Brief des Prälaten (Dezember 2010)

Bischof Javier Echevarría schlägt vor, unsere Herzen auf die Ankunft des Herrn vorzubereiten. Er spricht außerdem über das kürzliche erschienene Apostolische Schreiben "Verbum Domini".

Mit großer Freude denke ich daran zurück, wie froh der hl. Josefmaria in der Adventszeit die Worte der Liturgie aussprach: Dominus prope est![1] Jedes Jahr sah er dem Fest, das uns die Ankunft des Erlösers auf der Erde ins Gedächtnis ruft, voller Ungeduld und Dankbarkeit entgegen.

Wir sind schon in diese Wochen eingetreten, die uns bei der Vorbereitung auf Weihnachten und die anderen Feste rund um Christi Geburt helfen. Wahrscheinlich kommen uns die Worte des Propheten Jesaja auf die Lippen, mit denen die Messe des ersten Adventssonntages beginnt: Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.[2] Und wir fallen angesichts der himmlischen Güte auf die Knie, wenn wir sehen, wie sich diese Prophezeiung erfüllte, als das göttliche Wort durch das Wirken des Heiligen Geistes im jungfräulichen Schoß Mariens Fleisch annahm. Durch seine erlösende Menschwerdung und vor allem durch das Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung hat Christus den Frieden auf die Erde gebracht, so wie es die Engel in der ersten Weihnacht verkündeten. Dieser Friede ist noch nicht vollendet, da nach der Vorsehung erst am Ende der Zeiten Gott über alles und in allem herrscht[3]. Und doch hat er bereits die Mauer niedergerissen, die sich aufgrund der Erbsünde und unserer persönlichen Sünden zwischen den Menschen und Gott erhob.[4] Außerdem möchte der Herr, dass die Christen Tag für Tag bei der Einpflanzung seines Friedens in die Herzen mitwirken und bis in die letzten Winkel der Gesellschaft gelangen.

Vor einigen Jahren sagte der Papst, dass „die Kirchenväter in ihrer griechischen Übersetzung des Alten Testaments ein Wort des Propheten Jesaja lasen, das dann auch Paulus zitiert, um zu zeigen, wie die neuen Wege Gottes im Alten Testament schon vorhergesagt waren. „Gott hat sein Wort kurz gemacht, es abgekürzt“, hieß es da (vgl. Jes 10, 23; Röm 9,28) (…). Der Sohn selbst ist das Wort, der Logos; das ewige Wort hat sich klein gemacht – so klein, dass es in eine Krippe passte. Es hat sich zum Kind gemacht, damit uns das Wort fassbar werde.“[5] Und in seinem letztem apostolischen Schreiben fügt er hinzu: „Nun ist das Wort nicht nur hörbar, besitzt es nicht nur eine Stimme, jetzt hat das Wort ein Gesicht, das wir sehen können: Jesus von Nazaret.“[6]

Gehen wir also sicher und zufrieden weiter auf unserem Weg als Christen. „Weihnachten erinnert uns daran, dass Gott Anfang, Ende und Mitte der Schöpfung ist: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott (Joh 1, 1). Meine Töchter und Söhne, Christus zieht alle Geschöpfe an sich: Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist (Joh 1, 3). Und als er Mensch wurde und unter uns wohnte (vgl. Joh 1, 14), hat er uns gezeigt, dass wir nicht leben, um ein zeitliches und vergängliches Glück zu suchen. Wir existieren, um die ewige Glückseligkeit zu erreichen. Dazu müssen wir seinen Spuren folgen, und das bedeutet, von ihm zu lernen.“[7]

