Betrachtungstext: 27. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Die Pädagogik des Meisters – Kein Flehen bleibt unbeantwortet – Wenn Gott nicht zu hören scheint

Nachdenken und Abendgebet bei Sonnenuntergang vor dem Horizont

JESUS ist ein ausgezeichneter Pädagoge. Er legt großen Wert darauf, seine Lehren mit Beispielen, Bildern oder konkreten Gesten zu unterlegen. Er scheut weder Zeit noch Mühe, um sicherzustellen, dass seine Lehre jeden erreicht und verstanden wird. Er bemüht sich, seine Jünger gründlich zu kennen, um gezielt auf ihre Bedürfnisse einzugehen, und wiederholt zentrale Botschaften so oft wie nötig. Wie der heilige Josefmaria einmal sagte: „Der Herr hat uns reichlich beschenkt: Er hat uns geduldig unterwiesen, uns durch Gleichnisse seine Gebote erklärt und uns unermüdlich ermahnt.“1

Als der Herr einmal über die Bedeutung des Gebets sprach, bediente er sich zur Verdeutlichung seiner Lehre eines Beispiels, das viele seiner Zuhörer herausfordern konnte; möglicherweise war ihnen etwas Ähnliches erst kürzlich widerfahren: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? (Lk 11,5-7).

Jenseits der spezifischen Botschaft dieses Abschnitts können wir erkennen, dass es Jesus darum ging, sich in die Lage der anderen zu versetzen, wenn er seine Lehren weitergab. Er nutzte alltägliche Situationen, um große göttliche Wirklichkeiten zu offenbaren. Die Menschen sollten erkennen, dass Gott, wie Papst Benedikt sich ausdrückte, „keine weit von uns entfernte mathematische Intelligenz ist. Gott kümmert sich um uns, er liebt uns, er ist persönlich in die Wirklichkeit unserer Geschichte eingetreten, er hat sich selbst mitgeteilt und ist sogar Mensch geworden. Gott ist also eine Wirklichkeit in unserem Leben, er ist so groß, dass er auch Zeit für uns hat, für uns sorgt. In Jesus von Nazaret begegnen wir dem Antlitz Gottes, der vom Himmel herabgekommen ist, um sich in die Welt der Menschen, in unsere Welt hineinzubegeben und die ,Kunst des Lebens‘, den Weg zum Glück zu lehren; um uns von der Sünde zu befreien und uns zu Söhnen Gottes zu machen.“2 Auch wir können den Herrn bei der Weitergabe des Glaubens darin nachahmen, die verschiedenen Lehren mit der Alltagsrealität unserer Adressaten in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise wird das Evangelium nicht als etwas Fremdes empfunden werden, sondern als etwas Vertrautes, als etwas, das uns nahe ist und den Wunsch in uns weckt, diese gute Nachricht im Alltag zu leben.


DIE VERSCHIEDENEN Bitten, die Jesus im Vaterunser gebündelt hatte, klangen in den Ohren seiner Jünger noch nach. Sie erkannten darin eine neue Art, sich an Gott zu wenden: kindlich und vertrauensvoll. In diesem Zusammenhang nun erzählt Jesus die Geschichte vom ungelegenen Freund, der zu einer unpassenden Stunde um Brot für einen unerwarteten Gast bittet. Christus möchte, dass wir unsere menschliche Art, auf Bitten zu reagieren, mit der neuartigen Art Gottes vergleichen.

Um sicherzustellen, dass sich diese göttliche Art und Weise den Herzen seiner Zuhörer und unseren Herzen für immer einprägt, formuliert Jesus folgende Sentenz: Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet (Lk 11,9). Selten äußert sich der Herr so eindringlich, sowohl in den verwendeten Bildern – bitten, suchen, anklopfen – als auch in der dreifachen Ausfaltung des Gedankens und seiner nochmaligen Wiederholung: Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet (Lk 11, 10). Jesu Verheißung ist mehr als tröstlich: Keine Bitte wird unbeantwortet bleiben.

