Nach 500 Jahren kam erstmals der Bischof aus dem eigenen Land

Teemu Sippo ist emeritierter römisch-katholischer Bischof von Helsinki und gleichzeitig der erste Finne nach 500 Jahren, der dieses Amt innehatte. Seine Geschichte, die sehr gut seine Situation in Finnland schildert, klingt wie ein Märchen… Er selbst hat keine Erklärung für die entscheidenden Momente seines Lebens.

Bischof Sippo zu Besuch in einem Zentrum des Opus Dei in Helsinki (2018)

„Ich wurde am 20. Mai 1947 in Lahti, im Süden Finnlands geboren. Früher war unser Land sehr arm, besonders in jener Zeit. Der Winterkrieg war erst wenige Jahre vorbei und die Folgen hatten das Land ausgemergelt. Ich war das zweite von fünf Geschwistern und wuchs in einer lutherischen Familie auf, deren Mittelpunkt die Großmutter war. Sie war eine gute, liebevolle Frau, die uns jeden Sonntag mit in die Kirche nahm. Wir durften uns dort nicht bewegen, mussten steif wie Statuen sitzen, still sein und außerdem – und das war das Schwierigste – verharren, ohne zu niesen. Und wehe demjenigen, der mit den anderen auch bloß ein Wort flüsterte! Aber trotz allem gefiel es uns in der Kirche, denn dort wurden auf der Orgel wunderschöne Stücke gespielt. Als unsere Großmutter starb, zogen wir nach Helsinki.

Interesse am Katholizismus: Es war die Gnade Gottes!

Es war eine Zeit großer sozialer Veränderungen. Bis dahin war Finnland vom Rest Europas wegen seiner geografischen Lage ziemlich getrennt; durch die Medien, besonders das Fernsehen, lernten wir die anderen Kulturen, Mentalitäten und Religionen besser kennen. Ganz konkret: Ich interessierte mich besonders für die katholische Kirche. Warum? Ich weiß es nicht. Ich hatte nie in meinem Leben einen Katholiken kennengelernt. 1965 wurde mein Vater nach Tampere versetzt und ich suchte dort weiter nach Informationen über den Katholizismus. Als ich dies im Jahr 2010 Papst Benedikt XVI. während eines Aufenthaltes in Rom erzählte, hörte er mir mit erstauntem Gesichtsausdruck zu. Und mit seinem ihm eigenen Blick stellte er mir die Frage, die ich mir selbst auch schon oft gestellt habe: Warum hat ein junger Finne ein so tiefes Interesse am Katholizismus, obwohl er nie damit in Kontakt gekommen war? Ich antworte dem Papst: Ich weiß es nicht. Es war die Gnade Gottes.

„Dann hatte ich den Wunsch, Priester zu werden!“

Als ich achtzehn Jahre alt war, geschah Folgendes: Damals fragte ich, wo ich eine katholische Kirche finden könne, und man sagte mir, dass es in Tampere nur eine kleine Kapelle in der zweiten Etage eines bescheidenen Wohnhauses gäbe. Ich ging hin, klingelte und mich empfing ein Priester. Es war ein Ordensmann der Dehonianer (Herz-Jesu-Priester), der mir die Kirche zeigte. Sie war sehr klein, hatte die Größe einer Kapelle. Er wohnte in einem nahegelegenen Gebäude in einem sehr einfachen Appartement. Ich nahm sonntags an der heiligen Messe teil und entschied mich ein Jahr später, 1966, katholisch zu werden. Und danach Priester. Nachdem ich das Glaubensbekenntnis abgelegt hatte, sagte ich dem Priester, dass ich den Wunsch hätte, so schnell wie möglich mit dem Theologiestudium zu beginnen. Er freute sich sehr, aber er riet mir, dass ich in Ruhe darüber beten und meditieren solle. ‚Warum bringst du nicht zuerst den Militärdienst hinter dich und danach sprechen wir darüber?‘ Ich hörte auf ihn.

Bewachung einer Telefonzelle vor dem vermuteten Angriff eines Feindes

Nach der militärischen Ausbildungszeit in einem verlorenen Dorf, wo ich mich total langweilte, denn meine Aufgabe war es, eine Telefonkabine vor möglichen Angriffen des Feindes zu bewachen, wiederholte ich meinen Wunsch, Priester zu werden. Er stellte fest, dass es nicht nur ein momentaner Enthusiasmus gewesen war. Er riet mir, dass ich nach Helsinki fahren solle, um in der bischöflichen Residenz mit dem Bischof zu sprechen. Ich machte mich auf den Weg und sprach dort mit Monsignore Verschuren, der ebenfalls Dehonianer war. Er war Holländer, groß und schlank, mit hoher Stirn und weißen Haaren.

