Brief des Prälaten (Dezember 2007)

Gott kommt uns zu retten. Das ist die Hoffnung, mit der wir unsere Herzen in der Adventszeit bereiten, damit Jesus in Ihnen eine würdige Wohnstatt findet.

Vor wenigen Tagen haben wir im Werk ein marianisches Jahr begonnen, um der Heiligsten Dreifaltigkeit durch die Jungfrau Maria für die Errichtung der Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei vor fünfundzwanzig Jahren zu danken. Für diese Monate habe ich Euch einige wenige Andachtsübungen vorgeschlagen; jedoch gilt es vor allem, dem Streben nach Heiligkeit und Apostolat jeden Tag einen Impuls zu geben, indem wir mit unserer himmlischen Mutter einen intensiven und liebevollen Umgang pflegen.

Schon Don Alvaro führte uns 1978, als wir das goldene Jubiläum der Gründung des Opus Dei feierten, auf marianische Wege. An so bedeutsamen Jahrestagen ist es nur natürlich – und notwendig! –, unsere Zuflucht besonders zu Maria zu nehmen. Wir folgen auch hierin den Schritten unseres Vaters. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es ihn freute, als Papst Pius XII. ein marianisches Jahr für die Weltkirche ausrief, um den hundertsten Jahrestag des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis zu begehen. Der heilige Josefmaria erinnerte uns damals daran, daß das Opus Dei "unter dem Mantel unserer Herrin geboren wurde und gewachsen ist. Daher haben wir so viele marianische Gewohnheiten, die das Alltagsleben der Kinder Gottes in diesem Werk Gottes prägen." Und seiner Zufriedenheit Ausdruck gebend, fügte er hinzu: "Stellt euch meine Freude vor, als ich erfuhr, daß der Papst dieses Jahr 1954 der Muttergottes geweiht hat".(1)

Er wollte diesen Worten auch in Euren Ohren Widerhall verschaffen, denn er wandte sich an alle. Es ist außerdem so leicht zu erkennen, wie unsere Herrin jeden Schritt auf unserem Lebensweg begleitet. Betrachten wir in Ruhe, in der fruchtbaren Stille des Gebetes, ihren Schutz und Beistand, und wir werden noch klarer sehen, wie unsere himmlische Mutter beständig eingreift, selbst in die scheinbar kleinsten Vorkommnisse unseres Lebens. Mit der Macht ihres Sohnes hat sie uns viele Male vor den Nachstellungen des Feindes unserer Seele beschützt, sie hat uns geholfen, die Versuchungen siegreich zu bestehen, und sie hat es erreicht, daß wir die Hindernisse überwunden haben, die sich uns auf dem Weg zu Gott entgegenstellen. Gott hat es so eingerichtet, daß sie es ist, die uns neue Einsichten und Gnaden erlangt, welche trotz unserer Armseligkeit in unserem Herzen aufkeimen.

Diese ersten Tage des marianischen Jahres fallen mit der Novene zur Unbefleckten Empfängnis zusammen. Sie ist ein Brauch, der sich in der Kirche herausgebildet hat, um das Hochfest vom 8. Dezember vorzubereiten. Wie es uns der heilige Josefmaria gelehrt hat, legt jeder persönlich fest, wie er sie leben möchte. Aber es versteht sich von selbst, daß wir uns mehr um ein ununterbrochenes Gespräch mit Maria bemühen und daß wir das Gebet, die Abtötung und die berufliche Arbeit sorgfältiger pflegen; außerdem versuchen wir, an der Hand unserer Mutter unsere Verwandten, Freunde und Bekannten – je mehr, desto besser – Christus näherzubringen. "Man geht zu Jesus und man kehrt zu ihm zurück immer durch Maria".(2)

Auch die Adventszeit hat gerade begonnen, die uns Ansporn sein sollte, die Wochen bis Weihnachten an der Hand Mariens und des hl. Josef zurückzulegen. Jedes Jahr lädt uns die Liturgie in dieser Zeit inständig dazu ein; und das um so mehr, je näher der 25. Dezember rückt. Diese Tage und Wochen sind sehr geeignet, über die Worte nachzudenken, mit denen Gott schon seit der Morgenröte der Geschichte bemüht war, den Herzen der Menschen Mut einzuflößen.