Papst Franziskus spornt uns ebenfalls zum Bittgebet an: „Die inständige Bitte ist Ausdruck des Herzens, das auf Gott vertraut, das weiß, dass es allein nichts vermag. Im Leben des gläubigen Gottesvolkes finden wir viel an inniger Bitte, voll gläubiger Zärtlichkeit und tiefen Vertrauens. Nehmen wir dem Bittgebet nicht seinen Wert, das oft unser Herz beruhigt und uns hilft, mit Hoffnung weiter zu kämpfen.“3 So haben es unzählige Heilige im Laufe der Geschichte getan, wenn sie mit Unklarheiten oder Hindernissen konfrontiert waren. Die Bitte ließ sie im Bewusstsein wachsen, dass Gott es war, der alles voranbrachte: ihre apostolische Sendung, die Aussaat des Friedens und der Freude, ihre eigene Heiligkeit, familiäre Sorgen ... Der heilige Josefmaria bestand in einem Moment größerer Missverständnisse und Schwierigkeiten darauf, dass seine Kinder nicht aufhörten, sich an Gott zu wenden. Und um diesen seinen Wunsch zu unterstreichen, verwies er sie auf einen Vers des Propheten Jesaja: Rufe aus voller Kehle, halte dich nicht zurück! Erhebe deine Stimme wie ein Widderhorn! (Jes 58,1).


WELCHER VATER unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? (Lk 11, 11). Treu seiner Pädagogik verwendet Jesus einen weiteren Vergleich, um das Bild zu vervollständigen, das die Zuhörer von Gott haben könnten. Er ist nicht nur ein Vater, den man um verschiedene Dinge bitten kann, wie er im Vaterunser aufgezeigt hat. Es ist auch nicht genug zu sagen, dass Gott keine Bitte unbeantwortet lässt. Er ist darüber hinaus ein Vater, der auch den besten, den man finden kann, noch weit übertrifft. Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten (Lk 11,13).

Wahrscheinlich haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass wir Gott um etwas gebeten haben, das er uns am Ende nicht gewährt hat. Wir könnten dann denken, dass es nicht stimmt, dass „jeder, der bittet, erhält“. Aber was Jesus uns lehren will, ist, dass das erste Geschenk, das wir erhalten, wenn wir nicht müde werden zu bitten, die Gewissheit ist, dass wir dank des Heiligen Geistes wirklich Kinder Gottes sind. Manchmal mag es in der Tat so scheinen, als gäbe er uns nicht, worum wir bitten. Doch wir dürfen sicher sein, dass Gott gut ist und deshalb immer, wie Papst Franziskus betont, „das Beste für uns will“4. Das Gebet hilft uns, wenn es vertrauensvoll ist, demütig zu sein und zu erkennen, dass wir Kinder sind, die einen liebenden Vater brauchen. Und oft wird die wichtigste Frucht des Bittgebets ein tieferes Bewusstsein unserer Kindschaft sein.

Der heilige Augustinus sagte in einer Predigt: „Gott dehnt durch den Aufschub der Gabe die Sehnsucht aus und durch die Sehnsucht das Herz, um es durch die Ausdehnung aufnahmefähig zu machen.“5 Wenn Jesus uns das, worum wir bitten, nicht zu gewähren scheint, tut er es, damit wir weiterhin darauf drängen und in unserem Wunsch, es zu erlangen, wachsen können. Durch dieses unablässige Gebet bereitet Gott unsere Seele darauf vor, die Gabe der Gotteskindschaft zu erlangen, die unseren Weg der Heiligkeit erhellt und Maria zu unserer Mutter macht. Der heilige Josefmaria öffnet uns sein Herz, wenn er uns rät: „Rufe sie laut, laut. – Sie hört dich, sieht dich vielleicht bedroht, und bietet dir, deine heilige Mutter Maria, mit der Gnade ihres Sohnes den Trost ihres Schoßes, die Zärtlichkeit ihrer Liebkosungen an: Und du wirst gestärkt sein zu neuem Kampfe.“6


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 52.

2 Benedikt XVI., Audienz, 28.11.2012.

3 Franziskus, Gaudete et exultate, Nr. 154.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 16.1.2022.

5 Hl. Augustinus, Predigten über den 1. Johannesbrief, 4. Predigt.

6 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 516.