Der Tolerante braucht den eigenen Standpunkt

Das Fest Petri Stuhlfeier ist ein Anlass, für den Papst zu beten. Prälat Christoph Bockamp, der deutsche Regionalvikar des Opus Dei, geht auf Fragen zu einigen Grundanliegen von Benedikt XVI. ein.

Alle Welt blickt auf den Papst. Selbst Menschen, die nicht praktizieren, werden so mit seinen Anliegen konfrontiert. Setzt der Papst die Agenda und wenn ja, welche? 

Meines Erachtens geht Papst Benedikt XVI. an die Wurzel aller Fragen, die Frage nach der Wahrheit. Letztlich kann kein Mensch zufrieden sein mit der skeptischen Haltung des Pilatus: Was ist Wahrheit? Wir möchten unser Leben auf Wahrheit gründen. Worauf denn sonst? Schon vor einigen Jahren, als er noch nicht auf dem Stuhl Petri saß, sagte er: „Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religion; er beruht auf Erkenntnis. Er verehrt jenes Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt, den ‚wirklichen Gott’. Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden, nicht mehr ihr Gegenspieler. Weil es so ist, weil das Christentum sich als Sieg der Entmythologisierung, als Sieg der Erkenntnis und mit ihr der Wahrheit verstand, deswegen musste es sich als universal ansehen und zu allen Völkern gebracht werden: nicht als eine spezifische Religion, die andere verdrängt, nicht aus einer Art von religiösem Imperialismus heraus, sondern als die Wahrheit, die den Schein überflüssig macht.“ 

Diese Wahrheit spricht nicht nur den Kopf an, sondern den ganzen Menschen. In seinen beiden Enzykliken über die Liebe und die Hoffnung hat der Papst aufgezeigt, dass diese Wahrheit gleichzeitig die Liebe und die Hoffnung ist. Die Wahrheit ist nicht kalt und trocken rational, sondern in Jesus Christus zeigt uns Gott seine Barmherzigkeit. Und das ist unsere große Hoffnung, die auch dann noch Bestand hat, wenn sich die Hoffnung auf Erfolg und Gesundheit zerschlägt. Letztlich ist der Mensch ohne Gott hoffnungslos. 

Papst Benedikt führt die Menschen von heute an ihre großen Fragen heran: nach Wahrheit, Liebe, Leben, Hoffnung, Freiheit, Glück. Er spricht halt am liebsten von dem, dessen Stellvertreter er ist: Von Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, der von sich sagen konnte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. 

Führt es nicht zur Intoleranz, wenn man so absolut von Wahrheit spricht? 

Ein Grundirrtum unserer Zeit scheint mir der Impuls zu sein: „Ich muss alles relativieren, um tolerant sein zu können.“ Aber ich kann doch einem Freund, der kein Christ ist, sagen, dass Jesus Christus die Wahrheit ist und dass der Freund deshalb die Wahrheit noch nicht voll erkannt hat. Wir können schließlich nicht beide recht haben, wenn der eine sagt, Jesus ist Gottes Sohn, und der andere das verneint. Aber wir können doch weiter Freunde sein. Gerade der christliche Glaube führt mich zur Achtung, ja Liebe gegenüber jedem Menschen. Verkürzt gesagt: Toleranz gegenüber Personen, nicht gegenüber jeder Auffassung. Man muss kein Mensch ohne Überzeugungen und Standpunkte sein, um tolerant zu sein. Das dürfen auch wir Christen für uns in Anspruch nehmen. Diese Gedanken geben übrigens wieder, was in dem wichtigen Konzilsdokument über die Religionsfreiheit steht. 

Immer wieder spricht der Papst vom II. Vatikanischen Konzil. Welche Kernanliegen des Konzils rücken für Sie in den Vordergrund? 

Es ist immer ein Gewinn, die Texte des Konzils zu lesen. Dazu kann ich nur jeden ermuntern, der sich fundierte Kenntnisse aneignen will. Eine zentrale Aussage ist sicher die, dass alle Getauften zur Heiligkeit gerufen sind. Das Entscheidende in der Kirche ist nicht, ob man ein Amt bekleidet, sondern dass man durch die Taufe zutiefst zu Christus und seiner Kirche gehört. Um es pointiert auszudrücken: Wenn jemand Papst oder Bischof oder Pfarrer wird, hat er dadurch keinen Vorteil. Er ist dadurch nicht mehr Christ als die anderen. Entscheidend ist die Lebensführung. Ob jemand Fußballspieler, Journalistin, Professor, Managerin, Angestellte oder eben Pfarrer ist: Jeder kann ein vorbildliches christliches Leben führen und die Liebe Gottes widerspiegeln. Und das ist das einzig Entscheidende vor Gott. Das macht letztlich seinen Wert als Christ aus. Der hl. Josefmaria Escrivá hat schon lange vor dem Konzil gesagt, dass die Heiligkeit nicht Sache für einige wenige Privilegierte ist, sondern für alle.  

Wo steht das Opus Dei, was ist seine spezifische Sendung? 

Es geht schlicht darum, diese Vision des Konzils in die Tat umzusetzen. Das Entscheidende ist sicher das, was Gott wirkt, besonders durch die Heilsmittel der Taufe, der Firmung, der Beichte, der Eucharistie. Aber Gott hat uns Herz und Verstand gegeben, und mit diesen müssen wir mitwirken. Wie auf allen anderen Gebieten – Wissenschaft, Sport, Autofahren usw. – braucht man auch als Christ Anleitung und Ausbildung. Das Opus Dei gibt in Ergänzung zur Pfarrei eine gründliche Anleitung zum christlichen Gebets- und Tugendleben sowie eine zeitgemäße Bildung in der Glaubenslehre. 

Die Verwirrungen dieser Tage offenbaren ja einen ziemlichen Mangel an Bildung: Man verwechselt zum Beispiel Aufhebung von Exkommunikation mit Rehabilitation und versteht auch nicht, was eigentlich Exkommunikation bedeutet und warum diese Strafe für einen Gläubigen so schwer wiegt. Eine kleine Anekdote: Als ich jemandem den Katechismus der Katholischen Kirche zeigte mit seinen mehr als 700 Seiten, da wurde ihm auf einmal klar, dass der Glauben einen Inhalt hat. Der größte Feind des Glaubens ist nicht der „Zeitgeist“, sondern die Unwissenheit. Das Opus Dei mit seinen Laien und Priestern stellt eine Vielzahl von praktischen und theoretischen Hilfen zur Verfügung für den Christen, der mitten im Leben steht und Christus dort konsequent nachfolgen will.