Brief des Prälaten (Juni 2008)

"Kennenlernen, erfahren, leben, bezeugen: in diesen vier Worten läßt sich die Antwort der Christen auf die Liebe Gottes zusammenfassen." In seinem Brief spricht der Prälat über den Umgang mit Gott, einem Gott, der das Herz eines Vaters hat.

Während ich Euch zu Beginn dieses Monats Juni schreibe, verspüre ich das innere Bedürfnis, Gott von Neuem für all seine Gaben zu danken. Das Hochfest Fronleichnam, an dessen Vorabend ich sechsunddreißig Diakonen der Prälatur Opus Dei die Priesterweihe gespendet habe; das Fest des Heiligsten Herzens Jesu vor zwei Tagen; und Mariä Heimsuchung gestern am Samstag – alle diese Feiertage sind eine Einladung, unserem Erlöser, aus dessen geöffneter Seite wir alle Wohltaten erhalten, noch dankbarer zu sein. Wir danken auch Maria, dem wunderbaren und fruchtbaren Kanal, wie der heilige Josefmaria zu sagen pflegte, durch den uns alle Gnaden des Himmels zufließen. Ich wende mich an ihr unbeflecktes Herz, dessen liturgischer Gedenktag gestern war, auch wenn er in diesem Jahr nicht begangen wurde. Sie möge uns gewähren, Tag für Tag mit ihrem Feingefühl den drei göttlichen Personen zu begegnen und unseren Umgang mit ihnen zu intensivieren. Wendest Du Dich ausdrücklich an Gott Vater, Gott Sohn und Gott, den Heiligen Geist?

Haurietis aquas in gaudio de fontibus salutis[1], ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils. Diese Worten des Propheten Jesaja leiten die Enzyklika ein, mit der Pius XII. an den hundertsten Jahrestag der Ausdehnung des Festes des Heiligsten Herzens Jesu auf die Gesamtkirche erinnerte. Benedikt XVI. nahm diesen Text zum Anlass, um daran zu erinnern, dass "die durchbohrte Seite des Erlösers die Quelle ist, auf die uns die Enzyklika Haurietis aquas verweist: Aus dieser Quelle müssen wir schöpfen, um zur wahren Kenntnis Christi zu gelangen und seine Liebe in größerer Tiefe zu erfahren"[2].

Ich kann bezeugen, welch tief empfundene Andacht der heilige Josefmaria immer zum Heiligsten Herzen Jesu hatte, und zwar schon als Kind. Im Laufe der Jahre schlug sie immer tiefere Wurzeln in seinem Innenleben und in seiner theologischen Bildung. In Augenblicken großer Schwierigkeiten für die Kirche – und auch für das Werk, diesen kleinen Teil von ihr – weihte er das Opus Dei dem Heiligsten Herzen des Erlösers. Als diese Verehrung später in einigen Kreisen eher vernachlässigt wurde, verteidigte er sie leidenschaftlich, aus Liebe und aus theologischen Erwägungen. Man kann sich davon anhand einer der Homilien aus Christus begegnen[3]überzeugen. Er nahm seine Zuflucht zu diesem barmherzigen Herzen und handelte so trotz aller auftretenden Schwierigkeiten mit dem Frieden und der Freude, die die Welt nicht geben kann[4].

