Betrachtungstext: 2. Woche im Jahreskreis – Mittwoch

Das erste ist die Person − Jesus zeigt, wie Gott ist − Sonntag, der Tag Gottes und des Menschen

GEMÄSS DEM GESETZ des Mose ging Jesus mit seinen Jüngern jeden Sabbat in die Synagoge. Dort versammelte sich das Volk Gottes, um das Gesetz des Herrn zu hören und darüber zu meditieren. Im heutigen Evangelium hören wir von einem Mann mit einer gelähmten Hand, der an einem Sabbat dorthin kommt, vielleicht in der Hoffnung, den Herrn anzutreffen. Als Jesus ihn bemerkt, ist er von seiner Krankheit bewegt und beschließt, das Wunder zu wirken. Wir können uns vorstellen, dass die Heilung dieses kranken Mannes für alle ein Grund zur Freude gewesen sein sollte; dennoch war sie für einige ein Anlass für Argwohn und Diskussion.

Die Pharisäer spionierten die Schritte des Herrn aus und kritisierten ihn, weil er am Sabbat Wunder wirkte. Jesus kannte sehr gut die abwegige Wertordnung, die in ihren Herzen herrschte: Sie zogen die Erfüllung einer Vorschrift, die sie selbst aufgestellt hatten, der Linderung des Leidens eines Menschen vor. Viele Vorschriften waren, losgelöst von ihrem ursprünglichen Geist, zu einer schweren Last von Formalitäten geworden. Der Sabbat war für Christus wichtig, aber das Leiden dieses Mannes war ihm nicht gleichgültig. In seinem Herzen, das sehr menschlich und sehr göttlich ist, überwiegt immer die Liebe. Wir können von Jesus abschauen und lernen, eine gute Wertehierarchie zu pflegen, denn wie die Diskussion zeigt, ist nicht alles gleich wichtig.

Bevor er das Wunder vollbringt, stellt Jesus den Pharisäern die Frage: Was ist am Sabbat erlaubt − Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? (Mk 3,4). Das Schweigen, die Verweigerung der Antwort, machte den Herrn traurig. Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! (Mk 3,5). Und seine Hand wurde sofort wieder beweglich. Jesus betont, dass über allen Vorschriften und Bräuchen der Wert und das Wohl des Menschen steht. „Die Ordnung der Dinge muss der Ordnung der Personen dienstbar werden und nicht umgekehrt,‟1 lehrt die Kirche. Die Priorität liegt immer bei jedem Einzelnen. So hat sich Christus verhalten, und so wollen auch seine Jünger leben.


OBWOHL AM SAMSTAG die meisten gewöhnlichen Verrichtungen nicht durchgeführt werden konnten, nutzte Jesus die Besuche in den Synagogen, um zu heilen. Es gibt nichts, was sein barmherziges Herz aufhalten könnte. „Mystisch betrachtet‟, sagt der heilige Beda, „stellt dieser Mann mit der verdorrten Hand das Menschengeschlecht dar, das zum Guten untauglich ist, aber durch die Barmherzigkeit Gottes geheilt wurde.‟2 Alle Wunder Jesu sind Momente, die seine Barmherzigkeit offenbaren und uns fähiger machen, sein Heilshandeln zu genießen. Sie sind nicht auf bestimmte Tage oder besondere Orte beschränkt. Jeder Tag ist ein guter Tag, um Gutes zu tun, Leid zu lindern, Hoffnung zu geben; das gilt auch für die Synagoge und jeden Sabbat.

In diesem Abschnitt des Evangeliums sehen wir eine doppelte Sklaverei: die des Mannes mit der verdorrten Hand, Sklave seiner Krankheit, und die der Pharisäer, Sklaven ihrer formalistischen Religiosität. Jesus, so sagte Papst Franziskus, „befreit beide: Er macht den Strengen klar, dass dies nicht der Weg zur Freiheit ist, und er befreit den Mann mit der verdorrten Hand von seiner Krankheit.‟3 Gott als solcher steht selbstverständlich über den Dingen Gottes, er will, dass wir unsere Sicherheit nur in ihm suchen, denn dann sind wir wirklich frei. Mit dieser Handlungsweise offenbart der Herr allmählich seine Identität; er reinigt das Gottesbild, das seine Zeitgenossen für sich geschaffen hatten und das auch wir für uns geschaffen haben. Jesus ist aber der Messias, auf den das Volk so viele Jahrhunderte lang gewartet hat; er ist derjenige, der kommt, um die Distanz zwischen Gott und den Menschen endgültig aufzuheben.


IN DEM NEUEN Volk Gottes, der Kirche, ist der Sabbat dem Sonntag gewichen. Von Anfang an legten die Christen einen ganz besonderen Wert auf den Tag nach dem Sabbat. An ihm versammelten sie sich, um der Auferstehung des Herrn zu gedenken, die viele miterlebt hatten. Obwohl sie in den Anfangsjahren den jüdischen Brauch beibehielten, begannen sie mit der Ankunft der ersten Heiden, den ersten Tag der Woche als dies Domini, den Tag des Herrn, zu betrachten.

Der Sonntag ist der Tag Christi, weil wir seine Auferstehung feiern. Es ist ein Tag der Freude und der Hoffnung, wie Papst Johannes Paul II. festhielt: „Er ist das Osterfest der Woche, das den Sieg Christi über Sünde und Tod feiert, die Vollendung der ersten Schöpfung und den Beginn der neuen Schöpfung.‟4 Es ist ein Tag, der Gott gewidmet ist, und gleichzeitig ist es auch der „Tag des Menschen‟5, an dem wir die Gelegenheit nutzen, uns auszuruhen und das familiäre, kulturelle und soziale Leben zu pflegen. Wir Christen heiligen den Sonntag, indem wir unseren Familien „die Zeit und Aufmerksamkeit schenken, die wir ihnen an den anderen Tagen der Woche zu wenig widmen können‟6. Und der Katechismus der Kirche erinnert uns weiters daran, dass der Sonntag auch „in der christlichen Frömmigkeitstradition für gewöhnlich guten Werken und demütigem Dienst an Kranken, Behinderten und alten Menschen gewidmet"7 wird, so wie es der Meister in der Synagoge tat.

Die „Perle von großem Wert‟, die im Mittelpunkt dieses Tages steht, ist die Eucharistie. Papst Benedikt schrieb: „Die Teilnahme an der Sonntagsmesse sollte vom Christen nicht als auferlegte Pflicht oder Last empfunden werden, sondern vielmehr als inneres Bedürfnis und als etwas Freudiges. Sich mit den Brüdern und Schwestern versammeln, das Wort Gottes hören und sich von Christus nähren, der für uns geopfert wird, ist eine schöne Erfahrung, die dem Leben Sinn gibt.‟8 Die Mutter Jesu ist an diesem Tag natürlich besonders präsent. „Sonntag für Sonntag begibt sich das pilgernde Volk in die Fußstapfen Marias.‟9 Wir wollen es nicht verabsäumen, an ihrer Freude über die Auferstehung Christi teilzunehmen.


1 II. Vat. Konzil, Gaudium et Spes, Nr. 26.

2 Hl. Beda Venerabilis, In Marcum, 1,3.

3 Franziskus, Predigt, 9.9.2013.

4 Hl. Johannes Paul II., Dies Domini, Nr. 1.

5 Ebd. Nr. 55-73.

6 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2186.

7 Ebd.

8 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 12.6.2005.

9 Hl. Johannes Paul II., Dies Domini, Nr. 86.

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