Sakrileg: Hasstiraden gegen die Kirche

Das eigentliche Ziel von Dan Browns Roman „Sakrileg“: die „Grundfesten der Kirche zu erschüttern“

„Sakrileg“ ist nur vordergründig ein Thriller. Mit diesem Roman hat sich Dan Brown zum Ziel gesetzt, die „größte Verschleierungsaktion in der Geschichte der Menschheit“ zu enthüllen – „Jesus Christus war nicht nur verheiratet, er war auch der Vater eines Kindes“ –, um damit die „Grundfesten der Kirche zu erschüttern“. Bereits vor Beginn seines Romans bedankt sich der Autor bei seinem „Freund und Lektor Jason Kaufman, der (...) von Anfang an begriffen hat, worum es in diesem Roman gehen soll.“ Die Hasstiraden gegen die Kirche sind allgemeiner Tenor in Dan Browns „Roman“: „Sollen die Lügenmärchen der Kirche für alle Ewigkeit in unseren Geschichtsbüchern stehen? Soll die Kirche auf ewig mit Mord und Nötigung ihren Einfluss sichern können?“.

In der Form eines Thrillers geht es eigentlich in „Sakrileg“ um das „göttlich Weibliche“, einen in diesem Roman immer wiederkehrenden Ausdruck. Das Buch ist vom „Zorn über die Unterdrückung der Vorstellung vom göttlich Weiblichen durch die Kirche“ geprägt, ein Sujet, das aus der einschlägigen Literatur bekannt ist: Vor etwa einem Jahrzehnt thematisierte Marion Zimmer Bradley den Kampf zwischen den weiblich-zentrierten heidnischen Religionen und dem Christentum in „Die Nebel von Avalon“. Ließ Bradley diesen Kampf im historischen Kontext stattfinden – dem Eindringen des Christentums in Britannien zur Zeit des legendären Königs Arthus –, so verlegt ihn Brown in die Gegenwart. Als Schlüsselfigur im Widerstand des „göttlich Weiblichen“ im Laufe der Jahrhunderte benennt er die „Prieuré de Sion“, einen Geheimbund, der bis heute für die ununterbrochene Fortführung der uralten Traditionen der Verehrung des göttlich Weiblichen gesorgt habe. Denn, so Brown, die Kirche habe „die Welt betrogen, indem sie zugunsten des Männlichen verleumderische Unwahrheiten über das Weibliche verbreitet“ habe. Die „Prieuré de Sion“ habe das Geheimnis gehütet, „dass Christus Maria Magdalena zur Gemahlin genommen hatte, was der Grundlage der katholischen Lehre den Todesstoß versetzt hätte – der Doktrin vom göttlichen Messias, der nichts mit Frauen zu schaffen hatte ... oder gar sich mit einer Frau geschlechtlich vereinigt hätte.“

Für diese „Verschleierungsaktion“ macht Brown Kaiser Konstantin den Großen verantwortlich: Die „Prieuré“ sei überzeugt, „dass Kaiser Konstantin und seine männlichen Nachfolger den Übergang der Welt vom heidnisch-matriarchalischen Mutterkult zum patriarchalischen Christentum mit einem Propagandafeldzug ohnegleichen durchgedrückt haben, der das göttlich Weibliche dämonisiert und die Göttinnen für immer aus der modernen Religionsausübung verdrängt hat.“ Nach Brown habe Konstantin eine neue Fassung der Evangelien in Auftrag gegeben: „In diese Sammlung durfte keine jener Darstellungen aufgenommen werden, in denen Jesus als Mensch gesehen wurde, während alles, was ihn in ein göttliches Licht rückte, besonders hervorzuheben war. Die früheren Evangelien wurden geächtet, konfisziert und verbrannt.“ Die Göttlichkeit Jesu sei das Ergebnis einer Abstimmung auf dem Konzil von Nizäa: „Bis dahin wurde Jesus von seinen Anhängern als sterblicher Prophet betrachtet, als ein großer und mächtiger Mensch, aber eben als Mensch – als sterblicher Mensch.“

Die These, auf der der gesamte „Unterbau“ Browns beruht, steht jedoch in krassem Gegensatz zur wissenschaftlichen Forschung. Die genaue Datierung der Evangelien ist zwar nach wie vor umstritten, doch sind sich die Fachleute einig, dass sie lange vor Konstantin geschrieben wurden. Das belegen unter anderem Textfragmente, die mit den überlieferten Evangelien übereinstimmen. Browns Behauptung, die heutigen Evangelien seien erst im vierten Jahrhundert entstanden, entbehrt jeder Grundlage; den abenteuerlichen Hirngespinsten Dan Browns wird dadurch jeglicher Boden entzogen. Die zwei von ihm angeführten Stellen aus den so genannten „gnostischen Evangelien“ oder Apokryphen, in denen von Maria Magdalena als „Gefährtin des Erlösers“ die Rede ist, besitzen kaum Beweiskraft. Aus den apokryphen Evangelien lassen sich viele absonderlichen Erzählungen zitierten, die zumeist in der Absicht geschrieben wurden, Jesus als Wundertäter erscheinen zu lassen – was natürlich Browns Ansichten über die „Erfindung“ von Christi Göttlichkeit unmittelbar zuwiderlaufen würden.

