Teil 1 des Interviews: „Im Charisma vertiefen“
Teil 2 des Interviews: „Jeder soll einbezogen werden“
TEIL 3
Worin besteht der „Lebensplan“, den der heilige Josefmaria entworfen hat, und was ist sein Ziel?
Das Faszinierende am christlichen Glauben ist, dass er uns mit einem Gott vertraut macht, der ein menschliches Gesicht und einen Namen hat – ein naher, fleischgewordener Gott, und doch wahrhaft Gott: Wir können ihn nicht mit unseren Sinnen erfassen, nicht direkt sehen oder hören. Wenn wir ihn kennenlernen und mit ihm in Beziehung treten wollen, müssen wir Treffen festlegen – flexible und doch regelmäßige Treffen. Diese Begegnungen helfen uns, Gott mit den Augen des Glaubens zu sehen, sein Wort in der Heiligen Schrift zu hören, ihn in der Eucharistie zu entdecken und ihn schließlich auch in uns selbst zu finden. Über den Tag verteilt geben diese Momente einen strukturierten, aber lebendigen „Lebensplan“ ab. Mit ihm können wir den ganzen Tag lang die Freude der Begegnung mit Jesus Christus erleben – Jesus, der vorbeikommt, uns hilft, uns anspornt, uns ermutigt, uns tröstet und lehrt. Mithilfe dieser göttlichen Kraft können wir das Leben gelassen, freudig und innerlich frei angehen und sicherstellen, dass unser Tun und unsere Begegnungen von Liebe geprägt sind.
Im Opus Dei haben wir alle denselben Lebensplan, wobei er an die Lebensumstände und Belastungen eines jeden anzupassen ist, je nach beruflicher Situation, Lebensabschnitt oder konkreten Aufgaben. Er soll uns helfen, stets im Bewusstsein zu leben, Kinder Gottes zu sein.
Der heilige Josefmaria hat von Anfang an vor möglichen Fehlhaltungen gewarnt, die den Lebensplan zu einer Belastung machen können, nämlich indem wir ihn als Selbstzweck sehen und uns damit zu begnügen, ihn zu „erfüllen“. Oder indem wir den unvermeidlichen Misserfolgen bei der Befolgung des Plans zu viel Bedeutung beizumessen. Indem wir ihn nicht kreativ leben und lediglich abspulen oder ihn auch auf eine egoistische Weise leben und die Bedürfnisse unserer Mitmenschen übersehen. Entscheidend ist also, den Sinn des Lebensplans nicht aus den Augen zu verlieren – er soll uns in die innige Verbindung mit Christus führen, damit wir seine Liebe in die Welt tragen können.
In deinem Leben hast du dich besonders der Ausbildung von Frauen gewidmet, die Leitungspositionen im Opus Dei innehatten. Welche Aspekte waren dir dabei besonders wichtig? Vor welchen Herausforderungen oder „Untugenden“ hattest du die größte Sorge – und warum? Welche Lernerfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?
Eine christliche Organisation zu führen, bedeutet nichts anderes als Dienst. Ich bewundere den Einsatz und die Tüchtigkeit all jener Frauen – auch wenn sie zahlenmäßig nicht viele sind –, die in jedem Land, in dem das Opus Dei vertreten ist, diese Ämter ausfüllen. Sie setzen sich beruflich dafür ein, die religiöse Bildung der Menschen zu vertiefen, die sich den Apostolaten des Werkes nähern, lenken ihren Eifer, das Evangelium zu verbreiten, in Bahnen und stellen die notwendigen Ressourcen, Aktivitäten und geistliche Begleitung bereit, damit der Ruf Gottes, den diese Menschen empfangen haben, lebendig und kraftvoll bleibt. Ich lerne viel von ihnen.
Die allgemeinen Leitlinien, an denen sie sich in ihrer Aufgabe orientieren, stammen aus den Erfahrungen des heiligen Josefmaria. So soll etwa eine jede in jeder zu prüfenden Angelegenheit ihre Meinung ehrlich äußern und zugleich offen bleiben für die Ideen und Perspektiven des übrigen Teams. Auch darf kein Aspekt – nicht einmal die scheinbar einfachste oder materiellste Entscheidung – den Blick auf die einzelne Person verstellen. Essenziell ist auch, in allen Fragen, die konkrete Menschen betreffen, diese anzuhören und ihre Freiheit mit größter Sorgfalt zu respektieren. Darüber hinaus sollte jede Frau die Zeit, die sie in diesem Leitungsamt verbringt, auch nutzen, um Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die ihr den Übergang in einen anderen Beruf erleichtern können, wenn ihre Amtszeit abgelaufen ist.
Die größte Gefahr in einer solchen Führungsaufgabe ist der Mangel an Glauben – sei es das fehlende Vertrauen in Gottes Wirken oder die Unfähigkeit, übernatürliche Hoffnung zu vermitteln. Daneben setzen wir gezielt Mittel ein, um autoritäre Führungsstile, Unbeweglichkeit oder mangelnde Kreativität fernzuhalten. Ebenso ist es uns ein Anliegen, durch regelmäßige und effektive Erneuerung sicherzustellen, dass Amtszeiten nicht übermäßig verlängert werden.
Mentale Gesundheit wird heute als globale Herausforderung anerkannt. Wie hat sich die Aufmerksamkeit für dieses Thema innerhalb des Werkes entwickelt? Und wie geht das Opus Dei mit neuen Sensibilitäten und Fragestellungen zu psychischen Erkrankungen um?
Zum Opus Dei kommen einfache, normale Menschen – Menschen aus jedem Bereich des Alltags. Und dieser Alltag ist voller Menschen, die mit verschiedensten Problemen zu kämpfen haben, einschließlich psychischer Gesundheitsprobleme. Wie Familien und andere menschliche Gemeinschaften mussten – und müssen – auch wir lernen, diese Probleme zu erkennen, sie nicht zu stigmatisieren, mit Verletzlichkeit sensibel umzugehen und Betroffene dazu zu ermutigen, die notwendige fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, die jeder einzelne Fall erfordert.
Auf dem Gebiet der Psychiatrie und Psychologie hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Nach einer Zeit, die stark von der Psychoanalyse und später vom pharmakologischen Fortschritt geprägt war, wird heute eher auf Psychotherapien gesetzt. Erfahrungen aus vergangenen Zeiten lassen sich vor diesem Hintergrund verstehen. Im Werk haben wir zunehmend gelernt, das Geistliche nicht mit dem Therapeutischen zu vermischen.
Ich kann sagen, dass wir auch sensibler geworden sind für die Prävention. Wir empfehlen Selbstfürsorge, fördern die Erholung und vermeiden es, uns mit Arbeit und Aufgaben zu überlasten. Wir rechnen aber auch viel mehr mit der Hilfe der Familien selbst, vor allem, wenn es sich um junge Menschen handelt. Es ist kein einfaches Thema, und wir haben hier noch viel zu lernen.
Weiter zu Teil 4 (letzter Teil): „Dass man erkennt, wie sehr wir die Welt lieben und dazu beitragen wollen, sie besser zu machen.“