Brief des Prälaten (Februar 2007)

Der Prälat fordert dazu auf, den Willen Gottes auch dann anzunehmen, wenn es uns schwer fällt: "Selbst wenn wir im ersten Moment Widerstand leisten oder ungehalten sind, bildet die großzügige Annahme seiner Anrufe den sicheren Weg, um Christus aus der Nähe zu folgen."

Betrachten wir die Szene, die uns der Evangelist Lukas überliefert hat. Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: „Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein.“ Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tau­ben“.[1] In dieser Perikope wird wiederholt darauf bestanden, daß Maria und Josef mit der erklärten Absicht nach Jerusalem gehen, den Willen Gottes zu erfüllen, so wie er im mosaischen Gesetz festgelegt war. Sie stellen nichts in Frage, obwohl sie Gründe genug zu der Annahme hatten, daß diese Vorschrift sie nicht verpflichtete. Sie gehorchen schlicht und froh und geben so den Männern und Frauen aller Zeiten, besonders aber den Christen, ein vollendetes Vorbild der Treue zu Gott und des Gehorsams seinen Gesetzen gegenüber. Sicher haben wir uns an die klaren Worte des heiligen Josefmaria erinnert, die er zum vierten Geheimnis des freudenreichen Rosenkranzes schreibt: „Siehst du? Sie, die Unbefleckte, unterwirft sich dem Gesetz, als ob sie der Reinigung bedürfte. – Lehrt dich dieses Beispiel nicht, mein törichtes Kind, das heilige Gesetz Gottes trotz aller persönlichen Opfer zu erfüllen?“[2]

Den Willen Gottes erfüllen – so kann man die ganze christliche Weisheit zusammenfassen. Außerhalb dieses Weges der vollständigen Gleichförmigkeit mit dem, was Gott will, ist es unmöglich, Christus zu folgen. So verhielten sich Maria und Josef in jedem Augenblick ihres Lebens. Der Hebräerbrief spricht vom Eintritt des Sohnes Gottes in die Welt und legt ihm dabei die Worte des Psalms in den Mund: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: „Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle –, um deinen Willen, Gott, zu tun“.[3] Und es ist ebenfalls von Bedeutung, daß Maria in dem Augenblick, als sie der Menschwerdung zustimmt, dem Erzengel antwortet: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.[4] Dasfiat! der seligsten Jungfrau entspricht in vollem Maße dem ecce venio des Gottessohnes, der zu unserem Heil Mensch wird. Der Heilige Vater sagt in einer Predigt: „Angesichts des Geheimnisses dieses zweifachen »Siehe, hier bin ich« – des »Siehe, hier bin ich« des Sohnes und des »Siehe, hier bin ich« der Mutter, die sich ineinander widerspiegeln und ein einziges Amen zum Liebeswillen Gottes bilden – verweilen wir in Staunen und beten voll Dankbarkeit an.“[5]

Aber dieses Staunen und diese Dankbarkeit müssen uns zu Taten bewegen, sie müssen sich in konkreten Werken zeigen. Denn – erinnern wir uns an Jesu Worte – nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.[6] Der große Vorwurf, den Jesus den Menschen seiner Zeit macht und den er auch uns heute machen könnte, ist genau der, daß wir uns oft damit zufriedengeben, unsere Liebe zu Gott mit Worten zu äußern, aber nicht mit Werken zu bekräftigen. Im Markusevangelium finden wir denselben Gedanken in einem Vers, der in wenigen Tagen in der heiligen Messe gelesen wird: Der Prophet Jesaja hatte recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir.“[7] Betrachten wir, was unser Vater dazu schreibt: „Dein Gebet soll das Gebet eines Kindes Gottes, nicht das eines Heuchlers sein. An die Heuchler richtet Jesus sein Wort: »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr! wird in das Himmelreich eingehen«. – Dein Gebet – dein Ruf »Herr! Herr!« – wird sich im Verlauf des Tages in tausend Formen äußern und mit dem Wunsch und dem tätigen Willen zusammengehen, den Willen Gottes zu tun.“[8]

