JESUS befand sich in Cäsarea Philippi, als er sich mit einer offenen Frage an seine Jünger wandte: Für wen halten die Menschen den Menschensohn? Die Apostel gaben die Meinungen wieder, die sie über den Herrn gehört haben: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. Da wiederholte Jesus seine Frage, richtete sie dieses Mal aber persönlich an die Jünger: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Diese zweite Frage zu beantworten, fiel den Zwölfen ungleich schwerer. Nur Petrus gab dank einer göttlichen Eingebung die richtige Antwort: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! (Mt 16,13-16).
Papst Franziskus lädt uns ein, zu überlegen: „Wenn uns jemand fragt: ,Wer ist Jesus Christus?‘, werden wir sicher sagen, was wir im Religionsunterricht gelernt haben: dass er gekommen ist, um die Welt zu erlösen. Wir werden die wahre Lehre von uns geben (...). Etwas schwieriger wird es sein, auf die folgende Frage zu antworten: ,Das ist richtig, aber für dich, wer ist Jesus Christus für dich?‘“1 Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir wie Petrus auf unser eigenes Leben blicken, alle die Male entdecken, in denen Gott uns begegnet ist, und uns bereit zu machen, zu hören, was er uns sagen will … Vor allem aber müssen wir bereit sein, den Herrn so zu sehen, wie er ist, und nicht so, wie wir ihn sehen wollen. Um Jesu Frage zu beantworten, müssen wir unser Bild vom Sohn Gottes immer wieder läutern und darin eine Aufgabe sehen, die uns ein Leben lang begleiten wird.
Wenn wir zum Beispiel denken, dass der Sohn Gottes vor allem möchte, dass wir niemals Fehler begehen, und sich mehr für unsere Fehler interessiert als für das, was wir gut gemacht haben, wird es schwierig sein, ein gesundes Verständnis für seine Gestalt zu entwickeln. Und jeder Versuch, apostolisch zu wirken, wird eine theoretische Verteidigung sein von etwas, das von der Realität weit entfernt ist. Wer hingegen die göttliche Barmherzigkeit erfahren hat und weiß, dass Christus ihm Tag für Tag vergibt, wird ein weit treffenderes Bild von Jesus vermitteln können. Nur aus einer echten Beziehung zu Christus heraus konnte der heilige Paulus verstehen, dass es da um jemanden ging, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat (Gal 2,20).
DIE ANTWORT des Petrus berührte Jesus zutiefst. Und so blickte er ihn an und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (Mt 16,17-18). Petrus ist, gestärkt durch die Gabe Gottes, dazu berufen, Christus auf Erden zu vertreten. Er wird an der Spitze des neuen Gottesvolkes, der Kirche, stehen, und sie zusammen mit den anderen Aposteln leiten.
Der heilige Josefmaria spürte, dass Gott eine tiefe Liebe zum Papst in sein Herz gelegt hatte. Als er zum ersten Mal nach Rom kam, verbrachte er die ganze Nacht im Gebet für die Kirche und den Papst. Im Laufe der Zeit wurde diese Liebe, wie er selbst einräumte, „theologischer“ 2, das heißt, er wurde sich ihrer Gründe, ihrer Bedeutung und ihres übernatürlichen Charakters bewusster und ließ sich nicht nur von menschlichen Gründen leiten. Es handelte sich also um eine Zuneigung, die weder von den Stürmen des Gefühls noch von einer mehr oder weniger ausgeprägten Geistesverwandtschaft abhing, sondern von den Worten, die Christus gesprochen hatte.
Noch am Morgen, an dem er starb, hatte der Gründer des Opus Dei einen gemeinsamen Freund gebeten, dem damals amtierenden Papst Paul VI. die folgende Botschaft zu übermitteln: „Seit Jahren opfere ich die heilige Messe für die Kirche und für den Papst auf. Ihr könnt ihm versichern – ihr habt es ja oft von mir gehört –, dass ich dem Herrn mein Leben für den Papst angeboten habe, wer immer es sei.“3 Bitten wir den heiligen Josefmaria um eine Liebe zum Papst wie die seine, eine Liebe, die ein göttliches Geschenk ist, für das er täglich dankbar war, und die sich im ständigen Gebet für den Stellvertreter Christi ausdrückt sowie im Wunsch, seinen Lehren zu folgen.
NACH dem Bekenntnis des Petrus kündigte Jesus den Aposteln an, er werde nach Jerusalem gehen, wo er vieles erleiden müsse, getötet und am dritten Tag auferweckt werden müsse. Seine Worte erfüllten die Jünger wohl mit Bestürzung. Deshalb wollte ihm Petrus, der auch die Betroffenheit der anderen gespürt haben musste, signalisieren, dass er keineswegs einverstanden war mit dem, was er gerade gehört hatte. Er nahm den Meister zur Seite, und begann, ihn zurechtzuweisen, und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus wies den Vorschlag energisch zurück: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (Mt 16,21-23).
Jesus verwendet starke Worte für denjenigen, den er kurz zuvor zum Felsen ernannt hatte, auf den er seine Kirche bauen wollte. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Petrus solche Gegensätze in seinem Leben wahrnahm. Beim letzten Abendmahl versicherte er dem Herrn, dass er bereit sei, für ihn zu sterben, und Stunden später leugnete er dreimal, ihn je gekannt zu haben. Vielleicht haben wir die Schwäche unserer Überzeugungen oder Vorsätze auf ähnliche Weise feststellen müssen. Manchmal fühlen auch wir uns wie ein „Fels“, der fähig ist, alles für Gott zu tun, und kurz darauf liegen wir, im Kampf besiegt, am Boden.
Es tröstet uns, dass Jesus trotz der Fehler des Petrus seinem Wort treu bleibt, da er die Reue des Apostels und seinen Wunsch zu lieben kennt. Im Gespräch am Ufer, nach der Auferstehung, wird er ihn erneut einladen, sich um sein Volk zu kümmern. Der Herr ruft uns immer wieder. Er kennt unsere Grenzen besser als jeder andere und rechnet mit ihnen, damit wir demütig werden und auf die Kraft vertrauen, die Gott uns gibt. „Wir sind Geschöpfe und voller Gebrechen“, kommentierte der heilige Josefmaria. „Ja, mir scheint sogar, dass es diese stets geben muss: Sie sind in unserer Seele der Schatten, von dem sich im Kontrast die Gnade Gottes und unser Bemühen, diesem göttlichen Geschenk zu entsprechen, um so klarer abheben. Und dieses Helldunkel macht uns menschlich, demütig, verständnisvoll und großzügig.“4 Wir bitten Maria, für uns einzutreten, damit wir wie Petrus im Vertrauen auf die Anrufe des Herrn neu anfangen können.
1 Franziskus, Tagesmeditation, 25.10.2018.
2 Hl. Josefmaria, Brief 17, Nr. 19.
3 Sel. Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei, Adamas, 1996, S. 218.
4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 76.