Paulus schreibt Timotheus, seinem „echten Sohn durch den Glauben“: „Ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun, wie ich weiß, auch in dir lebt.“
Pauli wunderbares Wort über die Großmutter und die Mutter seines Mitarbeiters fällt eher beiläufig. Sie haben Timotheus den Glauben eingepflanzt und gefestigt haben. Die Namen Loïs und Eunike verleihen dem Grundthema des Briefes persönliche Züge. Die beiden Frauen sind Glieder einer Kette, an deren Anfang der auferstandene Herr steht und die durch die Jahrhunderte bis uns heute reicht. Und durch uns wird sie unsere Nachfahren erreichen. Voraussetzung dafür sind Treue in der Weitergabe des Glaubens und Wissen um die Art, „wie man sich im Hauswesen Gottes verhalten muss, das heißt in der Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist“ (3,15).
Zu allen Zeiten hat es Christen gegeben, die dies realisiert haben: in der Verfolgung, in der Diaspora, bei der Evangelisierung neuer Völker. Auch in unserer vom Wohlstand geprägten Gesellschaft hat die Großmutter oftmals die Lücke zu überbrücken vermocht, die die Eltern aus einer „verlorenen Generation“ gerissen hatte.
Die Familie ist der normale Weg bei der Weitergabe des Glaubens. Mancher von uns wird dankbar an vergangene und doch bleibend wirkende Glaubenserfahrungen in der eigenen Familie denken, an Reichtümer, die auf diesem Weg auf uns gelangt sind. Der heilige Josefmaria erinnert an die „Häuser so vieler Juden und Heiden, Griechen und Römer, in denen die Predigt der ersten Jünger des Herrn Frucht brachte.Familien, die aus der Kraft Christi lebten und Christus verkündeten; kleine christliche Gemeinschaften, die wie Brennpunkte des Evangeliums waren. Es waren Familien wie so viele andere Familien jener Zeit, aber sie waren von einem neuen Geist beseelt, der alle ansteckte, mit denen sie verkehrten. So waren die ersten Christen, und so müssen wir Christen von heute sein: Boten des Friedens und der Freude, die Christus uns brachte.“ (Christus begegnen, Nr. 30)
Timotheus trägt als Bischof eine besondere Verantwortung. Daher die Ermahnungen des Paulus: „Achte auf dich selbst und auf die Lehre; halte daran fest! Wenn du das tust, rettest du dich und alle, die auf dich hören.“ (4,16) Und dann: „Timotheus, bewahre, was dir anvertraut ist. Halte dich fern von dem gottlosen Geschwätz und den falschen Lehren der so genannten ‚Erkenntnis’! (6,20) Paulus meint mit diesem Wort die Versuchung, in elitärer Arroganz das Wissen und die Frömmigkeit der Einfachen und Kleinen zu verachten. Gegenüber diesem Dünkel betont der Apostel die Einfachheit des Glaubens und die Gefahr der Selbstüberhebung: „Das Ziel der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glaube.“ (1,5)
Je nach dem Zeitgeist tritt solche vermeintliche Erkenntnis, solche „Gnosis“, in wechselnder Gestalt auf. In der Sylvesterpredigt 1979 mahnte der jetzige Papst und damalige Erzbischof von München und Freising: „Auf der Linie der Bergpredigt ist und bleibt der christliche Glaube die Verteidigung der Einfachen gegen die elitäre Anmaßung der Intellektuellen. Hier wird nun endlich das ganz demokratische Element sichtbar, das im Kern der Aufgabe des kirchlichen Lehramtes liegt. Ihm ist es aufgetragen, den Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen. Seine Aufgabe ist es, dort zur Stimme der Einfachen zu werden, wo Theologie das Glaubensbekenntnis nicht mehr auslegt, sondern es in Besitz nimmt und sich über das einfache Wort des Bekenntnisses stellt. Insofern wird zwangsläufig das Tun des Lehramts immer den Ruch des Naiven an sich haben. (...) Das kirchliche Lehramt schützt den Glauben der Einfachen; derer, die nicht Bücher schreiben, nicht im Fernsehen sprechen und keine Leitartikel in den Zeitungen verfassen können.“
Solche Einfachen in der Kette lebendigen und aufrichtigen Glaubens waren die Großmutter und die Mutter des großen Apostelschülers und Bischofs Timotheus, die Paulus lobt.