Fragen wir uns häufig: Erfülle ich treu den Willen Gottes? Suche ich in allem seinen Forderungen nachzukommen, ohne Grenzen zu setzen? Es ist leicht, diese Erwägungen des heiligen Josefmaria darzulegen; aber in der Praxis, so müssen wir ohne Umschweife anerkennen, gibt es viele Umstände – oder können wir sie uns vorstellen –, die es uns erschweren, den Willen unseres himmlischen Vaters zu befolgen und zu lieben. Eine Krankheit, eine körperlich oder seelisch unangenehme Situation, eine unerwartete Schwierigkeit bei der Durchführung unserer Arbeit, die Reibungen, die sich im Zusammenleben mit anderen Menschen ergeben, etwas, das unseren Plänen zuwiderläuft … jede einzelne Gegebenheit dieser Art ist eine konkrete Äußerung des göttlichen Willens. Gott schickt sie uns durch die ganz normalen Umstände und erwartet eine treue Antwort. Selbst wenn wir im ersten Moment Widerstand leisten oder ungehalten sind, bildet die großzügige Annahme seiner Anrufe den sicheren Weg, um Christus aus der Nähe zu folgen. So erfüllen wir wortwörtlich seine Aufforderung, jeden Tag sein Kreuz auf uns zu nehmen und ihm so vollkommen ähnlich zu werden.[9]

Wie antworten wir auf diese Anfragen Gottes an uns? Sehen wir hinter den Widrigkeiten des Tages, auch den kleinsten, den Liebeswillen Gottes, unseres Vaters? Ist uns bewußt, daß all das mit den Schlägen des Meißels vergleichbar ist, mit denen der göttliche Künstler, der Heilige Geist, nach und nach das Bild Christi in unserer Seele herausarbeitet?Meine Töchter und Söhne, sagen wir unser serviam! großzügig und aus ganzem Herzen. Hören wir den Rat des heiligen Josefmaria: „Verfalle nicht in den Trugschluss zu denken: wenn dieses oder jenes so oder so in Ordnung kommt, werde ich meinem Gott gegenüber sehr großzügig sein. – Vielleicht rechnet Jesus auf deine vorbehaltlose Großzügigkeit, um die Dinge besser zu fügen, als du dir vorstellen kannst? – Fester Vorsatz, selbstverständlicher Schluß: Jeden Augenblick jeden Tages will ich versuchen, den Willen Gottes großzügig zu erfüllen.“[10]

Das sind Worte, die jene anderen – ebenfalls aus dem Weg – aufgreifen, die wie mit Feuer in die Seele unseres Vaters eingebrannt waren: „Man erzählt, daß jemand, der im Gebet zum Herrn sagte: »Jesus, ich liebe Dich«, vom Himmel die Antwort hörte: »In Werken lebt die Liebe und nicht in schönen Worten.« – Überlege, ob dieser liebevolle Vorwurf nicht vielleicht auch auf dich zutrifft“.[11]

In diesen Tagen sind es genau 75 Jahre her, daß er diese göttliche Eingebung hatte. Unser Vater bezog sich häufig auf diese Vorgänge am 16. Februar 1932, aber er drückte sich immer so aus, daß die Hauptperson möglichst im Dunkeln blieb. Erst nach seinem Heimgang in den Himmel haben wir Einzelheiten über dieses Ereignis erfahren, wie man es den Persönlichen Aufzeichnungen entnehmen kann und wie es in einer der Biographien steht.

Unser Gründer war einige Tage stark erkältet, und – so drückt er sich in seinen persönlichen Notizen aus – „das ist eine Ausrede, mich meinem Gott gegenüber weniger großzügig zu zeigen. Ich habe im Gebet nachgelassen und auch in jenen tausend kleinen Dingen, die ein Kind (…) seinem Herrn jeden Tag aufopfern kann. Ich habe gemerkt, daß ich meine Vorsätze vernachlässigt habe, mehr Zeit und mehr Interesse für meine Frömmigkeitsübungen aufzubringen. Ich täuschte mich selbst mit dem Gedanken: später, wenn du wieder bei Kräften bist, wenn eine Lösung für die wirtschaftliche Situation deiner Familie gefunden ist … dann wird alles anders werden!“[12]

