Betrachtungstext: 7. Sonntag im Jahreskreis (C)

Ein Programm Christi, das Herz zu weiten. - Nicht gerechtfertigte Urteile in Dankbarkeit und Freude ersticken. - Wir alle sind aufgerufen, unsere Feinde zu lieben.

EIN GUTES, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen (Lk 6,38). Mit diesen Worten beschreibt Jesus die Zahl der Gaben, mit denen Gott als guter Vater uns erfüllen will. Und um so viel Gutes zu empfangen, müssen wir unser Herz weiten und es für diesen Reichtum fit machen. Der Herr zeigt uns ein ganzes Wachstumsprogramm für unsere Aufnahmefähigkeit auf: Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. (...) Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden! Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! (Lk 6,35-38). Die Verheißung Jesu - das "überfließende Maß", das er uns geben will - erinnert an einige Worte aus dem eucharistischen Hochgebet während der heiligen Messe: Wenn wir durch unsere Teilnahme am Altar den heiligen Leib und das Blut deines Sohnes empfangen, erfülle uns mit aller Gnade und allem Segen des Himmels1.

Vielleicht erscheint es uns ein wenig schwierig, diesen Weg zu gehen, den Jesus uns zeigt, um unser Herz zu weiten: diejenigen zu lieben, die uns nicht lieben, zu vergeben, nicht zu richten, zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten... Aber die Worte Christi sind klar. Gott möchte in gewisser Weise in uns "hineinpassen", bis wir mit dem heiligen Josefmaria wiederholen können: Mein Gott, was für eine Freude! Wie groß du bist, wie schön und wie gut! Und ich, was für ein Narr bin ich, der so tut, als würde ich dich verstehen. Wie klein wärst du, wenn du in meinen Kopf passen würdest! Du passt in mein Herz, was keine Kleinigkeit ist2. Wir sind Kinder Gottes, und wir wollen weder auf diese unvergleichliche Würde verzichten, noch wollen wir seinem Wunsch, uns grenzenlos zu lieben, Steine in den Weg legen. Der heilige Ambrosius sagt: Auch du, wenn du die Tür deiner Seele schließt, lässt Christus draußen. Obwohl er die Macht hat, einzutreten, will er nicht unwillkommen sein, will er sich nicht aufdrängen3. Diese Worte Christi - wie wahrscheinlich ist es doch, dass wir sie nur schwer in die Tat umsetzen können - sind aber in der Lage, unser Herz so vorzubereiten, dass Gott darin herrschen kann.

EINES DER DINGE, die Jesus empfiehlt, damit unser Herz die ganze Zuneigung unseres Vaters Gott empfangen kann, ist, andere nicht zu verurteilen:Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! (Lk 6,37). Es ist viel leichter, schlecht über Menschen zu reden, wenn wir uns selbst und andere nicht mit den Augen Gottes betrachten.Der ausgestreckte Zeigefinger und die Verurteilungen, die wir anderen gegenüber an den Tag legen, sind oft ein Zeichen unserer Unfähigkeit, unsere eigene Schwäche, unsere eigene Zerbrechlichkeit innerlich anzunehmen4.

Warum legst du die Bitterkeit der eigenen Mißerfolge in deine Kritik, wenn du andere Menschen beurteilst?5, fragt der heilige Josefmaria. Der Böse lässt uns verächtlich auf unsere Schwachheit blicken, während der Heilige Geist sie voll Erbarmen ans Tageslicht bringt, helfen uns Worte von Papst Franziskus, im Inneren fest zu bleiben. Nur die Sanftmut wird uns vor dem Treiben des Anklägers bewahren (vgl. Offb 12,10). (...) Paradoxerweise kann uns auch der Böse die Wahrheit sagen, aber wenn er dies tut, dann nur, um uns zu verurteilen. Wir wissen jedoch, dass die Wahrheit, die von Gott kommt, uns nicht verurteilt, sondern aufnimmt, umarmt, unterstützt und vergibt6.

Der Mangel an innerem Frieden dient als Vergrößerungsglas für die Suche nach den Fehlern der anderen. Die innere Traurigkeit, die dadurch entsteht, dass wir unsere Grenzen nicht mit Gelassenheit akzeptieren, äußert sich oft in kritischen Urteilen. Zwei Haltungen können uns helfen, dem Rat Jesu zu folgen, weniger zu urteilen und einfach Gott mehr Raum in unserem Herzen zu geben. Einerseits geht es darum, dankbar zu sein für alles, was uns umgibt, als ein Geschenk Gottes. Andererseits sollten wir versuchen, die Gaben, die Gott anderen schenkt, zu entdecken und uns an ihnen zu erfreuen. Dann werden wir das Böse unserer Urteile in einer Überfülle der Dankbarkeit und der Freude ersticken7.

ES IST NICHT SCHWIERIG, die Aufforderung Jesu, seine Feinde zu lieben, für außergewöhnlich, heroisch oder ungewöhnlich zu halten. Es ist nicht schwer, in die Versuchung zu geraten, dies als eine Einladung an andere und nicht an sich selbst zu betrachten. Der Schaden, den uns jemand zugefügt hat, ob groß oder klein, kann zu einem echten Gefängnis für die Entfaltung der Gaben Gottes werden, wenn wir ihn nicht durch das Herz Christi verarbeiten. Es fällt uns schwer, zu vergeben. Doch die Worte Jesu sind unmissverständlich: Ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt (Lk 6,35). Um so zu lieben wie Gott, müssen wir uns von den engen Grenzen unserer eigenen Dimension im Innenleben befreien und uns auf die göttliche Logik einlassen.

Was aber ist der Sinn dieses seines Wortes? Warum fordert Jesus, die eigenen Feinde zu lieben, also eine Liebe, die über die menschlichen Fähigkeiten hinausgeht? (...) Es ist seine Barmherzigkeit, die in Jesus Fleisch geworden ist und die allein in der Welt den Schwerpunkt auf die Seite des Guten verlagern kann, ausgehend von jener kleinen und entscheidenden »Welt«, die das Herz des Menschen ist. (...). So versteht man also, daß Gewaltlosigkeit für die Christen nicht ein rein taktisches Verhalten darstellt, sondern eine Wesensart der Person und die Haltung dessen, der so sehr von der Liebe Gottes und deren Macht überzeugt ist, daß er keine Angst davor hat, dem Bösen nur mit den Waffen der Liebe und der Wahrheit entgegenzutreten. (...). Das ist das Heldentum der »Kleinen«, die an die Liebe Gottes glauben und sie auch auf Kosten ihres Lebens verbreiten8.

Die heilige Maria hat alle Haltungen verkörpert, die uns von Christus empfohlen wurden, um unsere Seelen zu weiten. Wir können uns nicht vorstellen, dass sie andere abschätzig beurteilt, Menschen nicht respektiert oder ihr Herz vor Bitten um Vergebung verschließt. Deshalb konnte sie Gott in ihrem Schoß tragen. Wir können unsere Mutter bitten, dass sie uns mehr und mehr so wie sie macht.


1 Eucharistisches Hochgebet I (oder: Canon Romanus), Supplices te rogamus.

2 Hl. Josefmaria, Notizen eines Familientreffens, 9. Juni 1974.

3 Hl. Ambrosius, Kommentar zu Psalm 118 (119), 12.13-14.

4 Papst Franziskus, Patris corde, Nr. 2.

5 Hl. Josefmaria, Weg, Nr. 52.

6 Papst Franziskus, Patris corde, Nr. 2.

7 Vgl. hl. Josefmaria, Spur, Nr. 864.

8 Benedikt XVI., Angelus, 18. Februar 2007.