„IN DEN Seligpreisungen (Mt 5,1-12; Lk 6,20-26) gibt uns Christus die Schlüssel in die Hand, um die Tore zum Himmel zu öffnen ... und zum wahren Glück auf Erden“1, schrieb Don Fernando Ocáriz. Es fällt uns jedoch oft schwer zu glauben, dass Freude in Armut, Hunger, Trauer oder Verfolgung zu finden sei. Dennoch besteht der Herr darauf und verwendet zwei eindringliche Verben, um das Ziel dieses Weges zu beschreiben: Freuet euch und jauchzt (Lk 6,23).
Diese scheinbaren Widersprüche sind eine Einladung, so sagte Papst Franziskus, „über die tiefe Bedeutung des Glaubens nachzudenken.“ Diese bestehe darin, sich vollkommen auf den Herrn zu verlassen. Man müsse die weltlichen Götzen niederreißen, „um das Herz für den lebendigen und wahren Gott zu öffnen, der allein unserem Leben jene ersehnte, aber schwer erreichbare Fülle schenken kann“. Der Papst warnt davor, dass es auch heute viele Götzen gebe, die uns vorgaukeln, Glück spenden zu können. Ersetzen wir Gott aber durch falsche Götzen, können wir leicht, oft unbemerkt, in die Sünde des Götzendienstes fallen. Er betont: „Götzendienst mag wie etwas aus längst vergangenen Zeiten erscheinen, doch es gibt ihn in jeder Epoche!“2
Der Prälat des Opus Dei kommentiert die Evangeliumsstelle folgendermaßen: „Mit den Seligpreisungen möchte Gott uns ein Panorama von Größe und Schönheit eröffnen, das unseren Augen vielleicht verborgen ist. Es ist wichtig, ihm zu vertrauen, einen Schritt auf ihn zuzugehen und uns von der Angst zu befreien, wir könnten im Leben etwas Gutes verpassen, wenn wir dies tun. Seine Fähigkeit, uns zu überraschen, übertrifft unsere Erwartungen bei weitem.“3
Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, christliches Leben bestehe darin, auf Erden Leiden anzusammeln, um dann den Himmel genießen zu dürfen. Jesus möchte vielmehr, dass wir bereits hier auf Erden glücklich sind – allerdings nicht auf der Basis vergänglicher Dinge, die schnell vorübergehen, sondern auf der Basis von dem, was wahr und beständig ist, dem Einzigen, das unseren Durst nach Unendlichkeit wirklich stillen kann.
PAPST BENEDIKT wies in einer Predigt darauf hin, dass der Engel Maria mit dem Wort kaire, freue dich, sei froh, begrüßte. Dies ist umso überraschender, als der Gruß unter den Juden Shalom, Frieden, war. Und er folgerte daraus, „dass das erste Wort des Neuen Testaments eine Einladung zur Freude ist: Freue dich! Das Neue Testament ist wirklich ein ,Evangelium‘, die ,Gute Nachricht‘, die uns Freude bringt. Gott ist uns nicht fern, unbekannt, rätselhaft oder vielleicht gefährlich. Gott ist uns nahe.“4 Diese neue Freude, die in die Welt einbricht, zieht sich wie ein roter Faden durch das Evangelium und erreicht in den Seligpreisungen ihren Höhepunkt. Jesus selbst war sich der Neuheit seiner Lehre vollkommen bewusst. Wenn wir an Momente zurückdenken, in denen wir wirklich glücklich waren, erkennen wir oft, dass dieses Glück nicht auf Reichtum, Vergnügen oder Bequemlichkeit beruhte.