Wie menschlich erscheint uns die Gestalt des heiligen Josefmaria! Auch er musste wie wir in vielen kleinen Dingen kämpfen. Auch er litt wie wir unter gesundheitlichen Beschwerden, unter finanziellen Schwierigkeiten, Zeitmangel, Unlust … Wie sollte er uns nicht verstehen, wenn wir ihn um Hilfe bitten, um unsere Begrenzungen zu überwinden? Bitten wir mit Vertrauen um seine Fürsprache, denn er hat Verständnis für unsere Bedürfnisse. Aber seien wir trotzdem immer bereit, den Willen Gottes in den verschiedenen Situationen zu erkennen. Nehmen wir ihn an, ohne uns Ausflüchte zu erfinden, mit denen wir unseren Mangel an Großzügigkeit zu rechtfertigen versuchen.Ich folge weiter dem Bericht des heiligen Josefmaria. Während er an jenem 16. Februar den Schwestern von Santa Isabel die Kommunion austeilte, sprach er in seinem Herzen mit Christus. Ohne diese Worte laut auszusprechen, sagte er ihm, was er Tag und Nacht oft wiederholte: „Ich liebe dich mehr als diese!“ Und sofort habe ich – so fügt er hinzu –, ohne das Geräusch von Worten, vernommen: „In Werken lebt die Liebe und nicht in schönen Worten!“ Sofort sah ich meine mangelnde Großzügigkeit ein, und es standen mir viele Einzelheiten vor Augen, manche ganz unverhofft, die mich diesen Mangel an Großmut sehen ließen. Mein Jesus: hilf deinem Esel, viel, viel großzügiger zu werden. Mit Werken! Mit Werken!“[13]

Don Alvaro bemerkte dazu, daß diese Eingebung Gottes den heiligen Josefmaria innerlich sehr bewegte, nicht weil er schlecht betete, sondern weil Gott mehr von ihm forderte und mit dieser An-Sprache seinen Verstand erleuchtete und seinen Willen stärkte, damit er „viele ungeahnte Kleinigkeiten“ entdeckte, in die er noch mehr Feingefühl legen konnte. So verhielt sich unser Gründer, den die Erinnerung an jenen liebevollen Vorwurf Jesu sein ganzes Leben antrieb, sich im Dienst an Gott und zum Wohl der Menschen noch mehr einzusetzen.

Auch wir können und sollen uns von diesem Hinweis angesprochen fühlen. Die großmütige Erfüllung des göttlichen Willens, so wie er sich im gewöhnlichen Leben zeigt, weist uns den Königsweg, auf dem wir unserem Herrn ganz direkt folgen und im Apostolat wirksam sein können. Der Heilige Vater erinnerte in einer Predigt daran: „Die gehorsame Nachfolge des göttlichen Meisters macht die Christen zu Zeugen und Aposteln des Friedens. Wir könnten sagen, daß diese innere Haltung uns hilft, auch besser deutlich zu machen, was die christliche Antwort auf die Gewalt sein muß, die den Frieden in der Welt bedroht. Sicher nicht Rache, Hass, ebensowenig Flucht in einen falschen Spiritualismus. Die Antwort dessen, der Christus nachfolgt, ist vielmehr, den Weg zu gehen, den er gewählt hat, als er angesichts der Übel seiner Zeit und aller Zeiten entschlossen das Kreuz auf sich nahm und den längsten, aber wirksamsten Weg der Liebe ging. Auf seinen Spuren und mit ihm vereint müssen wir alle uns bemühen, dem Bösen mit dem Guten, der Lüge mit der Wahrheit, dem Hass mit der Liebe zu begegnen.“[14]

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[1] Lk 2, 22–24

[2] Hl. Josefmaria, Der Rosenkranz, 4. freudenreiches Geheimnis

[3] Hebr 10, 5–7 (Vgl. Ps 40, 7–9)

[4] Lk 1, 38

[5] Benedikt XVI., Predigt, 25.3.2006

[6] Mt 7, 21

[7] Mk 7, 6 [8] Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 358

[9] Vgl. Lk 9, 23

[10] Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 776

[11] Ebd. Nr. 933

[12] Hl. Josefmaria, Persönliche Aufzeichnungen, Nr. 606 (16.2.1932). Vgl. Andrés Vázquez de Prada, „Der Gründer des Opus Dei“, Bd. 1, S. 395

[13] Ebd. [14] Benedikt XVI., Predigt, 1.3.2006