PAULUS begibt sich nach Jerusalem, wo Fesseln und Drangsale auf ihn warten (Apg 20,23), wie ihm der Heilige Geist bezeugt. In Milet schickt er einen Boten voraus nach Ephesus, um die Priester der Kirche zusammenzurufen. Der Apostel ahnt, dass dies ihre letzte Begegnung sein wird. In einer bewegenden Rede vor der versammelten Menge blickt er auf das zurück, was seinem Leben Sinn gegeben hat. Seit Christus ihm auf dem Weg nach Damaskus erschienen ist, ruhte er nicht, allen Menschen die Umkehr zu Gott und den Glauben an Jesus, unseren Herrn (Apg 20,21), zu verkünden. Und obwohl ihm dies alle möglichen Schwierigkeiten einbrachte, zählt für ihn nur eines: der Sendung treu zu sein, die Gott ihm anvertraut hat: Ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen (Apg 20,24).
In diesen Osterwochen, die sich dem Ende zuneigen, haben wir die zentrale Wahrheit unseres Glaubens betrachtet: die Auferstehung Jesu. Sie ist, wie Paulus klar erkannte, ein wahrer Schatz, den wir nicht bloß empfangen haben, um ihn zu hüten, sondern um ihn auch mit anderen zu teilen. Gott schenkt seine Gaben zum Wohle aller; das bedeutet gelegentlich, die eigenen Sicherheiten hintanzustellen, um die göttliche Laufbahn eines Apostels einzuschlagen. Wie Papst Franziskus sagte: „Christus nachfolgen, ihn begleiten, bei ihm bleiben erfordert ein ,Herausgehen‘: ein Herausgehen aus sich selbst, aus einer müden und von Gewohnheit geprägten Weise, den Glauben zu leben, aus der Versuchung, sich in den eigenen Vorstellungen zu verschließen, die am Ende den Horizont des schöpferischen Handelns Gottes verschließen.“1 In der Tat hat Gott selbst diese Logik der Öffnung vollzogen: Er wurde einer von uns, er kam uns entgegen, um uns sein Erbarmen und sein Heil zu bringen.
DA PAULUS nur dafür lebte, den Auftrag zu erfüllen, den er von unserem Herrn erhalten hatte, könnte man denken, dass er vielleicht keine anderen Pläne oder eigenen Projekte hatte. Don Javier Echevarría wurde einmal in ähnlicher Weise gefragt, nachdem er zum zweiten Nachfolger des heiligen Josefmaria gewählt worden war: „Konnten Sie Sie selbst sein?“ Rückblickend auf sein Leben wies Don Javier, ähnlich wie Paulus, darauf hin, was Gott in seinem Leben gewirkt hat, und antwortete aus voller Überzeugung: „Ja, ich habe mein eigenes Leben gehabt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mein Leben auf so anspruchsvolle Weise verwirklichen würde. Hätte ich auf meine Weise gelebt, wären meine Horizonte viel enger gewesen, meine Flüge viel kürzer (...). Ich konnte mich als Mann meiner Zeit, als Christ und als Priester mehr als verwirklichen.“2
Gott rechnet mit unseren Gaben und unserer Persönlichkeit, um der Verkündigung des Heils an alle Menschen eine Form zu verleihen. Jesus hat nicht zwölf identische Apostel erwählt. Einige waren mehr enthusiastisch oder impulsiv, andere mehr introvertiert oder nachdenklich. Jeder trug auf seine Weise zur Verbreitung des Christentums bei, je nach Charakter, Erfahrungen und den Menschen, die er ansprach. Es wäre auch seltsam zu meinen, Gott, unser Vater, der uns in Liebe geschaffen hat, wäre weniger kreativ gewesen als wir, als er uns berief, das Leben mit ihm zu teilen. Und die Apostel erachteten ihre Berufung nicht als einen äußerlichen Auftrag, der mit ihren Eigenschaften und Wünschen nichts zu tun hatte. Vielmehr sahen sie ihre Talente ins Spiel gebracht und ihre Sehnsüchte erfüllt, als sie sich vom Heiligen Geist leiten ließen. Deshalb sagt Paulus angesichts seines nahen Todes, dass ihm einzig daran liegt, das Evangelium zu bezeugen (Apg 20,24): In all diesen Jahren hat er die Anziehungskraft und unvergleichliche Leidenschaft verspürt, die es bedeutet, der Berufung treu zu sein, die Jesus ihm gegeben hat.
