Betrachtungstext: 1. November – Allerheiligen

Die Seligpreisungen umsetzen – Heiligkeit heißt, Gott handeln lassen – Wir stützen einander durch die Gemeinschaft der Heiligen

Versammlung vieler Heiliger

AUS allen Völkern hast du sie erwählt, die dein Angesicht suchen, o Herr (Ps 24,6). So betet die ganze Kirche im Psalm der Messe an diesem Hochfest Allerheiligen. Und so wollen wir diesen Feiertag verbringen: das Angesicht Gottes suchend. Zum heutigen Fest erklärte Papst Franziskus einmal: „Die Heiligen und die Seligen sind die maßgeblichsten Zeugen der christlichen Hoffnung, weil sie diese in ihrem Leben, zwischen Freud und Leid, in vollem Umfang gelebt haben, indem sie die Seligpreisungen umgesetzt haben, die Jesus verkündet hat und die heute in der Liturgie widerhallen. Die Seligpreisungen des Evangeliums sind in der Tat der Weg zur Heiligkeit.“1

Wenn wir Jesu Worte über jene, die selig zu preisen sind, näher betrachten, wirkt das damit verbundene Panorama auf den ersten Blick jedoch nicht sehr ermutigend. Was Jesus uns nahelegt, sind Dinge, die wir instinktiv ablehnen: Leiden, Verfolgung, Kampf, Tränen ... Erst wenn wir dahinter blicken, entdecken wir, dass Jesus nicht die Tränen will, sondern gewisse Tugenden preist, die uns, wie der heilige Josefmaria sagte, „wirklich glücklich machen, heilig, beati! Alle diese Tugenden, die Jesus uns mit seinem eigenen Leben gelehrt hat, wünsche ich mir für alle meine Kinder und für mich selbst ...“2 So versteht sich, dass „die Heiligkeit, die Fülle des christlichen Lebens,“ – das sind Worte von Papst Benedikt – „nicht darin besteht, außerordentliche Taten zu vollbringen, sondern darin, mit Christus vereint zu sein, seine Geheimnisse zu leben, uns seine Einstellungen, seine Gedanken, sein Verhalten zu eigen zu machen. Das Maß der Heiligkeit ist durch das Format gegeben, das Christus in uns erlangt, dadurch, wie sehr wir in der Kraft des Heiligen Geistes unser ganzes Leben nach seinem Leben formen.“3

Papst Franziskus eröffnet uns den Blick in den Himmel, wenn er sagt: „Heute drängen uns alle Heiligen, den Weg der Seligpreisungen einzuschlagen. Es geht nicht darum, außergewöhnliche Dinge zu tun, sondern jeden Tag diesem Weg zu folgen, der uns in den Himmel führt, der uns zur Familie führt, der uns nach Hause führt. Heute also werfen wir bereits einen Blick auf unsere Zukunft und feiern das, wofür wir geboren wurden: Wir wurden geboren, um nie wieder zu sterben, wir wurden geboren, um das Glück Gottes zu genießen! Der Herr ermutigt uns, und dem, der immer den Weg der Seligpreisungen beschreitet, sagt er: Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel (Mt 5,12).“4


WER DARF hinauf ziehen zum Berg des Herrn, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Hände hat und ein reines Herz (Ps 24,3-4). Wir wissen, dass diese Unschuld nicht darin besteht, keine Sünden oder Fehler zu begehen oder frei von Irrtümern zu sein. Diese Reinheit bezieht sich vor allem auf die Herzen derjenigen, die sich von Gott lieben lassen und ihre Hoffnung nicht auf andere Götzen setzen: Sicherheit, Kontrolle, Unabhängigkeit, Vergnügungen, Besitztümer usw. „Die Heiligkeit ist eine tiefe Verbindung mit Gott: sie bedeutet, Freund Gottes zu werden, den Anderen wirken zu lassen, den Einzigen, der wirklich erreichen kann, dass diese Welt gut und glücklich ist“5 – so erklärte Joseph Ratzinger einmal das Wesen der Heiligkeit.