Was nun - Ordens- oder Diözesanpriester werden?

Er hörte mir geduldig zu, und als ich fertig war, fragte er mich etwas, das mich ganz durcheinanderbrachte: ‚Gut, aber welche Art von Priester willst du werden: Ordens- oder Diözesanpriester?‘ Nachdem er mir den Unterschied zwischen beidem erklärt hatte, riet er mir, eine Zeit lang nach Deutschland zu gehen, in ein Haus nach Freiburg, das von der Kongregation der Priester des Herzens Jesu geleitet wurde. Ich hätte dort die Möglichkeit, nachzudenken, in Ruhe zu beten und mit tieferer Kenntnis zu entscheiden. Die Erfahrung in Freiburg war sehr gut. Ich hatte bis dahin sehr wenige Katholiken in meinem Alter kennengelernt und war überrascht von der Atmosphäre der Jugend, der Freude und der Freiheit, die man in dem Haus atmete, so ganz anders als das starre, traurige Klima während der Monate meines Militärdienstes.

Priester werden? Ein fast unerreichbares Ziel für einen Finnen!

Für einen jungen Finnen von zweiundzwanzig Jahren, der ich damals war, katholisch seit drei Jahren, war Priester zu werden ein fast unerreichbares Ziel. Ich musste Latein, Griechisch, Hebräisch … und Deutsch lernen, um den Unterricht verstehen zu können. Mit der Hilfe Gottes habe ich es geschafft. Im nächsten Jahr legte ich am 11. Oktober 1970 mein erstes Ordensgelübde ab und am 28. Mai 1977 weihte mich in Helsinki Bischof Verschuren in der Kirche St. Marien, die nicht mehr eine armselige Kapelle, sondern eine moderne, weiträumige Kirche war, zum Priester.

Erste pastorale Erfahrungen in einer der fünf katholischen Pfarreien des Landes

Meine erste pastorale Aufgabe führte mich nach Jyväskylä, einer Universitätsstadt am Ufer des Sees Päijänne, 140 Kilometer von Tampere und 270 von Helsinki entfernt. Von einigen wird sie als die ‚Antennen Finnlands‘ bezeichnet, denn es gibt dort verschiedene Lehrinstitute. Meine Pfarrei, die Kirche St. Olaf, war eine der insgesamt fünf, die es im ganzen Land gab, mit ungefähr dreihundert Gläubigen verschiedener Rassen und Nationen, die weit voneinander entfernt wohnten. Gemeinsam mit einem holländischen Priester machte ich viele Reisen, um sie zu betreuen, dabei lernte ich Finnland von Grund auf kennen.

Die Katholiken kamen aus aller Herren Länder

Wenn wir ankamen, trafen wir uns mit den Katholiken der Gegend – es waren zehn oder fünfzehn, im Höchstfall zwanzig –, feierten die heilige Messe, wo wir konnten, in einer orthodoxen oder lutherischen Kirche, und übernachteten danach bei einer uns bekannten Familie. Für sie war es ein Anlass großer Freude, aber ich muss zugeben, dass es für mich, einen dreißig Jahre alten Priester, der gerade geweiht war, eine interessante, aber auch harte Erfahrung war. Die meisten meiner Gläubigen kamen aus anderen Ländern: Philippinen, Deutsche, Afrikaner, Südamerikaner …, denn abgesehen von den Sprachproblemen, die es zu überwinden galt, musste ich mich an ihren Charakter, ihre Kultur, ihre Mentalität und ihre Traditionen gewöhnen. Und das ist nicht immer leicht.

Zwei Pfarreien in Helsinki mit etwas mehr Normalität

Jahre später kam ich an die Pfarrei St. Marien in Helsinki, wo das kirchliche Leben etwas normaler war als im Norden, obwohl das Wort „normal“ in einem Land wie Finnland, das damals dann schon insgesamt sieben Pfarreien hatte, sehr relativ ist. Danach zog ich in eine andere Pfarrei in Helsinki um, nach St. Heinrich, wo ich siebzehn Jahre lang blieb. Und da ich der einzige katholische Priester war, der auch aus Finnland kam, wurde ich jemand, an dem man den finnischen Katholizismus ablas.