Der katholischen Personalprälatur Opus Dei dichtet Dan Brown eine kriminelle Schlüsselstellung in „Sakrileg“ an: unter dem von vatikanischen Würdenträgern ausgeübten Druck, dem Opus Dei würde durch den neuen Heiligen Vater der Status als Personalprälatur „des Papstes“ aberkannt (Das Opus Dei ist eine Personalprälatur der katholischen Kirche, was einen enormen Unterschied zu Browns immer wieder benutzter Formulierung ausmacht), habe sich der Prälat des Opus Dei zu einer verzweifelten Aktion hinreißen lassen und die Vermittlung eines mysteriösen „Lehrers“ angenommen, dem er darüber hinaus seinen Vertrauensmann zur Verfügung gestellt habe: den hünenhaften Albino Silas, der vor Mord nicht zurückschreckt. Ausdrücklich heißt es, Silas habe „für einen geheiligten Zweck gesündigt. Gegen die Feinde Gottes waren immer schon Gräueltaten verübt worden. Silas war die Vergebung gewiss. Doch es gab keine Absolution ohne Buße“, die allerdings lediglich in äußerer Selbstkasteiung besteht. Dan Brown scheint nicht das Geringste von wahrer Buße zu verstehen, die stets echte innere Reue voraussetzt. Und ebenso wenig vom real existierenden Opus Dei, bei dem niemand Kutte trägt wie Silas. Er nimmt es nur her als Ersatz für weniger zeitgemäß klingende Namen katholischer Institutionen.

Dadurch wird das Opus Dei zu einem austauschbaren Bestandteil eines neuen Genres der Pop-Kultur, das Elemente aus Geschichte, Religion, Mathematik und Mystik zum „Knacken“ eines Codes vermischt. Ob der Code nun – wie etwa im Hollywood-Film „Das Vermächtnis der Tempelritter“ – zu einem Schatz oder wie in „Sakrileg!“ zur angeblichen Enthüllung von unheimlichen Geheimnissen des Christentums führt, auch dies ist beliebig austauschbar.

An mehreren Stellen wendet Dan Brown den Ausdruck „streng“ auf das Opus Dei an. In einer Hinsicht hat er wohl Recht: Die Gläubigen der Personalprälatur Opus Dei versuchen, sich streng an die katholische Morallehre, insbesondere an die Zehn Gebote („Du sollst nicht töten“, „Du sollst kein falsches Zeugnis geben“) zu halten. Darüber hinaus orientieren sie sich ebenso streng am Lehramt der katholischen Kirche, so etwa auch an die unter ausdrücklichem Verweis auf das Zweite Vatikanische Konzil („Gaudium et spes“, 27) getroffene Aussage Johannes Pauls II. in „Veritatis splendor“, 81: „Die Umstände und die Absichten [können] niemals einen bereits in sich durch sein Objekt sittenlosen Akt in einen ‘subjektiv’ sittlichen oder als Wahl vertretbaren Akt verwandeln:“ Den Höhepunkt der Perversion christlichen Selbstverständnisses erreicht Dan Brown indes, als er Silas vor der Verübung weiterer Verbrechen das „Gebet“ sprechen lässt: „Mein Herr und Gott, ich widme dir dieses Werk, das ich heute beginne“.

Als Thriller zeichnet „Sakrileg“ eine repetitive Sprache sowie Figuren aus, die an Groschenromane erinnert, einschließlich abgegriffener Formulierungen („Die Zeit gerann zu einem Albtraum, der in Zeitlupe ablief“). Die Kunstgriffe seiner Indiana Jones-Verschnitt-Figuren hat er offensichtlich aus billigen Action-Filmen geborgt: der gehbehinderte Gelehrte, der in einer halsbrecherischen Aktion mit seiner Krücke Silas verletzt, der höhere Bankangestellte, der einem Polizisten kaltschnäuzig einen Bären aufbindet, das Flugzeug, das im richtigen Augenblick fluchtbereit steht, oder auch die Polizistin und Enkelin des ermordeten Louvre-Direktors, die sich als Nachfahre der Merowinger und somit nach Brown auch Jesus’ entpuppt... entheben der Dramaturgie von „Sakrileg“ jeder Glaubwürdigkeit.

Jose Garcia