Bei der Taufe haben wir Christus angezogen. Damit wir ihm immer ähnlicher werden, hat er uns die übrigen Sakramente hinterlassen, vor allem die Beichte und die Eucharistie. Wenn wir sie häufig und in der angemessenen inneren Verfassung empfangen, wird unsere Ähnlichkeit mit Christus größer, wir werden immer bessere Kinder Gottes. Es ist der Heilige Geist, der dies in den Seelen bewirkt, aber er rechnet auch mit unserer persönlichen Mitarbeit. Und ein Teil dieses Mitwirkens besteht darin, eifrig das Wort Gottes zu lesen, das lebendig ist, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens.[8] So rät auch unser Vater: „Das Leben Jesu muss sich in unserem eigenen Leben wiederholen, indem wir Christus kennenlernen: durch Lesen und immer wieder Lesen, durch Meditieren und immer wieder Meditieren der Heiligen Schrift, durch Beten und wieder Beten.“[9] Versuchen wir, während der kommenden Feste „die Lehre zu begreifen, die Jesus uns bereits jetzt gibt: als Kind, als Neugeborener, dessen Augen sich eben erst für diese unsere Erde geöffnet haben“[10]. Fragen wir uns oft: Nähere ich mich den Quellen der Gnade mit dem Wunsch, heilig zu werden? Versuche ich, die Sakramente mit der angebrachten Häufigkeit zu empfangen, um so die Reinheit der Seele und den übernatürlichen Ton zu erlangen, die Gott von mir erwartet?

Das letzte apostolische Schreiben des Heiligen Vaters, Verbum Domini, hebt die Bedeutung der Heiligen Schrift für das Leben und die Sendung der Kirche und das Leben jedes Christen hervor. Dort weist Benedikt XVI. die Exegeten und alle, die sich mit der Heiligen Schrift befassen, auf eine wichtige Tatsache hin: „Der ursprüngliche Ort der Schriftauslegung ist das Leben der Kirche.“[11] Nur im Schoß der Kirche, innerhalb ihrer lebendigen Tradition und unter der Leitung des von Christus eingesetzten Lehramtes kann man recht verstehen, was uns der Heilige Geist zu unserem Heil mitteilen will. Dies tut er mittels der inspirierten Verfasser und bedient sich dabei menschlicher Worte. Das heißt, nur im Glauben und vom Glauben her ist es möglich, in seiner ganzen Tiefe und Genauigkeit, ohne Gefahr des Irrtums, zu begreifen, was Gott uns hinsichtlich unserer Teilhabe an seinem göttlichen Leben offenbart hat. Das wissenschaftliche Studium der Heiligen Schrift ist für eine gute Exegese nötig, aber genauso wichtig – wenn nicht noch wichtiger – ist die volle Übereinstimmung mit dem der Kirche vom Lehramt vorgelegten Glauben. Daher „muss eine authentische Auslegung der Bibel stets in harmonischer Übereinstimmung mit dem Glauben der katholischen Kirche stehen“[12].

Um das Wort Gottes richtig zu verstehen, müssen wir einen lebendigen Glauben haben und die Bibel in dem spirituellen Klima lesen, in dem sie geschrieben wurde. Wenn wir daher mit Bedacht das Evangelium und die übrigen inspirierten Bücher lesen, ist es wichtig, eine innere Haltung des Hörens zu entwickeln. Die Heilige Schrift passt immer zur jeweiligen Aktualität, vor allem, wenn sie innerhalb der liturgischen Feier vorgelesen wird. Immer vermittelt sie demjenigen, der sie aufmerksam hört und sie in sich aufnehmen möchte, die Neuheit der göttlichen Dinge. Ihre Worte sind, wie der hl. Josefmaria schreibt, „Licht des Heiligen Geistes, der zu uns in menschlichen Worten spricht, damit unser Verstand erkenne und betrachte, unser Wille sich festige und unser Tun gelinge. Denn wir sind ein einziges Volk, das einen einzigen Glauben, ein Credo bekennt, ein Volk, versammelt in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“[13].