Wir sind überzeugt, dass Gott, wenn er etwas von uns verlangt, uns in Wirklichkeit sein Leben, seine Liebe anträgt. Wenn wir diese Handlungsweise Gottes verstehen, der sich dort verbirgt, wo wir ihn manchmal nicht zu finden glauben, dann verstehen wir, dass er niemals unser Unglück will, auch nicht hier auf Erden. „Jedes Mal bin ich tiefer davon überzeugt“, wiederholte der Gründer des Opus Dei gerne: „Die Glückseligkeit des Himmels ist für die, die es verstehen, bereits hier auf Erden wahrhaft glücklich zu sein.“6

Welche Freude ist es, an all die Heiligen im Himmel zu denken! Sie waren wie wir: mit den gleichen Problemen und Schwierigkeiten, mit den gleichen Hoffnungen und ähnlichen Schwächen. Wenn wir Gott in unserem Leben so wirken lassen, wie sie es taten, wenn wir treu sind, werden wir am Ende unseres Lebens diese tröstlichen Worte aus dem Munde des Herrn hören können: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! (Mt 25,34). Manchmal mögen wir denken, dass es nur wenige sind, die diesem Reich angehören. Eine Vision des heiligen Johannes, die wir in einer der heutigen Lesungen hören, belehrt uns, dass das Gegenteil der Fall ist. Dort erschien eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen (Offb 7,9). In dieser zahllosen Schar feiert die Kirche Männer und Frauen jeden Alters und jeder Art, die es auf Erden verstanden haben, in der Liebe Gottes zu bleiben, und nun im Himmel ein unermessliches Glück genießen.


DIESES FEST ist für uns, die wir auf Erden pilgern, deshalb besonders schön, weil sich in der Menge, die den Herrn ohne Unterlass lobt, viele unserer Brüder und Schwestern, viele unserer Freunde und Verwandten befinden, ganz normale und gewöhnliche Menschen, die bereit sind, für uns einzutreten. Einige von ihnen haben wir vielleicht sogar persönlich gekannt. Wir sind nicht allein auf unserem Weg der Heiligkeit: Wir sind mit allen Christen verbunden – mit denen, die bereits im Himmel triumphieren, mit denen, die sich im Fegefeuer läutern, und mit denen, die auf der Erde pilgern – durch einen Strom der Liebe, der uns Leben schenkt: die Gemeinschaft der Heiligen.

Während des Krieges, der Spanien in den 1930er Jahren erschütterte, schrieb der heilige Josefmaria oft an seine Kinder. Und in einem dieser Briefe versicherte er ihnen: „Einzig ihr fehlt mir, doch wenn ihr wüsstet, wie viel Gesellschaft ich jedem von euch leiste, bei Tag und bei Nacht! Das ist meine Sendung: Dass ihr einmal glücklich seid bei ihm und schon jetzt auf Erden, da ihr zu seiner Ehre lebt.“7 Gemeinschaft der Heiligen: Das bedeutet Gebet füreinander, damit die Gnade kommt, um Wunden zu heilen oder denjenigen zu stärken, der es am meisten braucht. So wird sich eine Erfahrung des heilige Josefmaria noch oft wiederholen, die er selbst niedergeschrieben hat: „Sohn, wie gut hast du die Gemeinschaft der Heiligen erfasst, als du mir schriebst: ,Gestern spürte ich, dass Sie für mich beteten.‘“8

Gott möchte, dass wir froh sind, und wenn wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unser Bestes geben, werden wir glücklich sein, sehr sehr glücklich.9 Maria, die Königin aller Heiligen, möge uns die Gnade schenken, die Schönheit des Antlitzes Christi widerzuspiegeln und damit zum großen Mosaik der Heiligkeit beizutragen, das Gott in der Welt bezeugt.


1 Franziskus, Angelus-Gebet, 1.11.2020.

2 Hl. Josefmaria, Briefe 31, Nr. 52.

3 Benedikt XVI., Audienz, 13.4.2011.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 1.11.2018.

5 Kard. Joseph Ratzinger, Gott wirken lassen, in: L’Osservatore Romano, 6.10.2002.

6 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 1005.

7 Hl. Josefmaria, Brief von Avila an seine Söhne in Burgos, 11.8.1938.

8 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 546.

9 Vgl. hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 141.