Betrachtungstext: 5. Osterwoche – Montag

Die Kirche steht allen offen – Demut, damit der Herr wirken kann – Gott ist in die Geschichte eingetreten

PAULUS UND BARNABAS bereisen die Welt, soweit sie bekannt ist, und verbreiten überall die Neuheit, die ihr Leben radikal verändert hat: die persönliche Begegnung mit Christus. Oft ließ der Herr zu, dass diese Jünger ihre Worte mit überraschenden Wundern begleiten konnten. In Lystra zum Beispiel heilen sie einen Mann, der von Geburt an lahm war. Er hörte, wie Paulus redete, so berichtet die Apostelgeschichte. Dieser blickte ihm fest ins Auge; und da er sah, dass der Mann den Glauben hatte, geheilt zu werden, sprach er mit lauter Stimme: Steh auf! Stell dich aufrecht auf deine Füße! Da sprang der Mann auf und ging umher. Als die Menge sah, was Paulus getan hatte, fing sie an zu schreien und rief auf Lykaonisch: Die Götter sind in Menschengestalt zu uns herabgestiegen (Apg 14,9-11). Das Geschehene erregte ein solches Staunen, dass die Einheimischen sie für Götter hielten, die auf die Erde gekommen waren.

In der Osterzeit erleben wir durchgehend neuerlich den Schwung der ersten Christen: die Begeisterungskraft ihrer Reisen, ihrer Begegnungen und ihrer Reden. „Aus der Apostelgeschichte geht das Wesen der Kirche hervor, die keine Festung ist, sondern ein Zelt, das in der Lage ist, seinen Raum weit zu machen (vgl. Jes 54,2) und allen Einlass zu gewähren“, lehrte Papst Franziskus. „Die Kirche ist entweder ,im Aufbruch‘ oder sie ist keine Kirche, sie ist entweder auf dem Weg und macht ihren Raum immer weiter, damit alle eintreten können, oder sie ist keine Kirche. (...) Die Kirchen müssen die Türen immer offen haben, denn das ist das Symbol dafür, was eine Kirche ist: immer offen. Die Kirche ist berufen, immer das offene Haus des Vaters zu sein. (…) So stößt einer, wenn er einer Eingebung des Geistes folgen will und näherkommt, weil er Gott sucht, nicht auf die Kälte einer verschlossenen Tür.1

Die Begegnung von Paulus und Barnabas mit der nichtjüdischen Welt ist ein Beweis für die Katholizität der Kirche. Die Botschaft Christi ist für alle Menschen bestimmt, unabhängig von ihrer geografischen oder kulturellen Herkunft. Die Apostelgeschichte kann ein guter Wegweiser sein, um die Freude aufrechtzuerhalten, inmitten unserer gewöhnlichen Beschäftigungen das Evangelium weiterzugeben.


ES IST ERSTAUNLICH, dass Gott heutzutage jeden von uns gebrauchen will, um viele Menschen zu erreichen. Nach seiner Himmelfahrt hätte er sich den Menschen weiterhin direkt offenbaren können, doch er zog es vor, dies über menschliche Beziehungen zu tun: im Herzen einer Freundschaft, einer Familie, einer Gemeinde usw. Seine göttliche Macht ist dabei keine geringere als jene, die er unter den ersten Christen entfaltete.

Auch uns wird der Herr zu Werkzeugen machen, die Wunder zu wirken vermögen, große Wunder sogar, wenn nötig“, sagte der heilige Josefmaria. „Wir werden Blinde sehend machen. Wer von euch weiß nicht von Fällen zu berichten, in denen Menschen, die gleichsam blindgeboren waren, die ganze Fülle des Lichtes Christi empfangen haben? Andere waren taub, andere stumm, unfähig, als Kinder Gottes ein Wort zu hören oder zu sprechen. (...) Wir werden Wunder wirken, wie Christus, wie die ersten Apostel. Vielleicht sind schon an dir, an mir, solche Wunder geschehen; vielleicht waren wir blind oder taub oder lahm oder hatten schon den Geruch des Todes, und dann hat das Wort des Herrn uns aus unserer Hinfälligkeit aufgerichtet. Wenn wir Christus lieben und ihm aufrichtig folgen, wenn wir nicht uns selbst suchen, sondern nur ihn, dann werden wir in seinem Namen anderen Menschen das umsonst geben können, was wir umsonst empfangen haben.2

