AN DEN ersten Sonntagen nach Ostern haben wir im Evangelium von den Erscheinungen des auferstandenen Christus gehört. Am heutigen 4. Sonntag nach Ostern vernehmen wir eine neue Botschaft: Jesus stellt sich als der Gute Hirte vor und offenbart seinen Zuhörern die Eigenschaften dessen, der liebevoll über seine Schafe wacht: Der Gute Hirte ist aufmerksam, sodass ihm nichts entgeht, er ist opferbereit – und er ist geeint mit dem Vater ... Jesus scheint seine Zuhörer zu ermutigen, ihm zu vertrauen und seiner Herde angehören zu wollen – am heutigen Sonntag des Guten Hirten lädt uns die Kirche neuerlich dazu ein, uns der Herde des auferstandenen Christus anzuschließen und uns von ihm führen zu lassen.
Im Tagesgebet richten wir eine große Bitte an Gott Vater: „Dein Sohn ist der Kirche siegreich vorausgegangen als der Gute Hirt. Geleite auch deine Herde, für die er sein Leben dahingab, aus aller Not zur ewigen Freude.“1 Unsere Lage ist nicht leicht, doch Jesus weiß um unsere Schwäche. Er ist uns vorausgegangen auf dem Weg zum ewigen Leben, um uns den Zugang zum Glück zu öffnen und den Weg zu zeigen. Wir sollen nicht mehr verzagen wegen unserer Schwächen; ja, sie bieten sogar die Chance, dass wir mehr auf ihn bauen. Er wird uns helfen, unser Leben mit Güte zu betrachten und unsere Augen fest auf Gott gerichtet zu halten.
Die Gestalt des Guten Hirten erscheint strahlend hell im Osterlicht. Wir dürfen mit dem Psalmisten sagen: Jesus ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser (Ps 23,1-2) – denn er hat den Tod bezwungen und ist ins Leben zurückgekehrt, um uns in die Herrlichkeit mitzunehmen. Wie es in einem gregorianischen Hymnus heißt: „Nach dem Sieg über die Hölle kehrt der Retter der Menschheit, sein Schaf auf den Schultern tragend, in den Himmel zurück.“2 Im Bild des Schafes dürfen wir die Menschheit und jeden Einzelnen von uns erkennen.
ICH BIN DER GUTE HIRT, der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe (Joh 10,11) – so beschreibt Jesus seine Rolle: Er opfert sich, um die ihm anvertrauten Seelen dem Heil zuzuführen – darum geht es ihm. Zwischen dem Guten Hirten und seiner Herde besteht eine innige Beziehung: Er kennt jedes einzelne seiner Schafe, denn er verbringt Zeit in ihrer Mitte. Er kennt das Blöken und die Gangart eines jeden. Und er verlässt seine Schafe nie, denn sie sind Teil seines Lebens. Ganz anders der „bezahlte Knecht“: Er liebt die Schafe nicht als die Seinen, es liegt ihm persönlich nichts an ihrem Wohlergehen.
Jesus betont, dass er sein Leben aus freiem Willen, also aus Liebe, für die Schafe gibt: Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe die Macht, es hinzugeben, und ich habe die Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen (Joh 10,17-18). Es liegt eine immense Hoffnung im Wissen, von einem solchen Hirten geliebt zu werden. Mit seiner Passion zeigt er uns, wie weit seine Liebe zu uns geht, mit seiner Auferstehung, dass es sich lohnt, seiner Liebe zu entsprechen. So finden wir die Kraft, den Weg zum Leben einzuschlagen. Der heilige Josefmaria betete: „Mein Gott, wie leicht fällt doch die Beharrlichkeit, wenn wir erkannt haben, dass du der Gute Hirte bist und wir – du und ich – Schafe deiner Herde sind! Denn wir wissen genau: Der Gute Hirte gibt für jedes seiner Schafe das Leben hin.“3
Als Schafe der Herde Christi werden wir an die Orte gelangen, wo wir neues Leben finden: in den Weilen der täglichen Betrachtung, in den anderen Gebeten und Andachten, die die Zeit unseres Tages gliedern ..., vor allem aber in den Sakramenten. Dann können wir mit dem Psalmisten rufen: Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher. Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang (Ps 23,5-6).
DER HEUTIGE Sonntag ist eine Gelegenheit, darum zu bitten, dass die Fürsorge des Guten Hirten in der Kirche stets sichtbar sei. Diese Fürsorge anzubieten, ist sicherlich eine besondere Verantwortung der geweihten Amtsträger. Doch sind alle Getauften, vereint mit Christus, berufen, Hirten für die anderen zu sein: durch ihr Beispiel, ihr Gebet und ihren Rat. Deshalb betonte der heilige Josefmaria sehr treffend, dass wir alle sowohl Schafe als auch Hirten sind.
Um gute Hirten zu sein, müssen wir Jesus in seinem Dienst, in seinem Heilen, Begleiten und Zuhören nachahmen ... und insbesondere in der Art und Weise, wie er freiwillig sein Leben für andere hingibt. Papst Franziskus warnte einmal davor, Funktionäre zu werden, die nur eine Arbeit nach der anderen erledigen und dafür Lohn kassieren. Wir sollten eher wie Jesus Mittler sein, denn „der Mittler verliert sich selbst, um beide Seiten zusammenzuführen. Er gibt sein Leben, sich selbst. Das ist der Preis: das eigene Leben. Er bezahlt mit seinem eigenen Leben, seiner Müdigkeit, seiner Arbeit, mit vielen Dingen.“4
Wir dürfen die anderen nie – wie der bezahlte Knecht, dem es nur um seinen eigenen Profit geht – als Mittel betrachten, um etwas zu erreichen, nicht einmal dann, wenn es um scheinbar höhere Ziele geht. Als gute Hirten betrachten wir jeden Menschen mit dem Wohlwollen Gottes, das heißt wir erkennen ihn in seiner grundlegenden Würde als Kind Gottes an, das zur Herrlichkeit und zur Teilhabe an der Liebe Gottes berufen ist. Daher werden wir dort, wo wir sind, mit Freude dienen und Vertrauen in den Herzen anderer wecken: Sie werden die Nähe ihrer Hirten suchen, weil sie wissen, dass diese ihr Wohl im Auge haben. Schließlich ist der Lohn für diese Hingabe eine nie endende Freude: Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen (1 Petr 5,4). Wir bitten Maria, die Hilfe der Christen, uns wie dem guten Hirten eine tatkräftige Sorge um die anderen ins Herz zu legen.
1 Römisches Messbuch, Tagesgebet vom IV. Sonntag der Osterzeit.
2 Hymnus Salve dies dierum gloria.
3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 319.
4 Franziskus, Tagesmeditation, 9.12.2016.