Er betrachtete den unergründlichen Reichtum, "der in diesen Worten liegt: Heiligstes Herz Jesu. Wenn wir vom menschlichen Herzen sprechen – so unterstrich er – meinen wir nicht allein die Gefühle, sondern die ganze Person, die liebt und sich anderen zuwendet. Im Sprachgebrauch der Menschen, den die Heilige Schrift übernimmt, um uns die Dinge Gottes verständlich zu machen, ist das Herz Mitte und Ursprung, Ausdruck und Urgrund der Gedanken, Worte und Handlungen"[5]. Deus caritas est[6], Gott ist die Liebe. Aus unendlicher Liebe sandte Gott Vater seinen eingeborenen Sohn in die Welt, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat[7]. Aus ebenso unendlicher Liebe nahm Christus im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch an, lebte in einem verborgenen Winkel unserer Erde, arbeitete wie wir, litt und freute sich wie wir. Schließlich starb er am Holz des Kreuzes, wo er aus freiem Willen sein Leben opferte, um uns von unseren Sünden loszukaufen. Aus dieser Liebe heraus gab er uns sterbend auf Golgota seine Mutter zu unserer Mutter. Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt sandte er zusammen mit dem Vater aus Liebe den Heiligen Geist. Er blieb unter uns im heiligsten Sakrament der Eucharistie, mit seinem Leib und seinem Blut, mit seiner Seele und seiner Gottheit, Brot des Lebens, Nahrung für unsere Seele und unseren Leib, Unterpfand und Samen der glorreichen Auferstehung, die auch wir erwarten. Der Tröster, die Liebe des Vaters und des Sohnes, lehrt uns mit seinem gnadenhaften Wirken, beständig den Weg der Heiligkeit zu beschreiten.

Die Verehrung des Herzens Jesu ist für uns eine Einladung, die zentralen Geheimnisse unseres Glaubens erneut zu betrachten und uns dafür dankbar zu erzeigen: "Wir sehen darin die Gewißheit der Liebe Gottes und die Wirklichkeit seiner Hingabe für uns; und wenn wir die Verehrung des Heiligsten Herzens empfehlen, so empfehlen wir, daß wir uns mit allem, was wir sind – mit Seele und Gefühl, Gedanken, Worten und Taten, Mühen und Freuden –, dem ganzen Jesus zuwenden.

So gewinnt die wahre Andacht zum Herzen Jesu Gestalt: Gott erkennen und uns erkennen, auf Jesus blicken und zu Ihm gehen, zu Ihm, der uns ermutigt, uns lehrt, uns leitet. Oberflächlich kann diese Form der Frömmigkeit nur für denjenigen sein, der so wenig Mensch ist, daß er die Wirklichkeit des fleischgewordenen Gottes nicht zu erfassen vermag"[8]Prüfen wir uns gerne auf diese Weise, betrachten wir uns täglich in Christus?

Der Kult des Heiligsten Herzens zeigt sich uns als Antwort der Kirche auf die grenzenlose Liebe der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu ihren Geschöpfen. Der Heilige Vater schreibt, dass dieser Kult "in gleicher Weise der Inhalt jeder echten Spiritualität und christlichen Frömmigkeit ist. Daher ist es wichtig zu betonen, daß die Grundlage dieser Verehrung so alt ist wie das Christentum selbst"[9]. Darum fordert er die Katholiken auf, "sich dem Geheimnis Gottes und seiner Liebe zu öffnen und sich von ihr verwandeln zu lassen"[10]. Und er lädt ein, "aus dieser Quelle zu schöpfen, um zur wahren Kenntnis Christi zu gelangen und seine Liebe in größerer Tiefe zu erfahren. Auf diese Weise werden wir besser begreifen können, was es heißt, in Jesus Christus die Liebe Gottes zu »erkennen«, sie im festen Blick auf ihn zu »erfahren«, bis wir ganz aus der Erfahrung seiner Liebe »leben«, um sie dann den anderen Menschen »bezeugen« zu können"[11].

