Betrachtungstext: 34. Woche im Jahreskreis - Donnerstag

Unsere Kurzlebigkeit. - Gott wird am Ende des Weges bei uns sein. - Die Dringlichkeit, andere glücklich zu machen.

ÜBER DIE KÜRZE des Lebens nachzudenken und zu bedenken, dass unser Leben auf der Erde ein Ende hat, kann in uns Angst auslösen. Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von Heeren eingeschlossen wird, dann erkennt ihr, dass seine Verwüstung bevorsteht. (…) Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres (Lk 21,20-25), sagt Jesus heute in der eschatologischen Rede, die uns die Kirche in der Liturgie vorlegt. Tatsächlich flohen einige Jahre später, als die Armeen die Stadt umzingelten, einige Christen, die sich an die Worte des Herrn erinnerten, nach Transjordanien.

Die Apostel hatten jedoch eine ähnliche Situation wie die von Jesus beschriebene erlebt, mit rauer See und großen Wellen. Sie behielten alles gut in Erinnerung. Damals waren sie in einem Boot und es sah so aus, als würden sie im Sturm ertrinken. Da war der Herr aufgestanden, hatte die Wasser beruhigt und ihren Geist besänftigt. »Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir erlösungsbedürftig sind. Wir sind nicht unabhängig, allein gehen wir unter. Wir brauchen den Herrn so wie die alten Seefahrer die Sterne. Laden wir Jesus in die Boote unseres Lebens ein. Übergeben wir ihm unsere Ängste, damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden. Denn das ist Gottes Stärke: alles, was uns widerfährt, zum Guten zu wenden, auch die schlechten Dinge. Er bringt Ruhe in unsere Stürme, denn mit Gott geht das Leben nie zugrunde1.

Der heilige Josefmaria blickte mit großer Gewissheit auf die ‘Letzten Dinge’, die uns die Kirche in diesen Tagen vorschlägt. Manche Menschen lähmt der Tod, und sie sind entsetzt. – Uns weckt der Tod (das Leben) auf und treibt uns voran. Für sie ist er Ende, für uns Anfang2.


AUF VIELEN antiken Sarkophagen wird die Gestalt Christi durch das Bild des guten Hirten dargestellt. In der römischen Kunst war der Hirte weitgehend Ausdruck des Traums vom heiteren und einfachen Leben, nach dem sich die Menschen in der Wirrnis der Großstadt sehnten. Nun wurde das Bild von einem neuen Hintergrund her gelesen, der ihm einen tieferen Inhalt gab: "Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen. Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir..." (Ps 23 [22], 1.4). Der wirkliche Hirt ist derjenige, der auch den Weg durch das Tal des Todes kennt; der auf der Straße der letzten Einsamkeit, in der niemand mich begleiten kann, mit mir geht und mich hindurchführt: Er hat sie selbst durchschritten, diese Straße; ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, hat ihn besiegt und ist wiedergekommen, um uns nun zu begleiten und uns Gewißheit zu geben, daß es mit ihm zusammen einen Weg hindurch gibt. Dieses Bewußtsein, daß es den gibt, der auch im Tod mich begleitet und mit seinem "Stock und Stab mir Zuversicht" gibt, so daß ich "kein Unheil zu fürchten" brauche (Ps 23 [22], 4) – dies war die neue "Hoffnung", die über dem Leben der Glaubenden aufging3.

Der Augenblick wird kommen, wann Gott es will und wie Gott es will, in dem der Herr uns in seine Gegenwart rufen wird. Die Kirche legt dem Priester, der einem Sterbenden beisteht, für diese Momente eigene Worte in den Mund: Mache dich auf den Weg, (...). Heute noch sei dir im Frieden eine Stätte bereitet, deine Wohnung bei Gott (...), mit der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, mit dem heiligen Josef und mit allen Engeln und Heiligen Gottes. (...) Ich empfehle dich dem allmächtigen Gott. Ihm vertraue ich dich an, dessen Geschöpf du bist. Kehre heim zu deinem Schöpfer, der dich aus dem Staub der Erde gebildet hat4. Der Gedanke, dass wir diese Welt mit nichts verlassen werden, kann uns helfen, unbeschwerter zu leben, um uns im Schrittmaß Gottes zu bewegen. Was ist wirklich wichtig? Was muss ich in meinem Herzen bewahren, damit ich, wenn die Zeit gekommen ist, die Schwelle vom irdischen Leben in die Ewigkeit ohne Kummer überschreiten kann? Wir wissen genau, dass nur die Liebe für die Ewigkeit bestimmt ist. Wir werden ewig, indem wir uns jeden Tag und bei allem, was wir tun, hingeben.


ZU WISSEN, dass unsere Zeit begrenzt ist, belebt den Sinn für die Sendung, die unser Leben seit der Taufe hat. Sie treibt uns an, jeden Tag so zu nutzen, als wäre es unser letzter. Was gibt es Schöneres, als den Menschen um uns herum ewiges Glück zu bringen? Wir werden das schrittweise tun, einen Schritt nach dem anderen, indem wir über die Umstände jeder einzelnen Person nachdenken und mit Unterscheidungsgabe versuchen zu erkennen, welche Schritte Gott in ihren Herzen unternehmen möchte ... aber im Bewußtsein und folglich mit der Eile, dass jeder Moment einzigartig ist und uns die Zeit durch die Finger rinnt. „Freund“ – so hat der Herr dich genannt… Dieser Ruf verlangt Antwort, verlangt den raschen, vorwärts drängenden Schritt – nach dem Schrittmaß Gottes! Andernfalls läufst du Gefahr, bloß Zuschauer zu bleiben5.

Die Freundschaft des Christen wünscht für die Menschen seiner Umgebung das größte Glück, die Beziehung zu Christus. Bitten wir, wie es der heilige Josefmaria tat: Jesus, forme unser Herz nach deinem Herzen! (vgl. Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 813) Das ist der Weg. Nur wenn wir von den Gefühlen Christi erfüllt sind – seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht (Phil 2,5) –, können wir durch unsere Freundschaft diese große Freude in unser Zuhause, an unseren Arbeitsplatz und an alle Orte bringen, wo wir uns befinden6.

Sich mit den Gefühlen des Herrn zu identifizieren, ohne Angst vor dem Tod ‒ er bringt uns ja in den Himmel ‒, und mit der Sorge, die Menschen, die wir lieben, zu diesem Glück zu führen, könnte eine gute Zusammenfassung des christlichen Lebens auf dieser Erde sein. Wir wollen in Gottes Gegenwart gelangen, umgeben von unserer Familie und unseren Freunden, um das Leben mit Jesus und Maria für alle Ewigkeit zu teilen.


1 Papst Franziskus, Predigt beim Gebet in der Pandemie, 27.3.2020.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Pkt. 738.

3 Benedikt XVI., Enz. Spe salvi, Nr. 6.

4 Die Feier der Krankensakramente, Gebet vor dem Verscheiden, S. 131.

5 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 629.

6 Mons. Fernando Ocáriz, Pastoralbrief, 1.11.2019, Nr. 23.