Betrachtungstext: 9. Woche im Jahreskreis – Montag

Das Gleichnis von den Winzern – Die Macht des Dienens – Gott vertraut uns stets

WIE DIE jüdischen Führer im Tempel von Jerusalem so im Gespräch um Jesus herum standen, auf ein falsches Wort von ihm lauernd, begann dieser die Geschichte von einem Mann zu erzählen, der seinen Weinberg einigen Arbeitern zur Bewirtschaftung anvertraut hatte. Als die Erntezeit kam, schickte der Besitzer mehrere Knechte zu ihnen, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen. Doch die Winzer misshandelten oder töteten sogar die Knechte, die kamen. Als der Besitzer erkannte, was geschah, beschloss er, als letzten Ausweg seinen Sohn zu schicken, in der Hoffnung, dass sie ihn respektieren würden. Die Winzer aber sagten zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, dann gehört sein Erbe uns. Und sie packten ihn und brachten ihn um und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus (Mk 12,7-8).

Durch dieses Gleichnis erzählt Jesus seine eigene Geschichte und prophezeit, was mit ihm geschehen wird. Er wollte vorwegnehmen, was seine Zuhörer in wenigen Tagen innerlich erleben werden: die Entscheidung, den wahren Erben und seine Herrschaft anzuerkennen oder nicht. Auch wenn die jüdischen Obrigkeiten genau verstanden hatten, dass Jesus mit dem Sohn des rechtmäßigen Besitzers sich selbst und mit den Winzern sie meinte, wollten sie dies offensichtlich nicht wahrhaben. Und um den Schein zu wahren, ließen sie ihn stehen und gingen weg (v. 12). Mit dem Abstand so vieler Jahre können wir das Gleichnis gut verstehen. Wir wollen uns aber ebenfalls eine grundlegende Frage stellen: Welche Aufnahme findet Christus in meinem Leben? Ist er der Messias, der mich vor jeglichem Götzendienst bewahrt, oder habe ich, vielleicht unbewusst, andere Prioritäten, die dazu führen, dass ich ihn „aus dem Weinberg werfe“?

Papst Franziskus hilft uns, in die Tiefe zu gehen: „Wenn uns jemand fragt: ,Wer ist Jesus Christus?‘, werden wir sicher sagen, was wir im Religionsunterricht gelernt haben: dass er gekommen ist, um die Welt zu retten. Wir werden richtige Dinge von Jesus sagen: Dass er der Retter der Welt ist, der Sohn des Vaters, Gott, Mensch …, das, was wir im Glaubensbekenntnis sagen. (...) Etwas schwieriger wird es sein, auf die Frage zu antworten: ,Richtig, aber wer ist Jesus Christus für dich?‘“1


MÖGLICHERWEISE lag der große Fehler der Winzer darin, dass sie das Landgut als ihr Eigentum beanspruchten. Sie versuchten sich anzueignen, was der Besitzer ihnen vertrauensvoll zur Bewirtschaftung überlassen hatte. Der Gedanke, für jemand anderen zu arbeiten, passte nicht in ihre Denkweise, sie wollten das, was sie begonnen hatten zu kultivieren, selbst besitzen und vollständige Autonomie über das Wenige haben, das in ihrer Obhut war. In ihrer Gier zögerten sie nicht, jede Form von Gewalt anzuwenden, um ihren ersehnten Besitz zu erlangen.

Obwohl ihre Strategie zunächst erfolgreich zu sein schien, lässt Jesus keinen Zweifel daran, dass ein hartes Ende auf sie wartete: Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Winzer vernichten und den Weinberg anderen geben (Mk 12,9). Die Winzer werden nicht nur den Weinberg verlieren, sondern auch etwas viel Wertvolleres: das, was sie eigentlich genießen wollten, ihr eigenes Leben. Im spirituellen Sinn macht ihre Entscheidung deutlich, wohin ein vergifteter Wunsch führt, außerhalb der Gemeinschaft mit Jesus zu bleiben: Er beraubt uns der Fruchtbarkeit, die aus einer lebendigen Verbindung mit ihm kommt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt (Joh 15,5-6).

„Wenn wir Christus in unserer Seele herrschen lassen“, sagte der heilige Josefmaria, „werden wir uns nie als Herren aufspielen, sondern Diener aller Menschen sein. Dienen. Wie sehr gefällt mir dieses Wort! Meinem König dienen und um seinetwillen allen, die durch sein Blut erlöst sind. Wüssten wir Christen doch zu dienen!“2 Dienen bedeutet nicht, unsere Interessen zu verleugnen. Wenn wir seine wahre Macht entdecken, werden wir erkennen, dass Gott in Wirklichkeit möchte, dass wir den Weinberg genießen.


JESUS erklärt, dass der Besitzer den Weinberg anderen übergibt (vgl. Mk 12,9), nachdem er die Winzer losgeworden war. Angesichts der schlechten Erfahrung wäre es möglicherweise vernünftiger gewesen, eine Weile abzuwarten oder zusammen mit einigen Familienmitgliedern und guten Freunden die Verwaltung des Anwesens selbst zu übernehmen. Doch der Besitzer bleibt zuversichtlich, dass andere Menschen sich gut um seinen Weinberg kümmern können. Der Verrat, den er von diesen Winzern erlitten hat, hat ihn nicht die Hoffnung verlieren lassen.

Wir entnehmen den Worten Jesu, dass Gott ähnlich handelt. Manchmal treffen wir mit dem Weinberg, den er uns übergeben hat, nicht die besten Entscheidungen; und dennoch erneuert er sein Vertrauen in uns. Auch wenn wir in unseren Wünschen und Handlungen vielleicht unbeständig sind – er ist immer treu, er wartet Tag für Tag auf uns, komme, was wolle: Seine Liebe lässt nicht nach. Die Geschichte der Kirche ist voll von Heiligen, die am Anfang ihres Lebens in irgendeiner Hinsicht diesen Winzern ähnelten. Der heilige Paulus zum Beispiel war ein Verfolger der Christen und von seiner Sache überzeugt. Sobald er jedoch erkannte, dass Jesus der wahre Besitzer des Weinbergs war, wurde er zu einem Apostel, der sein Evangelium auf höchst fruchtbare Weise verbreitete: Er wählte für sich, ein echter Arbeiter in Gottes Weinberg zu werden.

Das Wissen, dass Gott uns vertraut, gibt unserer Hoffnung Kraft. Wenn wir spüren, dass die Sünde versucht, die Kontrolle über den Weinberg zu übernehmen, können wir uns auf die Treue des Herrn verlassen. Er hält sein Versprechen unendlicher Liebe. Daher können wir mit Msgr. Javier Echevarría sagen: „Wir rechnen nicht nur mit unseren armen Kräften, sondern mit der Kraft und Macht des Herrn.“3 Maria wird uns helfen, unsere Anstrengungen auf das große Vorhaben zu richten, ihrem Sohn in dem Weinberg zu dienen, in den er uns gerufen hat.


1 Franziskus, Tagesmeditation, 25.10.2018.

2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 182.

3 Msgr. Javier Echevarría, Hirtenbrief, 28.11.1995, Nr. 11.

Foto: Richard Heinen (unsplash)