Kennenlernen, erfahren, leben, bezeugen: in diesen vier Worten läßt sich die Antwort der Christen auf die Liebe Gottes zusammenfassen. Sie rufen mir jene anderen Etappen des christlichen Lebens in Erinnerung, auf die der heilige Josefmaria seit den Anfängen seiner Gründungsaufgabe hinwies und die er unermüdlich empfahl. "Bei diesem Bemühen um die Gleichförmigkeit mit Christus unterscheide ich vier Stufen: Ihn suchen, Ihn finden, mit Ihm Umgang haben, Ihn lieben. Vielleicht fühlt ihr euch noch auf der ersten Stufe. Sucht Ihn voller Sehnsucht, sucht Ihn mit ganzer Kraft in euch selbst. Wenn ihr darin hartnäckig seid, dann, das wage ich euch zu versichern, habt ihr Ihn schon gefunden, dann beginnt ihr schon, Umgang mit Ihm zu haben und Ihn zu lieben und ein Zwiegespräch im Himmel zu führen (vgl. Phil 3, 20)".[12] Suchen wir also zuerst Christus, einen um den anderen Tag, voll Hunger und Durst nach seiner Begleitung: Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir[13]. Pflegen wir daher die Übungen der christlichen Frömmigkeit, mit denen wir jeden unserer Tage zu durchdringen suchen, ganz besonders die heilige Messe und das betrachtende wie das mündliche Gebet. Rufen wir die Fürsprache unserer Mutter Maria an, die der Schutzengel und der Heiligen, die Gott schon schauen. Wenden wir uns an den heiligen Josefmaria, der uns – und viele Millionen Menschen – mit seinem Wort und seinem Beispiel gelehrt hat, im normalen Alltag persönlichen Umgang mit Gott zu haben.

Das ausdauernde Bemühen, mit Gott unserem Herrn umzugehen – auch wenn wir uns trocken und lustlos fühlen –, wird uns dazu führen, seine Gegenwart bei uns zu erfahren. Natürlich spreche ich hier nicht von etwas Fühlbarem, sondern vielmehr von der Sicherheit, die aus dem Glauben geboren und vom Heiligen Geist in die Seele eingesenkt wird, dass wir durch die Gnade wahrhaft lebendiger Tempel der Heiligsten Dreifaltigkeit sind; dass wir, wie der hl. Paulus so häufig schreibt, in Christus Jesus leben. Und so, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt[14].

Nach Auffassung des Papstes "lassen sich Erfahrung und Erkenntnis selbstverständlich nicht voneinander trennen: Sie stehen in Bezug zueinander. Es muß allerdings betont werden, daß eine wahre Erkenntnis der Liebe Gottes nur im Rahmen einer Haltung demütigen Gebets und hochherziger Verfügbarkeit möglich ist"[15].

So gelangen wir dahin, aus Christus zu leben, d.h. alle Tätigkeiten und Augenblicke auf ihn zu beziehen, alles auf das einzige Ziel hinzuordnen, ihm zu gefallen, uns von uns selbst leer zu machen, damit der Herr in uns wohnt; dies ist die Erfahrung des Glaubens, die der hl. Paulus macht, der schreibt: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat[16].

Der heilige Josefmaria wollte diesen inspirierten Worte Nachdruck verleihen, wenn er schrieb: "Das Leben Jesu Christi wiederholt sich auf je eigene Weise im Leben eines jeden von uns, wenn wir treu sind: sowohl nach innen, auf dem Wege der Heiligung, als auch nach außen, im Verhalten."[17]Und ein anderes Mal sagte er: "Du schautest mich ernst an, dann endlich verstandest du, weshalb ich dir gesagt hatte: »Ich will das Leben Christi in den Söhnen und Töchtern Gottes aufleben lassen; daher betrachte ich es immer wieder, damit ich handle wie Er und nur von Ihm spreche.«"[18]

Wenn wir uns jeden Tag bemühen, in Christus zu bleiben und uns von Christus zu nähren, dann wird unser Glaube notwendigerweise zum Apostolat führen: wir werden von Christus in Wort und Tat, ja mit unserem ganzen Leben Zeugnis geben; und viele Menschen werden sich von Jesus angezogen fühlen, und das trotz unseres persönlichen Kampfes – oder besser gesagt, durch ihn –, der aus Siegen und Niederlagen besteht, die wir in Triumphe verwandeln können, wenn wir reuevoll zu Gottes Barmherzigkeit unsere Zuflucht nehmen und von Neuem beginnen. "Wenn wir Gott lieben, demütig sind und kämpfen, werden solche Niederlagen nie von großem Ernst sein. Denn wir werden dann auch Kämpfe bestehen können, große Siege davontragen in den Augen Gottes. Wenn wir mit lauterer Absicht arbeiten und Gottes Willen zu erfüllen trachten, ist uns, in unserer Nichtigkeit, seine Gnade gewiß; und dann gibt es keine Niederlagen."[19]Ist unser Tag erfüllt vom Wunsch nach apostolischem Einsatz?