Ein Anruf aus Rom

Eines Tages erhielt ich einen Anruf aus der Nuntiatur in Stockholm. ‚Kannst du kommen?‘ ‚Ja klar, wann denn?‘ ‚So schnell wie möglich.‘ Dort angekommen, sagte man mir, dass mich der Papst zum Bischof von Helsinki ernennen wolle. Zu dieser Diözese gehört ganz Finnland. Ich hätte zwei Wochen Zeit, um mir zu überlegen, ob ich annahm oder nicht. Als ich meine anfängliche Überraschung überwunden hatte, wurde mir klar, dass ich keine andere Möglichkeit hatte, als „Ja“ zu sagen, denn ich war der erste Finne nach der Reformation, der katholischer Priester geworden war. Ich atmete tief durch, empfahl mich Gott und sagte: ‚Ok.‘ Danach fuhr ich nach Rom. Kardinal Re ermutigte mich zur Annahme meines neuen Auftrags und bestätigte meine Ernennung.

Die Bischofsweihe fand in der lutherischen Kathedrale von Turku statt

Als ich zurückkam, war meine erste Handlung, einen Ort zu suchen, wo ich geweiht werden könnte, denn die Kathedrale von Helsinki hatte zu wenige Plätze. Da wir gute Beziehungen zu anderen Konfessionen haben, erreichte ich, dass man mir die lutherische Kathedrale in Turku überließ, die vor der Reformation katholisch war. Ich fragte in Rom nach und man sagte mir, das sei kein Problem. Diese Antwort beruhigte auch den deutschen Karl Kardinal Lehmann. Ich erinnere mich noch an sein Erstaunen, als ich ihm das Datum meiner Bischofsweihe nannte – den 5. September 2009 – und ihm mitteilte, dass sie in einer lutherischen Kirche stattfinden werde. Es nahmen zehn katholische Bischöfe teil – zusammen mit zahlreichen Repräsentanten anderer Konfessionen. Der Kardinal ging auf das Motto ein, das ich für mein bischöfliches Wappen ausgewählt hatte: „Christus fons vitae“, Christus ist die Quelle des Lebens. Die Zeremonie verlief in einer Atmosphäre brüderlicher Freude und sie wurde mehrmals im Fernsehen übertragen. Das hatten auch die Medien verstanden: Es war das erste Mal nach fünfhundert Jahren, dass ein katholischer Bischof, der in Finnland geweiht wurde, aus dem eigenen Land kam. Der letzte finnische Vorgänger war Arvid Kurki gewesen, der 1522 starb. Wie ich schon berichtete, haben wir zur Zeit sieben Pfarreien in einem Land mit weniger als 0,2 Prozent Katholiken. Es gibt zwei Pfarreien in Helsinki: die Kathedrale St. Heinrich und die Kirche St. Marien. Die anderen sind in Turku, Jyväskylä, Tampere, Kouvola und Oulu.

Die Verkündigung des katholischen Glaubens bleibt eine Schwierigkeit

Während der vergangenen Jahrzehnte hat sich Finnland in ein reiches Land gewandelt. Aber im Geistlichen gibt es eine spürbare Leere. So haben wir beispielsweise viele katholische Kinder, die keinen angemessenen Religionsunterricht erhalten, und obwohl wir uns bemühen, dass sie an Sommercamps teilnehmen, die den katholischen Glauben vermitteln, ist es nicht leicht, denn die Entfernungen sind immens und es gibt viele konfessionelle Misch-Ehen, bei denen die Weitergabe des Glaubens auf Schwierigkeiten stößt. Es fehlen uns Priester, es fehlen Berufungen von Priestern, es fehlen uns Katecheten … Aber weil wir in den Händen Gottes sind, haben wir das einzig wirklich Wesentliche, die Gnade. Schließlich und endlich war es das Einzige, womit ich damals rechnen konnte, als ich an jener Tür in der zweiten Etage eines bescheidenen Hauses in Tampere klingelte.“

aus: Warmer Nordwind: Lebenszeugnisse von Christen in den nordischen Ländern / José Miguel Cejas ; aus dem Spanischen von Helga Kegel und Janni Büsse, fe-Medienverlag, Kisslegg 2018 (mit freundlicher Genehmigung)