Tagesevangelium (Sonntag): Gib das, was du geben kannst

Kommentar zum Sonntag der 32. Woche im Jahreskreis (Jahr B). „Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern“ (Vers 43). Der Herr sieht jedes Zeichen der Liebe und Hingabe, sei es noch so klein und verborgen. Diese Überzeugung hilft uns in unserer Großzügigkeit ihm und unseren Nächsten gegenüber zu wachsen.

Evangelium (Mk 12, 38-44)

In jener Zeit lehrte Jesus eine große Menschenmenge und sagte:

- Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die Ehrensitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.

Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte:

- Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.


Kommentar

Am Eingang des Tempels in Jerusalem befand sich der Opferkasten, wörtlich übersetzt Schatzkammer. Dieser Platz oder Kasten war dazu bestimmt, Almosen von den Wohlhabenden sowie vom breiten Volk entgegenzunehmen, um für die Kosten der Gottesdienste aufzukommen. Zwischen denen, die an diesem Tag viel Geld einwarfen, war auch eine einfache Frau, die dem allwissenden und liebevollen Blick des Herrn nicht entging.

In der Antike war die Situation der Witwen oft fatal, vor allem, wenn der verstorbene Ehemann weder Geld noch Besitztümer hinterlassen hatte. Frauen waren für ihren Lebensunterhalt zu großem Teil auf die Arbeitskraft der Männer angewiesen. Der Verlust des Familienoberhauptes stürzte viele von ihnen in extreme Armut. Deshalb ermahnt die Heilige Schrift an vielen Stellen, sie respektvoll zu behandeln und zu unterstützen. Genau in dieser Lage befand sich die Frau aus dem Evangelium: sie war Witwe und arm.

Das erklärt, warum sich Jesu, der weiß, was in jedem Herzen ist (vgl. Joh 2,25), besonders freute, als er sah, wie sie für die Ausgaben des Tempels alles opferte, was sie zum Überleben hatte, obwohl es objektiv gesehen so gut wie nichts war, nur zwei kleine Münzen von geringem Wert. Für diese Frau war die Verehrung Gottes wichtiger als ihre eigene Sicherheit oder ihr Lebensunterhalt. Deshalb führt Jesus sie uns als Beispiel für eine außergewöhnliche Großzügigkeit vor Augen.

Das Almosengeben gehört neben dem Gebet und dem Fasten zu jenen Dingen, an denen Gott am meisten Gefallen hat: Wenn man in rechter Absicht und mit großzügigem und losgelöstem Herzen gibt; wenn es uns wirklich etwas kostet, weil wir selbstlos etwas hergeben, was unser eigen ist. „Hast du nicht Jesu Augen aufleuchten sehen, als die arme Witwe im Tempel ihr Scherflein gab? – sagt uns der Hl. Josefmaria - Gib du Ihm, was du kannst: das Verdienst liegt nicht im Mehr oder Weniger, sondern in der Gesinnung, mit der du gibst“. [1]

Jesus lädt uns ein, uns die arme Witwe zum Vorbild zu nehmen. Durch sie können wir lernen nach dem Prinzip des Gebens zu leben, anstatt dem Egoismus nachzuhängen. Sie zeigt uns, wie wir Gott und den anderen gegenüber genauso großherzig sein können, wie sie es war.

Wie der heilige Josefmaria sagte, bedeutet Großherzigkeit „großes Herz, weite Seele, für viele offen. Die Großherzigkeit bewirkt, dass wir aus uns heraustreten und uns zum Wohl aller für das Große und Wertvolle bereitstellen. Wer diese Tugend besitzt, kennt die Enge der Kleinkariertheit, des egoistischen Kalküls und der auf Vorteil versessenen Intrigen nicht, denn er stellt vorbehaltlos seine Kraft in den Dienst einer Sache, die sich lohnt. Er ist fähig, sich selbst hinzugeben. Nur geben genügt ihm nicht, er gibt sich selbst. Und so kommt er schließlich dem höchsten Zeichen von Großherzigkeit auf die Spur: sich Gott hinzugeben“. [2]

Der Herr verdient immer das Beste von unserer Liebe und Zuneigung, von unserer Zeit und unseren Interessen. Wenn ein Mensch oder eine Familie es versteht, Gott mit Großzügigkeit und Freude zu geben, wie es der gerechte Abel getan hat, dann erhalten sie vom Herrn das Hundertfache zurück und werden reich beschenkt werden.

„Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern“ (Vers 43). Seien wir fest davon überzeugt, dass der Herr jedes Zeichen der Zuneigung und Hingabe sieht, sei es noch so klein und verborgen. So werden wir in unserer Großzügigkeit ihm und unseren Nächsten gegenüber wachsen.

[1] Hl Josefmaria Escriva, Der Weg, Nr. 829.

[2] Hl. Josefmaria Escriva, Freunde Gottes, Nr. 80