In gleicher Weise ertönt beim persönlichen Lesen der Bibel und besonders des Evangeliums Gottes Stimme, die wir versuchen sollten, auf unsere konkrete Situation zu beziehen. Wenn wir uns bemühen, die heiligen Texte aufmerksam – wie eine Tochter, ein Sohn – zu lesen, dann wird diese Lektüre wirklich zu Gebet. „Wenn du das Evangeliumaufschlägst“, schrieb unser Vater, „mach dir klar, dass du die Berichte über die Taten und Worte Christi nicht nur kennen, sondern auch wirklich selbst „erleben“ sollst. Jede Szene enthält sehr viele Einzelheiten, die du auf die konkreten Umstände deines Lebens übertragen kannst.

Der Herr hat uns Katholiken dazu berufen, ihm von nahem zu folgen. Im heiligen Text des Evangeliums findest du das Leben Jesu – aber auch dein eigenes Leben sollst du dort finden.

Lerne auch du, gleich den Aposteln, die Frage der Liebe an ihn zu richten: „Herr, was willst du, das ich tun soll? …“ Du vernimmst dann in deinem Innern die unzweideutige Antwort: den Willen Gottes!

Greife also jeden Tag zum Evangelium, lies es, nimm es zum konkreten Kompass deines Daseins – so haben es die Heiligen getan.“[14]

In dem von mir erwähnten Dokument spricht Benedikt XVI. über mehrere Abschnitte von der Hilfe, die das Leben der Heiligen darstellt, damit wir den Sinn der Schrift mit größerer Tiefe erfassen. Gregor der Große versicherte: Viva lectio est vita bonorum[15], das Leben der Heiligen ist eine lebendige und beeindruckende Lektion, ein Zitat, das der Papst in seinem apostolischen Schreiben aufgreift. „Die tiefste Auslegung der Schrift kommt in der Tat von jenen, die sich durch das Wort Gottes – im Hören, im Lesen und in der ständigen Betrachtung – formen ließen. (…) Es ist gewiss kein Zufall“, fährt der Heilige Vater fort, „dass die großen Spiritualitäten, welche die Kirchengeschichte gezeichnet haben, aus einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die Schrift heraus entstanden sind.“[16]

„Jeder Heilige ist wie ein Lichtstrahl, der vom Wort Gottes ausgeht“[17], verkündet der Heilige Vater und erwähnt danach mehrere Heilige, Männer und Frauen, die aus dem Evangelium heraus dem Leben der Kirche neues Licht schenkten; und er spricht davon, dass man einen dieser Lichtstrahlen beim „hl. Josemaría Escrivá in seiner Verkündigung des universalen Rufs zur Heiligkeit“[18]entdecken kann. Es ist nur natürlich, dass diese Worte uns ungemein gefreut haben. Gleichzeitig rufen sie uns zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit der Botschaft unseres Vaters auf, die wir gut nutzen und noch weiter verbreiten müssen, denn das ist ein Ausdruck unserer Liebe zu Gott und zur Kirche.

Greifen wir daher die wiederholten Einladungen des hl. Josefmaria auf, nehmen wir häufig die Texte der Bibel zur Hand, um unsere Weilen des Gebetes zu nähren und die Szenen des Lebens Jesu zu betrachten, indem wir uns „als einer mehr“ in das Evangelium versetzen. Die liturgischen Texte des Advent und der Weihnachtszeit können ein starker Impuls sein, damit uns das Wort Gottes noch vertrauter und unsere Beziehung zu Jesus, Maria und Josef noch inniger wird. Teilen wir ohne Zögern ihr Leben, bleiben wir von Herzen mit den dreien verbunden.

„Im Leben unseres Herrn finde ich alles liebenswert“, schrieb unser Vater. „Aber ganz besonders fühle ich mich von den dreißig Jahren angezogen, in denen er ein verborgenes Dasein in Bethlehem, in Ägypten und in Nazareth führte. Oberflächlicher Betrachtung mag diese Zeit, eine recht lange Zeit, von der da im Evangelium kaum die Rede ist, bedeutungslos und nichtssagend erscheinen. Aber ich habe dieses Schweigen über das Leben unseres Meisters immer für sehr beredt gehalten und darin eine herrliche Lektion für uns Christen gesehen. Es waren Jahre, angefüllt mit Arbeit und Gebet, in denen Jesus ein normales, alltägliches Leben – ein Leben, wenn wir so wollen, wie dasunsere – geführt hat, ein zugleichmenschliches und göttliches Leben. Auch dort, in jener einfachen, unscheinbaren Werkstatt, hat Jesus – wie später vor dem ganzen Volk – alles wunderbar getan.“[19]

