließ: “Auf die Bitte des damaligen Erzbischofs von Köln, Joseph Kardinal Frings, kamen im Jahr 1952 die ersten Mitglieder des Opus Dei nach Bonn.” Und obwohl die ersten Jahre im Nachkriegsdeutschland keine einfachen waren, “wuchs das Opus Dei doch kontinuierlich und nahm seinen Weg von Bonn aus nach Köln, Essen, Aachen, Münster, Frankfurt, Trier, schließlich auch nach Bayern und Berlin und in viele andere Orte, in denen einzelne Angehörige des Werkes leben. Sichtbarer Ausdruck sind Studentenheime, Jugendclubs, Hauswirtschaftsschulen und andere Bildungszentren.” Dort sei eine vielfältige Bildungs- und Entwicklungsarbeit entstanden, die von der Arbeit mit Auszubildenden über multikulturelle Studentenheime bis zu Entwicklungsprojekten in der Dritten Welt reiche. “Dass es sich dabei um eine nachhaltige menschliche und geistliche Entwicklungsarbeit handelt, das belegen”, so der Nuntius weiter, “nicht zuletzt die Erwachsenentaufen und Hinwendungen zum Glauben.” Als apostolisches Werk bemühe sich das Opus Dei, Menschen Hilfestellung zu geben für eine Begegnung mit Gott. Denn in den Häusern, von denen der Nuntius, wie er berichtet, selbst einige besuchen konnte, suche man Orientierung im Lichte Gottes und seines Wortes. “Mehr noch: Es wird dort gebetet, d. h. zu und mit Gott gesprochen.” Und obwohl das apostolische Wirken der einzelnen Angehörigen des Werkes unter Freunden, Kollegen, Bekannten, in Familien und am Arbeitsplatz unauffällig bliebe, sei es nichtsdestoweniger wirksam. “Es kommt”, so Lajolo, “in vollem Umfang ebenso der Ortskirche zugute wie die Initiativen im sozialen, schulischen, kulturellen und akademischen Bereich, die aus solchen Freundeskreisen hervorgegangen sind.”

Auch Kardinal Meisner würdigte in seiner Predigt die Arbeit des Opus Dei, welches sich bis heute außerhalb und gelegentlich auch innerhalb der Kirche Anfeindungen ausgesetzt sieht. “Aus dem Leben und Wirken unserer Erzdiözese” seien die “Gefährten und Gefährtinnen des Seligen, heute nicht mehr wegzudenken”, betonte der Erzbischof.

In Anspielung auf die von Papst Johannes Paul II. bereits angekündigte Heiligsprechung des Seligen führte Meisner aus, zwar bleibe der selige Josemaría Escrivá der Gründer des Opus Dei, “aber er gehört nun allen in der Kirche. Darum freuen wir uns mit den Mitgliedern des Opus Dei, dass wohl bald unser gemeinsamer Seliger heilig gesprochen wird. ‚Wenn (...) ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm‘ (1 Kor 12,26). Mitgegangen, mitgehangen – auch an der Fassade von Sankt Peter”, blickte Meisner nach vorne.

Den Blick nach vorn will auch eine Festschrift richten, die im Rahmen des Festaktes im Maternushaus vorgestellt wurde. Herausgegeben hat sie der Vorgänger des jetzigen Regionalvikars, Prälat César Ortiz. Das rund 450 Seiten starke Buch sei eine “Festschrift, wenn die festliche Gelegenheit, die es veranlaßt den Namen rechtfertigt. Es ist keine Festschrift, wenn man darunter, wie in Deutschland so oft, einen wissenschaftlich ehrenden Sammelband versteht”, die oftmals ungelesen in den Bücherregalen verschwänden, sagte Ortiz. Kardinäle, Bischöfe, darunter der amtierende Nachfolger des Gründers des Opus Dei, Javier Echevarria, Priester, Professoren und Politiker aber auch Hausfrauen, Ärztinnen, Juristinnen, lassen in dem Band ihren Gedanken freien Lauf und berichten oft sehr anschaulich von dem, was sie von dem seligen Josemaría Escrivá, darunter viele, die ihn noch persönlich kannten, aufgenommen haben.

Dabei wird das Kernanliegen Escrivás, die allgemeine Berufung zur Heiligkeit, in nahezu allen ihren Facetten durchbuchstabiert. Die Wiederentdeckung Escrivás, dass nämlich alle Christen ausnahmslos, wenngleich in ihrem jeweiligen Stand zur Vollkommenheit berufen sind, war denn auch das zentrale Thema der Predigt Kardinal Meisners gewesen. “Es ist in der Kirche keine Zweiklassengesellschaft vorhanden: die zur Heiligkeit Bestimmten und die zum normalen Christstein”, so Meisner. Das gehe schon deshalb nicht, “weil in den Augen Gottes die Heiligen die Normal–Christen sind. Wäre das nicht so, dann läge hier eine unerträgliche Diskriminierung innerhalb der Kirche vor. Denn die Heiligkeit, die letztlich die Vollendung in der Liebe ist, ist das Höchste, was dem Menschen gegeben werden kann, weil sie ihn ganz in die Nähe Gottes bringt und er wirklich ein wenig wie Gott wird.” Deutlich gemacht zu haben, dass dies mit der Gnade Gottes allen Menschen möglich ist, sei denn auch das Besondere an Escrivá gewesen, und von der Kirche während des II. Vatikanischen Konzils in der “bedeutendsten Konstitution, nämlich in der Kirchenkonstitution”, mit dem Kapitel “über die allgemeine Berufung zur Heiligkeit” aufgenommen worden.

Wie das Bemühen um Heiligkeit in der Praxis aussehen kann, ließ sich an den verschieden Orten der Festlichkeiten zum 100. Geburtstag des seligen Josemaría Escrivá reichlich beobachten. Eine der anrührendsten Szenen war vielleicht jene, in der eine Mutter, die ganze Heilige Messe über an einem Pfeiler stand, der ihr die Sicht auf den nahen Altarraum versperrte, damit ihr im Kinderwagen warm eingepacktes Kind vor dem Zug geschützt war, der durch den eiskalten Dom pfiff. Die ganze Zeit über konnte sie dem Gottesdienst nur mit dem Herzen und dem Gehör folgen, während sie ununterbrochen den Wagen hin und herschob, um das Kind zu beruhigen. Nicht einmal während der Wandlung, zu der sie sich auf den kalten Steinboden kniete, unterließ sie das Wiegen. Selbstvergessen, ganz bei Gott und ganz bei der Arbeit für die anvertrauten Menschen zu sein – das scheint es zu sein, worauf es dem Opus Dei ankommt.

Die Tagespost, Würzburg