Betrachtungstext: 27. Woche im Jahreskreis – Freitag

Die innere Spaltung – Den Beifall Gottes suchen – Die Einheit, Zeugnis der Liebe Gottes

JEDES Reich, das in sich selbst gespalten ist, wird veröden und ein Haus ums andere stürzt ein (Lk 11,17). Die Konflikte, von welchen Jesus hier spricht, meinen die Spaltungen, die in jedem Einzelnen von uns entstehen können. Wir alle kennen die Kluft zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun, zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir gerne wären, zwischen dem, was wir uns vorgenommen haben, und dem, was wir umsetzen. Und gelegentlich scheint der Lauf der Zeit unsere Träume weggetragen oder aufgelöst zu haben.

Die Sünde unserer Ureltern hat die ursprüngliche Harmonie der Schöpfung zerstört und den Menschen in einem brüchigen Zustand zurückgelassen. Innere und äußere Spannungen stellen seine Entscheidungen und Wünsche nun auf die Probe. Der Teufel weiß um unsere Schwäche und versucht, die innere Ordnung des Menschen zu stören und ihn gegen sich selbst aufzubringen. Wie der Apostel Paulus feststellt: Was ich bewirke, begreife ich nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse (Röm 7,15). Und wenig später nennt er die Gründe für dieses Paradoxon: In meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht (Röm 7,22-23).

Momente, in denen wir wie der heilige Paulus Spannungen in uns spüren, helfen uns, in unserem Wunsch zu wachsen, an Jesu Seite zu leben, und ihn uns immer nahe zu wissen, auch wenn es scheint, dass wir zurückfallen. Der heilige Josefmaria empfahl, uns über solche Momente des Zweifels und der Spannung nicht zu wundern, da wir ja aus Lehm sind, sondern sie zu nutzen, um unsere Treue zu Gott zu bekräftigen: „Wenn der innere Kampf einmal schwieriger wird, ist das eine gute Gelegenheit, um zu beweisen, dass unsere Liebe echt ist. Für jene, die die Hingabe in gewisser Weise auszukosten begonnen haben, wäre ein Einknicken wie ein Betrug, eine Täuschung. Vergesst nicht den Ausruf des heiligen Paulus: quis me liberabit de corpore mortis huius, wer wird mich von diesem Leib des Todes befreien? Und vernimm in deiner Seele die göttliche Antwort: sufficit tibi gratia mea, meine Gnade genügt dir.“1


ZU EINER ANDEREN SPALTUNG kann es kommen, wenn unsere Taten mit unseren Herzensfreuden nicht in Einklang stehen. Jesus prangerte oft die Heuchelei derer an, die Almosen gaben oder zu beten vorgaben, um von den Leuten gelobt zu werden (Mt 6,2). Selbst wenn sie sich nach außen hin vorbildlich verhielten, waren sie nicht von dem Wunsch beseelt, den Bedürftigen zu helfen oder Gott die Ehre zu geben, sondern wollten in den Augen ihrer Zeitgenossen nur gut dazustehen. Papst Franziskus lädt uns ein, uns mit ihm zu prüfen: „Ich frage mich: Wie folge ich Jesus? Tue ich die guten Dinge, die ich tue, im Verborgenen oder um gesehen zu werden?“2 Der Christ ist kein Schauspieler, der sich an ein Drehbuch halten muss, um den Beifall der Zuschauer zu erhalten; er weiß sich frei in seinem Tun und versucht stets, Gott zu gefallen: Gottes Beifall ist der einzige, der für ihn zählt. Und wir wissen, dass sich der Herr über die großen und kleinen Dinge wirklich freut, die wir aus Liebe tun.

In diesem Zusammenhang hielt der heilige Josefmaria eine Begebenheit fest, die ihm in den ersten Zeiten des Werkes eine große Freude bereitete. „Bewegt denke ich an die Arbeit jener hochbegabten Studenten – vier angehende Ingenieure und Architekten – zurück, die sich mit Begeisterung um die Einrichtung eines Studentenheims kümmerten. Als sie eine Schreibtafel in einem Studienraum montiert hatten, schrieben die vier Künstler als allererstes darauf: Deo omnis gloria – Gott alle Ehre!“ Und er fügte folgenden Nachsatz hinzu: „Ich weiß, Jesus, dass dir das gefallen hat.“3 Die Überzeugung, dass dem Herrn unsere Arbeit gefällt, wird unserem Leben Einheit verleihen: Wir werden mit all unserem Tun und Denken die Ehre Gottes suchen.


ALS CHRISTEN sind wir auch dazu gerufen, die Einheit des Volkes Gottes zu bewahren. Die Kirche ist eine riesige und sehr vielfältige Familie, die durch Charismen und Initiativen bereichert wird, die der Heilige Geist im Laufe der Zeit und in verschiedenen Regionen hervorbringt. Die Tatsache, dass wir mit dieser Vielfalt an kirchlichen Realitäten leben, wird uns oft ein Anlass sein, unsere Herzen zu Gott zu erheben und ihm für die Fülle der Wege zu danken, die er den Männern und Frauen auf ihrer Pilgerreise zum gemeinsamen Ziel, dem Himmel, eröffnet hat.

Wenige Stunden vor seiner Gefangennahme im Garten Getsemani wendet sich Jesus in der Vertrautheit des Abendmahlssaals an den Vater und bittet ihn um die Einheit seiner Jünger, wir eingeschlossen: Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein (Joh 17,21). Und er fügt hinzu, dass gerade diese Einheit einer der Gründe sein wird, die wir, seine Jünger, der Welt nennen werden, damit sie ihn, Jesus, als den vom Vater Gesandten anerkenne. Papst Franziskus betont in diesem Sinn: „Einheit und Zeugnis sind in gleicher Weise wesentlich: Wir können kein echtes Zeugnis für den Gott der Liebe ablegen, wenn wir nicht untereinander geeint sind, so wie er es wünscht; und wir können nicht geeint sein, wenn jeder für sich lebt, ohne sich für das Zeugnis zu öffnen, ohne die Grenzen unserer Interessen und unserer Gemeinschaften im Namen des Geistes zu weiten, der alle Sprachen umfasst und alle erreichen will.“4

Der Gründer des Opus Dei stellte einmal in einem Maimonat folgende Überlegung an: „Wenn ihr erlebt, wie viele Christen dieser Tagen ihre Zuneigung zu Maria auf vielfältige Weise zum Ausdruck bringen, werdet ihr euch der Kirche sicherlich auch noch zugehöriger fühlen, noch verbundener mit all diesen euren Brüdern. Es ist wie bei einem Familienfest, wenn sich die älteren Geschwister, die durch die Umstände des Lebens getrennt waren, sich an solchen Tagen wieder bei ihrer Mutter einfinden. Und wenn sie auch hin und wieder Streit hatten und einander unfreundlich behandelten: An diesem Tag fühlen sie sich vereint und finden zueinander in gegenseitiger Zuneigung.“5 Die Jungfrau Maria, die Mutter der Kirche und eines jeden von uns, möge uns helfen, immer in enger Gemeinschaft mit ihrem Sohn zu leben und die Einheit der großen Familie, die die Kirche ist, zu fördern.


1 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 92-94.

2 Franziskus, Tagesmeditation, 5.5.2014.

3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 611.

4 Franziskus, Ansprache, 4.11.2022.

5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 139.