IN DER BERGPREDIGT, die wir in diesen Tagen hören, legt Jesus das Gesetz, das Israel von Gott erhalten hatte, neu aus. Er betont seinen bleibenden Wert und fordert zugleich, es mit neuem Geist, dem Geist der Liebe, zu leben. Papst Johannes Paul II. spricht von „Kontinuität und Überwindung“: „Das Gesetz wird verwandelt und vertieft als ein Gesetz der Liebe, das einzig und allein dem väterlichen Angesicht Gottes entspricht.“1 Es wird von einem äußeren zu einem „inneren Gesetz des Menschen, in dem der Heilige Geist wirkt (...) und zum Meister und Führer des Menschen wird“2.
Anhand des zweiten Gebots, das vorschreibt, „den Namen des Herrn zu achten“3, zeigt Jesus den neuen Stil auf: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören (...). Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs! Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen (Mt 5,33-36). In der jüdischen Gesellschaft wurde viel geschworen, manchmal auch falsch (vgl. Mt 23,16-22). Da der göttliche Name als heilig und unaussprechlich galt, wurde er geschont und dafür auf alle möglichen Gegenstände geschworen.
Jesus lehrt, dass jeglicher Schwur den heiligen Namen des Herrn verletzen kann, weshalb wir nicht beliebig darauf zurückgreifen sollen. Der Katechismus der Katholischen Kirche betont, dass „Gottes Gegenwart und seine Wahrheit in jedem Wort in Ehren zu halten sind. Sich beim Sprechen nur mit Bedacht des Wortes ,Gott‘ zu bedienen, entspricht der ehrfürchtigen Achtung vor seiner Gegenwart.“4 Indem er uns als seinen Jüngern seinen Namen anvertraute, offenbarte Gott uns sein persönliches Geheimnis. „Die Preisgabe des Namens ist ein Zeichen des Vertrauens und der Freundschaft. (…) Darum darf der Mensch (…) ihn nur gebrauchen, um Gott zu preisen, zu loben und zu verherrlichen.“5 Gottes Name wird nicht überall auf dieselbe Weise verehrt. Der heilige Augustinus erklärte daher, dass der Name Gottes groß ist, „wo er so genannt wird, wie es der Herrlichkeit seiner Majestät entspricht. Und gleichermaßen ist sein Name heilig, wo er mit Verehrung und Furcht, ihn zu beleidigen, ausgesprochen wird.“6
SCHWÖREN heißt, Gott als Zeugen für etwas heranzuziehen und seine Wahrhaftigkeit als Garantie für die Wahrheit der eigenen Aussage zu nutzen. Jesus lehnt die Notwendigkeit eines Schwurs als Wahrheitsgarantie entschieden ab. Wahrheit muss aus sich selbst heraus leuchten. Echte, vertrauensvolle Beziehungen können nur entstehen, wenn unsere Worte die Wahrheit widergeben. Der heilige Thomas von Aquin erklärte: „Das menschliche Zusammenleben wäre nicht möglich, wenn die einen nicht auf die anderen vertrauen könnten als Personen, die im Umgang miteinander die Wahrheit sagen.“7 Papst Franziskus hält es daher für wichtig, „in unseren Familien und in unseren Gemeinschaften eine Atmosphäre der Klarheit und des gegenseitigen Vertrauens“ aufzubauen. Und er betont: „Dies ist durch die Gnade des Heiligen Geistes möglich, die uns befähigt, alles mit Liebe zu tun und so Gottes Willen zu erfüllen.“8