„ALS DAS WERK vollendet war, das der Vater dem Sohn auf Erden zu tun aufgetragen hatte“, nimmt das Zweite Vatikanische Konzil Bezug auf das heutige Evangelium, „wurde am Pfingsttag der Heilige Geist gesandt, auf dass er die Kirche immerfort heilige und die Gläubigen so durch Christus in einem Geiste Zugang hätten zum Vater. Er ist der Geist des Lebens, die Quelle des Wassers, das zu ewigem Leben aufsprudelt. (...) Er führt die Kirche in alle Wahrheit ein, eint sie (...) und lenkt sie (...) und schmückt sie mit seinen Früchten.“3
Es kommt für jede Seele der Moment, so erklärte der heilige Josefmaria, in dem sie sich dem Wirken des Leben spendenden Beistands gern unterwirft und dieser, „ganz ohne unser Verdienst, in uns Einzug hält und uns die übernatürlichen Gnadengaben und Tugenden schenkt“4. Die Früchte des Heiligen Geistes sind die wunderbare Folge des sittlichen Lebens der Gläubigen, das vom Heiligen Geist erleuchtet ist. Paulus hat eine lange Liste von Früchten erstellt (Gal 5,22-23). Der Katechismus der Kirche definiert sie als „Vollkommenheiten, die der Heilige Geist in uns als die Erstlingsfrüchte der ewigen Herrlichkeit hervorbringt“ und zählt sie in der Fassung der Vulgata folgendermaßen auf: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit (Gal 5,22-23 Vg.).“5
In seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ greift Papst Franziskus die Güte heraus, die den Wunsch bedeutet, „das zu erreichen, was am meisten zählt, das Beste für die anderen: ihre Reifung, ihr gesundes Wachstum, die Übung von Tugenden und nicht nur materiellen Wohlstand.“6 Darüber hinaus drängt uns die Güte, „das Leben anderer mit schönen, erhabenen, erbaulichen Dingen zu bereichern“7. Bitten wir den Beistand, uns mit seinen Gaben und Früchten zu erfüllen, insbesondere mit der Güte.
„Jesus, dass wir niemanden für wertlos halten. Jesus, dass uns die Probleme anderer nicht kalt lassen. Und noch weniger die meiner Brüder und Schwestern oder der Menschen, die mit mir zusammen leben oder arbeiten!“, schreibt der heutige Prälat des Opus Dei und erinnert sich daran, dass der heilige Josefmaria einmal fragte: „,Wisst ihr, warum ich euch so sehr liebe?‘ Und er gab folgende Antwort: ,Weil ich das Blut Christi in euren Adern pulsieren sehe!‘ Das ist das ganze Geheimnis. Christus sehen in unseren Eltern, in unseren Brüdern und Schwestern, in unseren Freunden, in unseren Arbeits- oder Studienkollegen. Christus sehen in den Armen, Kranken, in denen, die an Körper oder Geist eine Verwundung erlitten haben, in denen, die ihre Arbeit verloren haben, und in denen, die einen familiären Schicksalsschlag zu verarbeiten haben. Heilige Maria, zeig uns Jesus in den anderen Menschen!“8
1 Franziskus, Audienz, 27.3.2013.
2 Interview mit Don Javier Echevarría (publiziert in Época, 20.4.1994).
3 Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, Nr. 4.
4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 306.
5 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1832.
6 Franziskus, Fratelli tutti, Nr. 112.
7 Ebd.
8 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, fe-Verlag, 2021, S. 196-197.