Betrachtungstext: 13. Woche im Jahreskreis – Mittwoch

Unterwegs in Gadara – Das Wort Christi hören – Gebet, das verwandelt

NACH einer turbulenten Bootsfahrt erreichen Jesus und seine Apostel das andere Ufer des Sees von Galiläa, das Land der Gadarener. Die Bewohner sind Heiden, die außerhalb des jüdischen Einflussbereichs leben und keine Heilserwartungen pflegen. Es ist deutlich, dass der Herr das Reich Gottes nicht nur unter seinen Glaubensbrüdern verkünden möchte, sondern die Hoffnung auf Erlösung zu allen Menschen bringen will. Auch die Einwohner abgelegener Gebiete sind eingeladen, dem Sohn Gottes zu begegnen.

Kaum waren sie ein Stück weit gegangen, da liefen ihnen aus den Grabhöhlen zwei Besessene entgegen. Sie waren so gefährlich, dass niemand auf jenem Weg entlanggehen konnte (Mt 8,28). Es fällt auf, wie seelenruhig Jesus diese gefährlich gewordenen Pfade betritt. Der Herr geht den Problemen nicht aus dem Weg, noch zeigt er sich gleichgültig gegenüber den schwierigen Situationen, denen er begegnet. Seine Sendung besteht vielmehr darin, alle Wege dieser Welt gangbar zu machen und die Barrieren zu beseitigen, die uns daran hindern, mit der Freude und dem Vertrauen von Kindern Gottes zu leben.

Jede Weile des Gebets ist eine Einladung an Jesus, die Wege unseres Lebens einzuschlagen und auch in jene Höhlen einzudringen, in die wir uns selbst nicht hineinwagen. Wenn wir ihn in unser Leben eintreten lassen, werden wir, wie Papst Benedikt sagte, „in der Weite Gottes“ stehen, „einer neuen Dimension des Lebens“ zugehören. „In diesen offenen Raum hineinzuleben, das heißt getauft sein, das heißt Christ sein.“1 Anstatt uns von unserem eigenen Elend entmutigen zu lassen, das unseren Blick verengt, bitten wir Jesus eindringlich darum, uns die Weite eines mutigen und verliebten Herzens zu geben.


WAS HABEN wir mit dir zu tun, Sohn Gottes? Bist du hierhergekommen, um uns vor der Zeit zu quälen? (Mt 8,29). Mit diesen Worten treten die Dämonen der Gegenwart Jesu entgegen. Obwohl sie ihn als Sohn Gottes erkennen, reagieren sie mit Angst und Ablehnung. Wir können daraus eine Lehre ziehen für den Umgang mit unseren eigenen täglichen Versuchungen und Unzulänglichkeiten. Anstatt uns wie die Besessenen in der Dunkelheit einer Höhle zu verstecken und jedem den Zutritt dazu zu versperren, wollen wir uns in das Licht Christi stellen. Wir wollen, dass sein Licht auf unsere Wunden fällt und sie mit seiner Liebe heilt. Papst Franziskus weist den Weg zum Gebet: „Wir alle sind in die Probleme des Lebens und viele komplizierte Situationen versenkt beziehungsweise verwickelt und müssen uns schwierigen Momenten und Entscheidungen stellen, die uns nach unten ziehen. Aber wenn wir nicht erdrückt werden wollen, müssen wir alles nach oben erheben. Genau das tut das Gebet.“2

Im vertrauten Dialog mit Christus enthüllen wir vor ihm unser wahres Selbst. Auch wir können den Herrn fragen: „Was habe ich mit dir zu tun? Und welche Aspekte meines Lebens kann ich in deiner Gegenwart ans Licht bringen?“ Wenn wir uns offen vor Jesus hinstellen, werden wir erfahren, dass sein Blick nicht nur annehmend, sondern auch verwandelnd ist. Deshalb sind Offenheit und Aufrichtigkeit entscheidend für die Wirksamkeit des Gebets. Jesus respektiert unsere Freiheit dabei stets: Er will sich nicht gewaltsam aufdrängen. Wenn wir ihm aber ein Problem auch nur andeuten oder auf eine unausrottbare Schwäche bloß hinweisen, reicht dies aus, damit sein Licht und damit auch der Friede langsam in unsere Herzen eindringen: So schenkt er uns die Heiligkeit, die wir brauchen, um alle Straßen dieser Welt mit seiner Liebe zu erneuern. Der heilige Josefmaria riet: „Gott, der Herr, will dich heilig, damit du den anderen helfen kannst, heilig zu werden. Dazu ist es aber erforderlich, dass du – ehrlich und ohne falsche Rücksichtnahme – auf dein eigenes Leben schaust, dass du auf den Herrn, unseren Gott, schaust ... und danach, erst danach den Blick auf die Welt richtest.“3


WENN DU uns austreibst, dann schick uns in die Schweineherde! (Mt 8,31), schreien die Besessenen Jesus zu. Und so spricht er mit all seiner göttlichen Macht ein Wort, das ihr Leben völlig verändert: Weg mit euch! (Mt 8,32). Wie bei diesen armen besessenen Männer gibt es auch in unseren Herzen den tiefen Wunsch nach dem heilbringenden Wort Christi. Wir wissen, dass er kein Freund von komplizierten Überlegungen ist und er seine Weisheit nicht in große Reden hüllt. Wenn wir feinfühlig genug sind, ihm zuzuhören, und mit offenem Herzen ins Gebet gehen, kann Christus in unserem Leben ebenso große Wunder vollbringen wie die Austreibung jener Dämonen.

Damit der Herr in unserem Leben handeln und die Wege unserer inneren Welt gangbar machen kann, benötigen wir Ausdauer. Die Spuren, die das Gebet hinterlässt, sind nicht die eines Platzregens, sondern die eines Stroms, der ruhig und beständig fließt. Jeden Tag begeben wir uns ins Gebet, um unsere täglichen Wünsche mit dem Willen Gottes abzugleichen. Gerade in diesem Zusammenspiel von unserer Freiheit und der  Gnade Gottes, von unserer Aufrichtigkeit und seinem Wort, nehmen wir den Samen auf, den Jesus in uns säen will. Und nach und nach wird dieser zu einem gut verwurzelten, starken und belaubten Baum heranwachsen. Papst Benedikt beharrt auf den Bedingungen: „Gewiss ist das Gebet ein Geschenk, es muss jedoch angenommen werden; es ist das Werk Gottes, aber es verlangt Bemühen und Kontinuität unsererseits; vor allem Kontinuität und Beständigkeit sind wichtig.“4

Maria lehrt uns, alle Momente unseres Lebens ins Gebet zu nehmen, sie durch das Gebet durchlaufen zu lassen, insbesondere die Schwierigkeiten und Widersprüche. Nachdem sie den Jesusknaben im Tempel gefunden und seine Erklärungen gehört hatten, verstanden seine Eltern nicht, so berichtet der Evangelist, was er ihnen gesagt hatte. Der Schmerz über seinen Verlust ging ihnen noch zu nahe. Statt sich jedoch den Plänen Gottes zu widersetzen, bewahrte Maria die Worte ihres Sohnes in ihrem Herzen. Auf diese Weise bereitete sie sich auf den schweren Moment des Kreuzes vor.


1 Benedikt XVI., Predigt, 15.4.2006.

2 Franziskus, Angelusgebet, 9.1.2022.

3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 710.

4 Benedikt XVI., Audienz, 30.11.2011.