Betrachtungstext: 33. Sonntag im Jahreskreis (B)

Jesus vereint Gegenwart und Zukunft. - Das Wort Gottes wird nicht vergehen. - Niemand kennt den Tag oder die Stunde.

IM LAUF des gesamten Kirchenjahres haben wir das Geheimnis Christi erlebt und sein Leben von Bethlehem bis zum Schmerz und zur Herrlichkeit in Jerusalem nachgezeichnet. Am vorletzten Sonntag der Zeit im Jahreskreis lädt uns die Kirche ein, über den letzten Tag nachzudenken: das Ende der Zeit, der Welt und der Geschichte. “Aber in jenen Tagen”, sagt Jesus, “nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit” (Mk 13,24-26).

Die Apostel hatten drei intensive Jahre lang das Leben mit Christus geteilt. Sie haben seine Barmherzigkeit hautnah miterlebt. Am Ende seines irdischen Lebens sagte Jesus zu ihnen, dass er selbst kommen werde, um die Geschichte der Menschheit zu vollenden. Wir Christen leben in dieser ständigen und liebevollen Hoffnung. Dann “wird Gott in seinem Sohn das Urteil über die Angelegenheiten der Menschen sprechen”.1 Christus ist das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende aller Dinge, der Richter der Geschichte (vgl. Offb 21,6). Alles tendiert zu ihm. Die gesamte Schöpfung und die menschliche Geschichte selbst laufen auf ihn hinaus.

Diese Realität lenkt uns nicht von unseren täglichen Aufgaben ab, ganz im Gegenteil. “Für einen Christen ist das Allerwichtigste die kontinuierliche Begegnung mit dem Herrn, beim Herrn zu sein. Und so, daran gewöhnt, mit dem Herrn des Lebens zusammen zu sein, bereiten wir uns auf die Begegnung vor, um in der Ewigkeit mit dem Herrn zusammen zu sein. Und diese endgültige Begegnung wird am Ende der Welt stattfinden. Doch der Herr kommt jeden Tag, weil wir mit seiner Gnade in unserem eigenen Leben und im Leben anderer Gutes tun können. Unser Gott ist ein Gott-der-kommt – vergesst das nicht: Gott ist ein Gott, der kommt, der unablässig kommt –, er enttäuscht unsere Erwartung nicht!”2


“HIMMEL UND Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen” (Mk 13,31). Das gesamte Universum ist dazu bestimmt, zu vergehen, die gesamte Schöpfung ist von Endlichkeit geprägt. In einer Welt, in der nichts endgültig feststeht, sind die Worte Jesu dagegen Samen der Ewigkeit. Gott vergeht nicht, und was von ihm kommt, hat kein Verfallsdatum. “Im geistlichen Leben gibt es also keine neue, künftige Epoche mehr. Alles ist schon in Christus gegeben, der starb und auferstand und lebt und für immer bleibt. Doch es ist nötig, sich mit Ihm im Glauben zu vereinigen und sein Leben in uns offenbar werden zu lassen”.3 Damit diese verheißungsvolle Vereinigung mit Christus Wirklichkeit wird und das Wirken des Wortes Gottes nicht unfruchtbar bleibt, muss der Christ die innere und äußere Stille pflegen. Auf diese Weise können wir ein Herz haben, das auf seine Stimme hört. “Die Stille ist in der Lage, einen inneren Raum tief in uns selbst zu schaffen, um Gott dort wohnen zu lassen, damit sein Wort in uns bleibt, damit die Liebe zu ihm in unserem Geist und in unserem Herzen verwurzelt ist und unser Leben beseelt”.4

Alle Worte des Menschen, auch die wichtigsten, erleiden die Abnützung der Zeit. Die Worte Gottes hingegen, die im Evangelium enthalten sind, nutzen sich nie ab, sie sind lebendig und schenken Leben in Fülle. Wir sehen das mit Freude, wenn wir entdecken, dass eine Schriftstelle uns auf neue Weise anspricht oder dass sie wieder aufleuchtet, wenn wir sie zum Thema unseres Gebets machen. Diese Lektüre erfordert Zeit und Ruhe. “Es genügt nicht, die Heilige Schrift zu lesen, man muss auch auf Jesus hören, der in ihr spricht”.5 Auf diese Weise werden die göttlichen Worte durch die Inspiration des Heiligen Geistes Teil unseres Wesens. Jesus selbst ist auch in dieser Hinsicht ein Vorbild: In seinem öffentlichen Leben sehen wir oft, wie er sich Zeit nimmt, um zu beten, innezuhalten, um mit seinem Vater zu sprechen, ihm zuzuhören.


JESUS kündigt das Ende der Geschichte an, weil er möchte, dass wir, seine Jünger aufmerksam und wachsam bleiben und uns nicht von dem ablenken lassen, was wichtig und wahr ist. Wenn wir wissen, dass etwas in der Zukunft passieren wird, aber den genauen Zeitpunkt nicht kennen, sucht das Herz danach, sich nicht ablenken zu lassen. Aus diesem Grund prophezeit Jesus zwar das Ende, befriedigt aber nicht die mögliche Neugier auf den genauen Zeitpunkt dieses letzten Tages: “Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater” (Mk 13,32). Jesus möchte, dass wir in Erwartung seines Kommens leben, weil er weiß, dass ein solches Leben uns glücklicher macht. Das Warten entzündet die Sehnsüchte unseres Herzens, erweitert es und macht es fähig zu einer aufmerksamen Liebe.

“Der Ausblick auf das Gericht hat die Christenheit von frühesten Zeiten an als Maßstab des gegenwärtigen Lebens, als Forderung an ihr Gewissen und zugleich als Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit bis in das alltägliche Leben hinein bestimmt. Der Glaube an Christus hat nie nur nach rückwärts und nie nur nach oben, sondern immer auch nach vorn, auf die Stunde der Gerechtigkeit hingeblickt, die der Herr wiederholt angekündigt hatte. Dieser Blick nach vorn hat dem Christentum seine Gegenwartskraft gegeben”.6

Maria, Königin des Himmels, hilf uns, Jesus in die Mitte unseres Lebens aufzunehmen, mit den Füßen in der Gegenwart und mit dem Blick in die Zukunft. Wir bitten den Herrn mit den Worten des Tagesgebets der heutigen Messe: “Lass uns begreifen, dass wir frei werden, wenn wir uns deinem Willen unterwerfen, und dass wir die vollkommene Freude finden, wenn wir in deinem Dienst treu bleiben”.7


1 Hl. Johannes Paul II., Homilie, 19.11.2000.

2 Papst Franziskus, Angelus, 29.11.2020.

3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 104.

4 Benedikt XVI., Generalaudienz, 7.3.2012.

5 Papst Franziskus, Ansprache, 4.10.2013.

6 Benedikt XVI., Enzyklika ‘Spe salvi’, Nr. 41.

7 Tagesgebet der Messe vom 33. Sonntag im Jahreskreis.