Pflegen wir kraftvoll und großzügig den Umgang mit Christus und versuchen wir, viele Menschen zu ihm zu führen. Wenden wir uns an die Fürsprache des heiligen Josefmaria, die vor Gott so mächtig ist. Bereiten wir schon heute sein Fest vom 26. Juni vor. Machen wir ihn unter vielen Menschen bekannt, erzählen wir ihnen vom Leben und von der Botschaft unseres Gründers.

Vor zwei Wochen bin ich nach Barcelona gefahren, und bevor ich die Rückreise antrat, habe ich – vereint mit Euch allen – das Gebet in der Basilika de la Merced gehalten. Dort habe ich Maria gebeten, dass wir alle die Worte des hl. Petrus mit auf unseren Weg nehmen, die sich unser Vater in dieser Stadt vor Augen geführt hat, als er zum ersten Mal nach Rom fuhr, um dort eine juristische Lösung für das Opus Dei zu finden: Ecce nos reliquimus omnia et secuti sumus te[20]; du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Dieser Satz ist im Evangelium aufgezeichnet, damit die Christen ihn mit ihrem Verhalten in die Tat umsetzen und sie ihren Freunden weitersagen, denn man kann nicht zwei Herren dienen[21]. Vor der Statue Unserer Lieben Frau dort konnte ich – mit dem ganzen Werk – sehr gut beten, wie es der heilige Josefmaria 1946 und auch andere Male getan hat.

Bevor ich schließe, möchte ich Euch daran erinnern, dass am 29. Juni, dem Fest Peter und Paul, das Paulusjahr beginnen wird, das Papst Benedikt XVI. ausgerufen hat, um der Geburt des Apostels der Heiden vor zweitausend Jahren zu gedenken. Ich möchte den Anweisungen des Heiligen Vaters für die Feier dieses Jubiläums nachkommen und schlage Euch vor, Leben und Werk dieses großen Apostels, des Patrons des Werkes, besser kennenzulernen. Lest und betrachtet daher die Apostelgeschichte wie auch die paulinischen Briefe. Der hl. Paulus ist für alle Christen ein wunderbares Vorbild der Liebe zu Christus, der Treue zur Berufung, des brennenden Eifers für die Seelen. Wir wollen ihm ganz besonders die geistlichen und apostolischen Früchte des ihm gewidmeten Jahres anempfehlen.

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[1] Jes 12, 3

[2] Benedikt XVI., Schreiben anlässlich des 50. Jahrestages der Enzyklika „Haurietis aquas“, 15.5.2006

[3] Vgl. Hl. Josefmaria, Homilie „Christi Herz, Frieden des Christen“, 17.6.1966, in Christus begegnen, Nr. 162 ff.

[4] Vgl. Joh 14, 27

[5] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 164

[6] 1 Joh 4, 8

[7] Joh 3, 16

[8] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 164

[9] Benedikt XVI., Schreiben anlässlich des 50. Jahrestages der Enzyklika „Haurietis aquas“, 15.5.2006

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 300

[13] Ps 42, 2

[14] Eph 3, 17-19

[15] Benedikt XVI., Schreiben anlässlich des 50. Jahrestages der Enzyklika „Haurietis aquas“, 15.5.2006

[16] Gal 2, 20

[17] Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 418

[18] Ebd., Nr. 886

[19] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 76

[20] Mt 19, 27

[21] Vgl. Mt 6, 24