EINIGE Bilder, die Jesus verwendet, können aufs erste verstörend wirken. So das Gleichnis vom Knecht, der von der Feldarbeit zurückkehrt. Statt dessen Recht auf Ruhe zu verteidigen, betont Jesus vielmehr, dass der Hausherr zu ihm sagt: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; danach kannst auch du essen und trinken (Lk 17,8). Zunächst mag es scheinen, als ob Jesus hier die willkürliche Macht des Hausherrn verteidigt. Doch in Wirklichkeit will er seinen Jüngern zeigen, wie ihre Haltung gegenüber Gott und ihren Mitmenschen sein soll: Sie sollen nicht nach Belohnung oder Anerkennung streben, sondern den Wert eines bescheidenen und uneigennützigen Dienstes entdecken. Daher schließt Jesus mit den Worten: So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan (Lk 17,10).
Zur Zeit Jesu beruhten viele Beziehungen zu Gott auf dem Gedanken an die Belohnung. Wohlstand galt als Zeichen göttlicher Gunst, und die Einhaltung der Gebote hielt man oft für ein Mittel, um diese Gunst und damit irdische Vorteile zu erlangen. Papst Benedikt XVI. stellte dem jedoch eine andere Sichtweise entgegen: „Wir dürfen nie vor Gott treten und glauben, einen Dienst geleistet zu haben und eine große Belohnung zu verdienen. Diese Illusion kann jeden erfassen, auch jene, die sich besonders dem Dienst des Herrn in der Kirche widmen. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in Wirklichkeit nie genug für Gott tun.“1 Jesus fordert uns mit dem Gleichnis des Knechtes auf, zu erkennen, wer wir sind und warum unser Einsatz wertvoll ist: um unser Leben Gott und anderen zu widmen. Der heilige Josefmaria drückte diese Haltung mit den Worten aus: „Vergiss dich selbst! Lass das deinen einzigen Ehrgeiz sein: nur für deine Brüder und Schwestern, für die Menschen, für die Kirche zu leben, kurz gesagt, für Gott.“2
WIR HABEN uns wohl selbst öfters in der Rolle des Knechtes aus Jesu Gleichnis wiedererkannt. Nach einem langen Arbeitstag sehnen wir uns nach Ruhe, nur um dann festzustellen, dass noch weitere Aufgaben auf uns warten: Kinderbetreuung, Hausarbeit, Unterstützung von Angehörigen und vieles mehr. Nach all der Anstrengung des Tages fällt es oft schwer, diese Gelegenheiten des Dienens mit Freude anzunehmen.
Jesu Beispiel kann uns inspirieren, unser Leben als einen ständigen Dienst für andere zu begreifen. Das Evangelium zeigt uns zahlreiche Situationen, in denen Jesus auf seine wohlverdiente Ruhe verzichtete, um sich den Menschen zuzuwenden, die seine Nähe suchten. Eine der letzten Handlungen vor seinem Leiden war das Waschen der Füße seiner Jünger — mit dieser Geste, die kräftiger ist als Worte, hinterließ er ihnen das Vermächtnis eines wahren Meisters: demütig zu sein wie ein Knecht.
Wenn wir solche Gelegenheiten zum Dienst nicht nur widerwillig, sondern von Herzen annehmen, erleben wir die Freude, wie Jesus zu leben. Papst Franziskus ermutigt uns dabei: „Unsere Treue zum Herrn zeigt sich in unserer Bereitschaft, anderen zu dienen. Das fordert oft einiges von uns ab, es ,schmeckt nach Kreuz‘. Doch je mehr wir anderen fürsorglich begegnen, besonders denen, die es uns nicht zurückgeben können, umso mehr spüren wir inneren Frieden und werden Jesus ähnlicher. Vor allem im Dienst an den Bedürftigen, deren Nöte und Sorgen wir uns mit sanftem Mitgefühl annehmen, entdecken wir schließlich: Auch wir selbst sind von Gott geliebt und angenommen.“3
JEDER TAG hält neben vielen Aufgaben auch verschiedene Möglichkeiten zur Erholung bereit. Oft glauben wir, dass uns nur besondere Gelegenheiten die nötige Regeneration verschaffen können: eine Reise mit der Familie, der Abschluss einer intensiven Arbeitsphase oder ein Urlaub. Auch wenn solche Pausen wichtig sind, sollten wir auch lernen, alltägliche Momente zu schätzen, die uns ebenfalls von der Spannung befreien können. Die Gefahr besteht, dass wir den Alltag gering schätzen und unsere Zufriedenheit allein auf aufregende oder außergewöhnliche Erlebnisse gründen.
Manche ermüden unnötig, weil sie niemals innehalten, alles sofort erledigen möchten oder sich von anstehenden Aufgaben überwältigen lassen. Die Fähigkeit, in alltäglichen Momenten zur Ruhe zu kommen, gibt uns die Möglichkeit, Herausforderungen gelassen anzunehmen. Solche Pausen sind keine Flucht, sondern eröffnen uns neue Perspektiven. Ein Problem, das uns zuvor überforderte, sei es beruflich, familiär oder spirituell, kann in einem neuen Licht erscheinen, wenn wir uns Zeit nehmen für ein Hobby, uns ausreichend Schlaf gönnen oder eine unbeschwerte Weile mit der Familie verbringen.
Der heilige Josefmaria erinnerte uns daran, auch in der Beziehung zu Gott neue Kraft zu schöpfen. Er riet: „Ruhe aus in der Gotteskindschaft! Gott ist ein Vater – dein Vater! –, voller Zärtlichkeit und unerschöpflicher Liebe. Nenne ihn oft Vater und sage ihm – in der Zweisamkeit –, dass du ihn liebst, dass du ihn sehr liebst! Und dass du stolz darauf bist, sein Sohn oder seine Tochter zu sein, und deine ganze Kraft daraus schöpfst.“4 Oft genügt es, wie bei einer schönen Aussicht oder dem Rauschen des Meeres, einfach in die Gegenwart des Herrn einzutauchen, um sich neu zu beleben. Vielleicht hat Maria auf diese Weise oft Ruhe gefunden: indem sie ihren Sohn beobachtete, wie er schlief oder mit anderen Kindern spielte. So lehrt sie uns, innere Ruhe zu finden, die uns die Freude an unserem Dienst für Gott und für die Menschen neu entdecken lässt.
1 Benedikt XVI., Predigt, 3.10.2010.
2 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 630.
3 Franziskus, Angelus-Gebet, 19.9.2021.
4 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 331.