„Freude ist nicht einfach die Emotion eines Augenblicks: Sie ist mehr als das!“, betont Papst Franziskus und sagt weiter: „Wahre Freude kommt nicht von den materiellen Dingen, vom Besitz, nein! Sie kommt aus der Begegnung, aus der Beziehung zum anderen, aus dem Gefühl, angenommen, verstanden, geliebt zu sein, und daraus, den anderen anzunehmen, zu verstehen und zu lieben.“5 Oft sehen wir die Freude, die Jesus uns verheißt, als etwas Zukünftiges. Doch seine Worte wirken schon im Hier und Jetzt unseres Alltags. Wer auf Gott vertraut, kann sich leichter lieben lassen. Wer auf Gott vertraut, erkennt in Rückschlägen eine Erinnerung daran, dass das wahre Glück nur in der Gemeinschaft mit Gott gefunden werden kann.
Als Kinder Gottes, nach seinem Ebenbild geschaffen, suchen wir nicht nach einem vergänglichen Glück, sondern danach, an der ewigen Freude unseres himmlischen Vaters teilzuhaben. Jesus hat uns versprochen, dass seine Freude in uns sein soll, damit unsere Freude vollkommen werde (vgl. Joh 15,11). Gott setzt sich als erster für unser Glück ein – und das erfüllt uns mit Dankbarkeit.
WAS IST das Haupthindernis für unsere Freude? Aus dem Glauben heraus können wir sagen, dass der einzige Quell der Traurigkeit die Sünde ist. Alle anderen Unglücke sind dies nur in dem Maß, in dem wir die Dinge noch nicht aus Gottes Perspektive beurteilen. „Unser Herr möchte, dass wir glücklich sind“, sagte der heilige Josefmaria. „Ich sehe meine Kinder stets voller Freude, einer übernatürlichen Freude, die so tief in ihnen verwurzelt ist, dass sie selbst mit den Leiden und Widrigkeiten des irdischen Lebens vereinbar ist.“6 Ähnlich sagte der heilige Johannes Chrysostomus: „Auf Erden endet die Freude oft in Traurigkeit; doch für jene, die Christus gemäß leben, verwandeln sich auch die Leiden in Freude.“7
Vielleicht denken wir manchmal, dass wir wegen unserer Unzulänglichkeiten eine gewisse Traurigkeit verdienen. Dieser Gedanke beruht jedoch auf der falschen Annahme, dass Glück nur dann möglich ist, wenn wir alles, was wir uns vornehmen, hervorragend meistern. Die Freude, zu der der Herr uns ruft, gründet vielmehr auf unseren Weg der Gleichgestaltung mit Jesus Christus – wie der heilige Josefmaria schrieb –, und „nicht auf unsere Tugenden.“ Die Freude kommt nicht aus eitler Selbstzufriedenheit, sondern beruht gerade auf der menschlichen Schwäche und Zerbrechlichkeit. „Die eigene Schwäche zu erkennen und die inneren Widerstände zu erfahren, kann und soll uns den Weg zur Freude bahnen.“8 Der Gründer des Opus Dei wiederholte oft: „Seid davon überzeugt: Gott will unsere Unzulänglichkeiten nicht, er verachtet sie aber auch nicht; er rechnet mit ihnen, damit wir uns heiligen.“9
Wahre Freude liegt in der unendlichen und unverdienten Liebe Gottes. Maria, unsere Mutter, nahm den Herrn bedingungslos in ihrem Schoß auf. Deshalb kann sie voller Demut verkünden: Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter (Lk 1,48). Bitten wir sie um ihre Hilfe, damit auch wir diese tiefe Freude erfahren und in ihr leben können.
1 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 70.
2 Franziskus, Angelus-Gebet, 17.2.2019.
3 Msgr. Fernando Ocáriz, Artikel in Romana, Dejarse sorprender por un Padre bueno, 25.1.2019, S. 97-99.
4 Benedikt XVI., Predigt, 18.12.2005.
5 Franziskus, Ansprache, 6.7.2013.
6 Hl. Josefmaria, Homilie, 26.5.1974.
7 Hl. Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus, 18.
8 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 160f.
9 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 215.