Betrachtungstext: 5. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Das Gebet des Aufbegehrens von Ijob – Für Gott ist jede Person wichtig – Ein beliebiger Tag im Leben Jesu

LEGE ICH mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehen? Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert. (Ijob 7,4). Über Ijob sind verschiedene Unglücke hereingebrochen: Er hat nicht nur seine Kinder und sein Vermögen verloren, sondern ist auch noch an Lepra erkrankt und geplagt von Schmerzen und unangenehmen Symptomen. In seiner Klage richtet er sich an Gott und an seine Freunde. Ijob hat die Hoffnung verloren, das Leben erscheint ihm als eine sinnlose, widersprüchliche und wertlose Anstrengung – das einzig Positive, das er noch sieht, ist seine Vergänglichkeit.

Ijob befindet sich in einer tiefen emotionalen und geistlichen Krise. Angesichts dessen, was ihm widerfahren ist, verstehen wir seinen Zustand gut. Vielleicht haben auch wir uns gelegentlich in ähnlicher Weise gefühlt oder sind Menschen begegnet, die, wie Papst Franziskus einmal sagte, „allzu schweren Prüfungen ausgesetzt sind, Prüfungen, die in keinem Verhältnis zur Kleinheit und Schwäche des Menschen stehen“1. Wir wissen oft nicht recht, was wir ihnen sagen sollen, uns bricht das Herz, wenn wir ihren Kummer sehen, und wir sehnen uns aus ganzer Seele danach, ein paar tröstende Worte zu finden, um ihre Last zu erleichtern. Doch möchten wir nicht wie jene Freunde sein, die Ijob zwar helfen wollten, ihn aber mehr verletzten als trösteten.

Am Ende des Buches wird Ijob zärtlich vom Herrn selbst getröstet. Gott wird seinen Glauben und seine Beharrlichkeit im Gebet loben, selbst wenn er inmitten des Schmerzes in einem aufrichtigen und vertrauensvollen Dialog voller Echtheit kindlich aufbegehrt hat. Papst Franziskus erklärt dazu: „Das Aufbegehren ist eine Art von Gebet, wenn man es als solches verrichtet. Wenn die Kinder, die Jugendlichen gegen die Eltern aufbegehren, dann ist das eine Art und Weise, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und darum zu bitten, dass sie sich um einen kümmern mögen. Wenn du im Herzen irgendeine Wunde, irgendeinen Schmerz hast und du den Drang hast aufzubegehren, dann begehre auch gegen Gott auf, Gott hört dich an, Gott ist Vater, Gott erschrickt nicht vor unserem Gebet des Aufbegehrens, nein! Gott versteht es. Aber sei frei in deinem Gebet, sperre dein Gebet nicht in vorgefasste Schemata ein! Das Gebet muss so sein, spontan, wie die Bitte eines Sohnes gegenüber dem Vater, der ihm alles sagt, was ihm auf der Zunge liegt, weil er weiß, dass der Vater ihn versteht.“2 Wir können von Ijob und von so vielen Menschen, die heute in ähnlichen Situationen sind, lernen: von der Standhaftigkeit ihres Glaubens und ihrer Aufrichtigkeit Gott gegenüber, die sie in einer besonders schwierigen Lebenssituation die Kraft der Barmherzigkeit Gottes erfahren lassen.


DER PSALM lädt uns ein, den Herrn zu loben, denn er hilft seinem Volk und heilt, die gebrochenen Herzens sind, er verbindet ihre Wunden (Ps 147,3). Gott liebt uns mit dieser sehr persönlichen innigen Liebe: Ihm liegt etwas an unserem Innersten, an unserem Herzen. Wir wissen, dass er nicht fern ist und dass er das Universum nicht nur im Großen und Ganzen regiert und es nicht nur irgendeinmal in Gang gesetzt hat und sich dann nicht mehr darum kümmert, sondern dass er die Zahl der Sterne bestimmt und sie alle mit Namen ruft (Ps 147,4). Doch mehr noch als die Sterne kennt er uns mit Namen und achtet auf jede unserer Handlungen. Daher konnte der heilige Josefmaria sagen: „Macht dich die feste Gewissheit, dass Gott auch noch an den unbedeutendsten Dingen seiner Geschöpfe Anteil nimmt, nicht froh?“3

Groß ist unser Herr und gewaltig an Kraft, seine Einsicht ist ohne Grenzen. Der Herr hilft auf den Gebeugten, er drückt die Frevler zu Boden (Ps 147,5-6). Voll Dankbarkeit dürfen wir erwägen, dass Gott seine Allmacht zugunsten der Kleinen und Demütigen einsetzt, jener, die unbemerkt und scheinbar unbedeutend durch die Weltgeschichte gehen. Sie sind seine Visitenkarte und für uns ein Schlüssel, um die Wirklichkeit, in der wir uns befinden, neu zu interpretieren: Für Gott ist jeder Mensch wichtig, wobei seine Vorliebe den Kleinsten und Demütigsten gilt.