Ein Leben im Einklang mit der Wahrheit ist der Weg zu innerer Harmonie und innerem Frieden. Benedikt XVI. zeigt die Zusammenhänge auf: „Nur die Demut kann die Wahrheit finden, und die Wahrheit wiederum ist die Grundlage der Liebe.“9 Papst Franziskus warnte davor, „in unwahrer Kommunikation zu leben, weil sie ein Hindernis für die Beziehungen und damit ein Hindernis für die Liebe ist. Wo Lüge ist, da ist keine Liebe, da kann keine Liebe sein. Und wenn wir von zwischenmenschlicher Kommunikation sprechen, dann meinen wir damit nicht nur die Worte, sondern auch die Gesten, die Haltungen, ja sogar das Schweigen und die Abwesenheit. Ein Mensch spricht mit allem, was er ist und tut. Wir alle kommunizieren miteinander, immer. Wir alle leben in der Kommunikation und stehen ständig auf der Kippe zwischen Wahrheit und Lüge.“10
Die christliche Berufung ist ein Weg der Einswerdung mit Christus. Er ist die Wahrheit (Joh 14,6) und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (Joh 18,37). Die Liebe zur Wahrheit ist daher das Grundgesetz für die Art und Weise, wie seine Jünger sprechen und handeln sollten: Eure Rede sei: Ja Ja, Nein Nein (Mt 5,37). Alles, was wahr ist, kommt von Gott, was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen (Mt 5,37). Die Liebe zur Wahrheit ist auf dem Weg zu Gott notwendig. Dies führt uns dazu, die Wahrheit zu suchen und sie in unseren Absichten, Worten und Taten widerzugeben. Der Wahrheit dienen, bedeutet Aufrichtigkeit, der Wahrheit folgen heißt, in Gemeinschaft mit dem Herrn zu sein.
ALS DER heilige Josefmaria nach seiner Lieblingstugend gefragt wurde, antwortete er sofort: die Aufrichtigkeit. „Unser Ja sei Ja; unser Nein Nein“ war das Motto der ersten Schule, die auf seine Anregung hin entstand. „Der Christ muss in all seinen Werken authentisch, wahrhaftig und aufrichtig sein“, predigte er oft. „Sein Verhalten muss den Geist Christi widerspiegeln. Wenn jemand in dieser Welt konsequent sein soll, dann ist es der Christ, denn ihm wurde die Wahrheit anvertraut, die befreit und rettet, damit er sie Frucht bringen lasse. Ihr fragt, wie ihr diese Aufrichtigkeit im Leben erreichen könnt? Jesus Christus hat seiner Kirche alle erforderlichen Mittel gegeben: Er hat uns gelehrt, zu beten und mit seinem himmlischen Vater zu kommunizieren; er hat uns seinen Geist gesandt und die Sakramente hinterlassen. Nutzt sie. Vertieft euer geistliches Leben. Betet täglich.“11
Manchmal haben wir vielleicht Angst vor der Wahrheit und den Verpflichtungen, die sie mit sich bringt. Wir bitten den Herrn um die Gnade, immer transparent und einfach zu handeln, ohne uns zu verstellen oder zu verkomplizieren. Wir wissen, dass eine halbe Wahrheit nicht die Wahrheit ist. Wir erlangen Glaubwürdigkeit durch ehrliches Verhalten und Reden, ohne Übertreibungen.
Maria hörte in der Stille auf die Worte des Engels, fragte nach bei dem, was sie nicht verstand, und antwortete großzügig, ohne Ausreden. Mit ihrem „Fiat“ nahm die rettende Wahrheit in ihrem Schoß Fleisch an. In ihr wurde der endgültige Bund zwischen Wahrheit und Liebe geschlossen. Wir wenden uns an unsere Mutter, um zu lernen, die Wahrheit in Liebe zu leben und so den Weg für eine größere Wahrheit zu öffnen.
1 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 7.4.1999.
2 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 9.8.1989.
3 Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2142.
4 Ebd., Nr. 2153.
5 Ebd., Nr. 2143.
6 Hl. Augustinus, Über die Bergpredigt, 2, 5, 19.
7 Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q.109, a.3, ad.1.
8 Franziskus, Angelus-Gebet, 12.2.2017.
9 Benedikt XVI., Ansprache, 29.11.2019.
10 Franziskus, Audienz, 14.11.2018.
11 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 141.