In den ersten Kapiteln der Genesis, unmittelbar nach der Erzählung vom Sündenfall, erfüllt uns die Heilige Schrift mit Hoffnung. Gott wendet sich an den Versucher, der unter der Gestalt der Schlange unsere Stammeltern verführt hat: "Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse."(3) Damit wird uns die Erlösung versprochen, die durch Christus, dem Nachwuchs der Frau, Wirklichkeit wird. Und wir erkennen dort auch schattenhaft die Gestalt einer wunderbaren Frau – der Mutter des Erlösers –, über die die Höllenschlange keine Macht haben wird. Maria wird an der Seite ihres Sohnes, eng vereint mit ihm, einen vollständigen Sieg über den Feind der Seelen erringen. Im Hinblick auf die Verdienste Christi wird sie vom ersten Moment ihrer Empfängnis an vor der Erbsünde bewahrt bleiben, mit der wir alle geboren werden. Sie wird auf dieser Erde immer makellos sein, ganz heilig an Leib und Seele, die Allheilige, wie die orthodoxen Christen sie nennen.

Nach dieser ersten Prophezeiung vernehmen wir die Stimme der alten Propheten in all ihrer Kraft. Sie bilden in der Liturgie des Advent einen wunderbaren Zusammenklang. Denken wir daran, daß die Kirche vor allem in der letzten Woche – kurz vor der Geburt Jesu – ihre Begeisterung kaum noch zügeln kann und in wundervolle Ausrufe ausbricht: Du Weisheit des Höchsten, komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht!, heißt es in den Gebeten vom 17. Dezember, dem ersten der großen Tage, die in das Weihnachtsfest münden. Du Sproß aus Isais Wurzel, komm und errette uns, säume nicht länger! Und später mit noch mehr Nachdruck: Du Schlüssel Davids, komm und schließe den Kerker der Finsternis auf! Komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet.(4)

Meine Töchter und Söhne, machen wir uns diese drängenden Rufe zu eigen, die die Kirche an uns richtet. Bereiten wir schon von den ersten Tagen des Advent an unser Herz, damit der Herr es so rein wie möglich vorfindet und mit Wohlgefallen seine Wohnung in uns aufschlagen kann. Wir wissen zur Genüge, daß niemand unter uns würdig ist, ihn zu empfangen; aber in seiner Barmherzigkeit ergreift er die Initiative, er kommt uns entgegen und schenkt uns seine Gnade. Jeden Morgen kommt er in der heiligen Eucharistie zu uns. Die liebevolle Vorbereitung auf diesen Moment jeden Tages wird die beste Art und Weise sein, uns für sein geistliches Kommen zu bereiten. Ich bitte den Himmel, ihr möget in all seiner Tiefe den Schrei begreifen: "Behandelt Ihn mir gut!"(5), den wir im Verhalten von Maria und Josef als vollkommene Wirklichkeit erblicken.

Halten wir einen Moment inne und bedenken wir anhand der Worte von Benedikt XVI., daß die Liturgie "weder die Vergangenheitsform – Gott ist gekommen – noch das Futur – Gott wird kommen – verwendet, sondern das Präsens, die Gegenwart: »Gott kommt.« Es handelt sich, wenn man genau hinsieht, um ein »praesens continuum«, das heißt um eine Handlung, die sich andauernd vollzieht: Sie ist geschehen, sie geschieht jetzt und sie wird weiter geschehen. »Gott kommt« jederzeit.

Das Verb »kommen« erscheint hier als ein »theologisches«, ja geradezu als ein »theologales« Verb, weil es etwas aussagt, was das Wesen Gottes selbst betrifft. Zu verkünden, daß »Gott kommt«, kommt schlicht und einfach einer Verkündigung Gottes selbst gleich, durch eine seiner wesentlichen und ihn auszeichnenden Eigenschaften: die Eigenschaft, der »Gott-der-kommt« zu sein.

Der Advent ruft die Gläubigen dazu auf, sich dieser Wahrheit bewußt zu werden und dementsprechend zu handeln. Es erklingt wie ein heilsamer Aufruf in der Aufeinanderfolge der Tage, Wochen und Monate: Wache auf! Erinnere dich daran, daß Gott kommt! Nicht gestern, nicht morgen, sondern heute, jetzt! Der einzige und wahre Gott,»der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, ist kein Gott, der im Himmel weilt, ohne sich für uns und unsere Geschichte zu interessieren, sondern er ist der »Gott-der-kommt«.