In der zweiten Lesung erinnert uns Paulus daran, dass wir, um zu Christus zu gehören, um als wahre Kinder Gottes zu leben, dazu aufgerufen sind, die Barmherzigkeit nachzuahmen, die der Herr uns ständig erweist, indem er sich in unseren Dienst stellt. So schreibt Paulus von sich selbst: Obwohl ich also von niemandem abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten (1 Kor 9,19.22). Möge unser Leben ein Geschenk sein, ein ständiger Dienst an den Menschen, der darin besteht, jeden tiefgehend zu verstehen, das Verbindende zu fördern und eine aufrichtige Freundschaft anzubieten, die, verbunden mit der Nächstenliebe, wirklich, wie der heilige Josefmaria sagte, Licht Gottes sei, das Wärme spendet4.


IM EVANGELIUM dieses heutigen Sonntags finden wir Jesus in Kafarnaum wieder, einer Stadt am Ufer des Sees Gennesaret, die eine bedeutende Rolle im Leben des Meisters spielte. Dort lebte er für längere Zeit, sodass keine Stadt außer Jerusalem mehr Erinnerungen an die Durchreise des Herrn auf Erden aufweisen kann. Die Szenen, die Markus beschreibt, dürften einen gewöhnlichen Tag im Leben Christi darstellen, in dem das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche im Rahmen des alltäglichen Lebens aufscheinen, um uns zu zeigen, worin die tägliche Arbeit des Herrn bestand.

Nachdem Jesus die Synagoge verlassen hat, geht er zum Haus des Petrus und sucht dessen Schwiegermutter auf, die unter Fieber leidet. Er reicht ihr die Hand und heilt sie. Am Abend strömen die Massen herbei, bringen Kranke und Besessene und drängen sich vor der Tür. Jesus vollbringt zahlreiche Heilungen und treibt viele Dämonen aus. Hier zeigt sich, wie nahe der Herr den Menschen ist und bereit, sich aller körperlichen und seelischen Leiden anzunehmen, die ihm übergeben werden. Er macht sich für alle zugänglich und teilt seine Liebe mit allen.

Am nächsten Tag sucht Jesus frühmorgens einen einsamen Ort auf und verbringt eine lange Zeit im Gebet. Als die Jünger ihn finden und von den Menschenmengen berichten, die nach ihm suchen, will der Herr seine Arbeit noch ausweiten, als ob die Zeit, die er im Dialog mit dem Vater verbracht hat, sein Herz noch weiter geöffnet hätte: Er schlägt vor, nicht nur nach Kafarnaum zu gehen, sondern durch ganz Galiläa (Mk 1,39) zu ziehen.

Der heilige Josefmaria ermutigt uns dazu, uns oft unter die Gestalten des Neuen Testaments zu mischen und jene ergreifenden Szenen zu verkosten, „in denen der Meister mit göttlichen und menschlichen Gesten handelt oder mit menschlichen und göttlichen Fügungen die erhabene Geschichte der Vergebung erzählt, die Geschichte seiner stetigen Liebe zu seinen Kindern“5. Diese Szenen lehren uns, wie Christus für die kleinen und großen Bedürfnisse der anderen empfänglich zu sein, selbst wenn wir die Menschen gar nicht so gut kennen; allen großzügig zu dienen und die Bequemlichkeit zu überwinden; unsere ganze tägliche Arbeit und Hingabe an die Menschen auf das Gebet zu gründen; der Liebe, die der Herr in unsere Herzen ausgegossen hat, keine Grenzen zu setzen. Möge Maria uns helfen, diese Lehren zu unserem täglichen Leben zu machen.


1 Franziskus, Audienz, 18.5.2022.

2 Ebd.

3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 619.

4 Vgl. hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 565.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 216.