Ich möchte Euch anhand der Worte des Papstes über den hl. Josefmaria den Rat geben, die Kommentare unseres Vaters zur Heiligen Schrift wirklich gut kennen zu wollen. Auf diese Weise werden wir lernen, uns freier und sicherer in den tiefen Wassern der Offenbarung zu bewegen, und wir werden den geistlichen Sinn entdecken, der sich in den Worten des heiligen Textes verbirgt, d.h. verstehen, was der Heilige Geist jedem von uns hier und jetzt sagen will. Unter dieser Perspektive lade ich euch ein, wieder einmal folgenden Punkt aus dem Feuer der Schmiede zu lesen: „Aquae multae non potuerunt extinguere caritatem! – Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen. Mir kommen zwei mögliche Auslegungen dieses Wortes der Heiligen Schrift in den Sinn. Einmal: Die große Zahl der Sünden, die du begangen hast, trennt dich dennoch nicht von der Liebe Gottes, wenn du sie von Herzen bereust. Zum anderen: Die Flut von Verständnislosigkeit und Widerstand, die gegen dich anbranden mag, wird dich nicht von deiner apostolischen Arbeit abhalten.“[20]

In den vergangenen Tagen habe ich auf den Spuren unseres Gründers eine kurze Reise nach Fatima und Santiago de Compostela gemacht. Wie Ihr wisst, zog ihn die Wallfahrtsstätte von Fatima in besonderer Weise an; bei anderen Gelegenheiten habe ich Euch erzählt, dass der hl. Josefmaria oft dort war, um seine Anliegen der Gottesmutter zu Füßen zu legen, in der Überzeugung, dass Gott immer auf die Fürbitte Mariens hört. Im Gedenken an die Wallfahrt unseres Gründers zum Apostelgrab im Jahr 1938, welches ebenfalls ein Heiliges Jahr war, bin ich auch nach Santiago de Compostela gefahren und habe mich mit dem Gebet des Papstes dort wenige Tage zuvor verbunden. An beiden Orten habe ich die Unterstützung aller, um die ich Eure Schwestern und Brüder in Rom bei meiner Abreise gebeten hatte, gespürt. Gott möge uns alles gewähren, was wir gemeinsam von ihm erfleht haben. Ich habe für die Kirche, den Papst, und für die Gläubigen – Frauen wie Männer – des Opus Dei gebetet. Gehen wir immer durch Maria zu Jesus, ausdauernd im Glauben und im Gebet vereint mit der Kirche und der ganzen Menschheit.

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[1] Messbuch, Dritter Adventssonntag, Eröffnungsvers (Phil 4, 5)

[2] Messbuch, Erster Adventssonntag, Erste Lesung (A) (Jes 2, 2)

[3] 1 Kor 15, 28

[4] Vgl. Eph 2, 14

[5] Benedikt XVI., Predigt in der Christmette, 24.12.2006

[6] Benedikt XVI., Apost. Schreiben Verbum Domini, 30.9.2010, Nr. 12

[7] Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einer Betrachtung, 25.12.1972

[8] Hebr 4, 12

[9] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 14

[10] Ebd. [11] Benedikt XVI., Apost. Schreiben Verbum Domini, 30.9.2010, Nr. 29

[12] Ebd., Nr. 30

[13] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 89; Zitat von Cyprian, De dominica oratione, 23 (PL 4, 553)

[14] Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 754

[15] Gregor der Große, Moralia in Job XXIV, 8, 16 (PL 76, 295)

[16] Benedikt XVI., Apost. Schreiben Verbum Domini, 30.9.2010, Nr. 48

[17] Ebd. [18] Ebd. [19] Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 56

[20] Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 655