Er ist ein Vater, der nie aufhört, an uns zu denken, und der mit äußerster Achtung unserer Freiheit wünscht, uns zu begegnen und zu uns zu kommen; er will in unsere Mitte kommen und unter uns wohnen, er will bei uns bleiben. Zu seinem »Kommen« drängt ihn sein Wille, uns vom Bösen und vom Tod zu befreien, von allem, was unser wahres Glück verhindert. Gott kommt, um uns zu retten.(6)

Gleichzeitig fordert uns der Advent auf, vor Augen zu haben, daß Dominus prope(7), daß der Herr nahe ist. Dieser liturgische Ruf beeindruckt mich jedes Jahr aufs neue. Wir können ihn in vielerlei Hinsicht deuten und diese Worte auf die geistlichen Bedürfnisse eines jeden beziehen. Denken wir häufiger an diese frohmachende Wirklichkeit, lassen wir uns auf ihre Tiefe ein, wenn die Nachfolge Christi uns mühsam und fordernd erscheint. Seien wir überzeugt, daß wir unseren Widerstand aufgeben werden, sobald wir zulassen, daß diese Nähe sich in eine innige Beziehung verwandelt.

Dominus prope, unter anderem auch, weil er im Zentrum unserer Seele im Stand der Gnade ist; so nah, daß er näher nicht sein könnte. Er möchte bei uns, in uns verweilen.

Wir können auch an das Dominus prope denken, weil sich die Feier des Gedächtnisses an diesen erhabenen Augenblick nähert, in dem der Allmächtige, der nichts braucht, als die Fülle der Zeit kam, hat zeigen wollen, daß er mit Wohlgefallen auf seine Geschöpfe, auf jeden von uns blickt: Deliciae meae esse cum filiis hominum (8), meine Freude ist es, bei den Menschen zu sein.

Das Dominus prope ist für uns auch eine Bestärkung des Rufes zum Apostolat. Bemühen wir uns mehr – täglich! –, ohne Menschenfurcht unserer Umgebung zu vermitteln, daß Gott sehr nahe ist und an die Pforten der Seele klopft: Mach auf, meine Schwester und Freundin, meine Taube, du Makellose (9), sagt er zu uns allen wie zur Braut im Hohenlied. Man muß ihm sofort Eintritt ins eigene Herz gewähren und nicht zulassen, daß er vorbeigeht, damit es uns nicht ergeht wie der Braut des Liedes, die mit der Antwort zögerte: Ich öffnete meinem Geliebten: Doch der Geliebte war weg, verschwunden.(10)

Fassen wir von neuem den Vorsatz, uns gut auf Weihnachten vorzubereiten. Wir stehen in der ersten Adventswoche: Wie oft haben wir schon gebetet: Veni, Domine Iesu (11), komm, Herr Jesus? Haben wir häufiger den Satz der Schrift betrachtet, den wir in diesen Tagen tiefer verstehen: Rorate coeli (12), möge sich der Himmel öffnen und den Gerechten herabregnen? Wir können hinzufügen: Möge sich die Erde öffnen! Der Himmel hat sich geöffnet und steht nun offen, weil Gott zu jeder Stunde bei uns ist; aber wir müssen uns entschließen, unsere Herzen – unsere Erde – aufzureißen, damit sie sich mit dem himmlischen Regen der Gnade fülle, der uns heilen, heiligen und uns Wirksamkeit verleihen möchte.

Die Zeit des Advent ist eine Zeit der Hoffnung. Gestern, am 30. November, hat der Heilige Vater seine zweite Enzyklika veröffentlicht, die den Titel trägt: Spe salvi, wir sind gerettet in der Hoffnung. Sie im Laufe dieser Wochen zu lesen und zu betrachten wird uns helfen, dem tiefen Sinn von Weihnachten näher zu kommen.

Am Ende dieser Zeilen wende ich mich an unseren Vater. Er soll uns lehren, Christus zu suchen und so liebevoll mit ihm umzugehen wie er, wenn er das Jesuskind – eine Kopie der Figur, die die Augustinerinnen von Santa Isabel in Madrid verehren – in seine Hände nahm.

Verbinden wir uns weiterhin im Gebet und in den gemeinsamen Anliegen und legen wir unsere Bitten besonders in die Hände der Seligsten Jungfrau Maria.

----------------------------------------------

(1) Hl. Josefmaria, 9.1.1954

(2) Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 495

(3) Gen 3, 15

(4) Vgl. Meßbuch, Rufe vor dem Evangelium an den Werktagen vom 17. bis zum 24. Dezember

(5) Vgl. Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 531

(6) Benedikt XVI., Predigt bei der Feier der Ersten Vesper am 1. Adventssonntag, 2.12.2006

(7) Stundengebet, Zweite Vesper am 1. Adventssonntag, Lectura Breve (Phil 4, 5)

(8) Spr 8, 31

(9) Hld 5, 2

(10) Ebd., 6

(11) Offb 22, 20

(12) Jes 45, 8