Bei dieser Aufgabe, anderen das Glück zu bringen, ist es wichtig, in der Demut zu vertiefen, zu wissen, dass Gott es ist, der mitten unter uns wirkt. Papst Benedikt sagte: „In dem Maße also, in dem unsere Vereinigung mit dem Herrn wächst und unser Gebet tiefer wird, nähern auch wir uns dem Wesentlichen und verstehen, dass nicht die Kraft unserer Mittel, unserer Tugenden, unserer Fähigkeiten das Reich Gottes verwirklicht, sondern dass Gott gerade durch unsere Schwachheit, unsere Unzulänglichkeit bei dem, was uns aufgetragen ist, Wunder wirkt. Wir müssen also die Demut haben, nicht einfach auf uns selbst zu vertrauen, sondern mit Hilfe des Herrn im Weinberg des Herrn zu arbeiten.3


DER HEILIGE JUDAS Thaddäus stellt Christus im heutigen Evangelium eine Frage, die vielleicht auch uns durch den Kopf gegangen ist: Herr, wie kommt es, dass du dich nur uns offenbaren willst und nicht der Welt? (Joh 14,22) „Das ist eine Frage von großer Aktualität“, kommentiert dazu Papst Benedikt, „die auch wir an den Herrn richten: Warum hat sich der Auferstandene nicht seinen Widersachern in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart, um zu zeigen, dass der Sieger Gott ist? Warum hat er sich nur seinen Jüngern offenbart?“4

Die Antwort Jesu ist geheimnisvoll. Scheinbar geht er nicht direkt auf die Frage des Apostels ein: Er spricht davon, sein lebensspendendes Wort zu halten und dass wir von Gott geliebt werden und die Wohnung des Heiligen Geistes sein werden. Auch wenn wir keine endgültige Erklärung dafür haben, warum der Herr die Dinge so und nicht anders tun wollte, wissen wir, dass seine Pläne immer die weisesten sind. Und in seiner unermesslichen Weisheit wollte er, um sich den Menschen zu offenbaren, mit der menschlichen Freiheit und allen Konsequenzen rechnen, die sich daraus ergaben, dass er in die Logik der Geschichte eintreten wollte. Papst Benedikt sagt dazu: „Die Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte, um in ein liebevolles Zwiegespräch mit dem Menschen einzutreten, schenkt dem ganzen menschlichen Weg einen neuen Sinn. Die Geschichte ist nicht einfach nur eine Abfolge von Jahrhunderten, von Jahren, von Tagen, sondern die Zeit einer Gegenwart, die ihr Bedeutung und Fülle verleiht und sie auf eine feste Hoffnung hin öffnet.“5

Sicher ist, dass Gott mit jedem einzelnen von uns rechnen wollte. „Ich weiß nicht“, schrieb der heilige Josemaría, „ob es dir auch so ergeht wie mir, aber es drängt mich, dir meine Erfahrung anzuvertrauen: Ich fühle mich im Innersten getroffen, wenn ich die Worte des Propheten Jesaja lese: Ego vocavi te nomine tuo, meus es tu! ‒ Ich habe dich gerufen, ich habe dich zu meiner Kirche hingeführt, du bist mein! Gott sagt mir, dass ich sein bin! Müsste man nicht vor Liebe verrückt werden?“6 Bitten wir die heilige Maria, dass es uns mit heiligem Stolz erfülle, vom Herrn berufen worden zu sein, seine Botschaft zu verbreiten, wie Paulus und Barnabas, und dass es uns gleichzeitig nicht an der Demut fehle, zu wissen, dass es Gott ist, der alles Gute in uns wirkt.


1 Franziskus, Generalaudienz, 23.10.2019.

2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 262.

3 Benedikt XVI, Generalaudienz, 13.6.2012.

4 Benedikt XVI, Generalaudienz, 11.10.2006.

5 Benedikt XVI, Generalaudienz, 12.12.2012.

6 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 12.

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